Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.Line Lebensbeschreibung Aniser Wilhelms I. Hand des gewaltigen Korsen, empfing Wilhelm I. seine ersten bleibenden Ein¬ Nach wacker bestandner Feuerprobe aus den Befreiungskriegen zurück¬ So reiste er allmählich in ruhiger und harmonischer Entfaltung seiner Line Lebensbeschreibung Aniser Wilhelms I. Hand des gewaltigen Korsen, empfing Wilhelm I. seine ersten bleibenden Ein¬ Nach wacker bestandner Feuerprobe aus den Befreiungskriegen zurück¬ So reiste er allmählich in ruhiger und harmonischer Entfaltung seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226409"/> <fw type="header" place="top"> Line Lebensbeschreibung Aniser Wilhelms I.</fw><lb/> <p xml:id="ID_432" prev="#ID_431"> Hand des gewaltigen Korsen, empfing Wilhelm I. seine ersten bleibenden Ein¬<lb/> drücke in den großen Tagen der Reform und der Erhebung Preußens. „Man<lb/> darf aus dem Ganzen seiner Entwicklung und dem Lebensalter, in dem er<lb/> damals stand, vermuten, daß ihn der Geist der Stählung und der Befreiung<lb/> vom Landesfeinde bereits tief ergriff; daß er die Neuschöpfung des Heeres,<lb/> dem er jetzt eingereiht wurde, sah und verstand; daß ihn der ethische Zug der<lb/> Arbeit und Erhebung und des auch bei Luise von tiefer, sittlicher Verachtung<lb/> getragnen Hasses wider Napoleon berührte und hinriß: die auch dem Jungen<lb/> und Einfachen faßbaren, elementaren Mächte und Erzeugnisse der Reformzeit;<lb/> alles weitere blieb ihm wohl fremder, dies aber waren Eindrücke, wohl ge¬<lb/> eignet, einer Seele für immer Kraft und Richtung zu geben, und sie hat<lb/> Wilhelm I. nie vergessen. Sofern sie sich in ihm mit dem Gefühl eines prin¬<lb/> zipiellen Gegensatzes vereinigten, so wird dieser Gegensatz nach allem nicht dem<lb/> alten preußischen Wesen, sondern dem revolutionär-französischen gegolten haben:<lb/> er wird eher konservativ und legitimistisch, zugleich freilich auch in gewissem<lb/> Maße national gewesen sein, als modern im Sinne der Reformer."</p><lb/> <p xml:id="ID_433"> Nach wacker bestandner Feuerprobe aus den Befreiungskriegen zurück¬<lb/> gekehrt, widmete er sich mit regem Eifer seinen militärischen Pflichten. Noch<lb/> ohne Aussicht, dereinst den Thron zu besteigen, bereitete er sich im stillen<lb/> darauf vor, der zweite große Soldatenkönig Preußens zu werden. Gleich<lb/> Friedrich Wilhelm I. war ihm der Anblick seiner „blauen Jungen" allezeit der<lb/> liebste auf der Welt, gleich jenem war er ein hervorragender, schöpferischer<lb/> Organisator, aber kein genialer Führer des Heeres, gleich jenem war aber<lb/> auch ihm die Armee nicht Selbstzweck, nicht bloße Parade- und Manöver¬<lb/> truppe, sondern der feste Grundstein für Preußens Größe. „Nur mit offnem<lb/> Widerwillen ertrug er die Selbstunterordnung Preußens uuter Österreich.<lb/> Man darf es wohl sagen: in der Nähe des Thrones war er, mehr als der<lb/> Vater, unendlich mehr als der Bruder, die wahre Verkörperung des preu¬<lb/> ßischen Bewußtseins, des preußischen Großmachttriebes."</p><lb/> <p xml:id="ID_434"> So reiste er allmählich in ruhiger und harmonischer Entfaltung seiner<lb/> Geisteskräfte zum Manne heran. Nur eine, freilich sehr schmerzliche Erschütte¬<lb/> rung verhängte das Schicksal über ihn: die unglückliche Liebe zur Prinzeß Elise<lb/> Nadziwill, an der er mit seinem warmen Herzen und tiefen Gemüt jahrelang<lb/> schwer zu tragen hatte. Als er seine Gefühle der Staatsraison zum Opfer<lb/> gebracht hatte, trat mit der bald darauf heimgeführten Prinzessin Augusta von<lb/> Sachsen-Weimar, „der hochstrebenden, lebhaft und warm empfindenden Schülerin<lb/> der klassischen und romantischen Bildung," zum erstenmal etwas ganz anders¬<lb/> artiges und fremdartiges in den Kreis seiner Lebensanschauung hinein. Es<lb/> war „eine Ehe, die gleichsam die zeitgeschichtliche Vereinigung des alten Preußen-<lb/> tnms mit den neuen Trieben der anßerpreußischen deutscheu Geisteswelt zu<lb/> shmbolisireu scheint."</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
Line Lebensbeschreibung Aniser Wilhelms I.
Hand des gewaltigen Korsen, empfing Wilhelm I. seine ersten bleibenden Ein¬
drücke in den großen Tagen der Reform und der Erhebung Preußens. „Man
darf aus dem Ganzen seiner Entwicklung und dem Lebensalter, in dem er
damals stand, vermuten, daß ihn der Geist der Stählung und der Befreiung
vom Landesfeinde bereits tief ergriff; daß er die Neuschöpfung des Heeres,
dem er jetzt eingereiht wurde, sah und verstand; daß ihn der ethische Zug der
Arbeit und Erhebung und des auch bei Luise von tiefer, sittlicher Verachtung
getragnen Hasses wider Napoleon berührte und hinriß: die auch dem Jungen
und Einfachen faßbaren, elementaren Mächte und Erzeugnisse der Reformzeit;
alles weitere blieb ihm wohl fremder, dies aber waren Eindrücke, wohl ge¬
eignet, einer Seele für immer Kraft und Richtung zu geben, und sie hat
Wilhelm I. nie vergessen. Sofern sie sich in ihm mit dem Gefühl eines prin¬
zipiellen Gegensatzes vereinigten, so wird dieser Gegensatz nach allem nicht dem
alten preußischen Wesen, sondern dem revolutionär-französischen gegolten haben:
er wird eher konservativ und legitimistisch, zugleich freilich auch in gewissem
Maße national gewesen sein, als modern im Sinne der Reformer."
Nach wacker bestandner Feuerprobe aus den Befreiungskriegen zurück¬
gekehrt, widmete er sich mit regem Eifer seinen militärischen Pflichten. Noch
ohne Aussicht, dereinst den Thron zu besteigen, bereitete er sich im stillen
darauf vor, der zweite große Soldatenkönig Preußens zu werden. Gleich
Friedrich Wilhelm I. war ihm der Anblick seiner „blauen Jungen" allezeit der
liebste auf der Welt, gleich jenem war er ein hervorragender, schöpferischer
Organisator, aber kein genialer Führer des Heeres, gleich jenem war aber
auch ihm die Armee nicht Selbstzweck, nicht bloße Parade- und Manöver¬
truppe, sondern der feste Grundstein für Preußens Größe. „Nur mit offnem
Widerwillen ertrug er die Selbstunterordnung Preußens uuter Österreich.
Man darf es wohl sagen: in der Nähe des Thrones war er, mehr als der
Vater, unendlich mehr als der Bruder, die wahre Verkörperung des preu¬
ßischen Bewußtseins, des preußischen Großmachttriebes."
So reiste er allmählich in ruhiger und harmonischer Entfaltung seiner
Geisteskräfte zum Manne heran. Nur eine, freilich sehr schmerzliche Erschütte¬
rung verhängte das Schicksal über ihn: die unglückliche Liebe zur Prinzeß Elise
Nadziwill, an der er mit seinem warmen Herzen und tiefen Gemüt jahrelang
schwer zu tragen hatte. Als er seine Gefühle der Staatsraison zum Opfer
gebracht hatte, trat mit der bald darauf heimgeführten Prinzessin Augusta von
Sachsen-Weimar, „der hochstrebenden, lebhaft und warm empfindenden Schülerin
der klassischen und romantischen Bildung," zum erstenmal etwas ganz anders¬
artiges und fremdartiges in den Kreis seiner Lebensanschauung hinein. Es
war „eine Ehe, die gleichsam die zeitgeschichtliche Vereinigung des alten Preußen-
tnms mit den neuen Trieben der anßerpreußischen deutscheu Geisteswelt zu
shmbolisireu scheint."
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