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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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diese Vermutung durch seine Biographie Kaiser Wilhelms I. bestätigt.*)
Schon lange als einer der tüchtigsten unter den deutschen Historikern bekannt,
hat er durch diese Leistung seinen Ruf aufs neue begründet und sich um die
nationale Geschichtschreibung wie um das Andenken des Kaisers große Verdienste
erworben. Keiner würde die schwierige Aufgabe besser, nur sehr wenige
würden sie gleich gut gelöst haben. Der einzige, der ihm die Palme hätte
streitig machen können, Heinrich von Treitschke, der unvergeßliche und uner¬
setzliche, ist dem Begründer des Reichs ja allzufrüh ins Grab gefolgt.

Den Grundsätzen der "Allgemeinen deutschen Biographie" entsprechend,
bildet das eigentlich Biographische die Seele der Marcksschen Darstellung, und
hierin liegt zum größten Teil ihr Wert und ihr Reiz. Natürlich läßt sich
das von dem allgemein Geschichtlichen nicht trennen, aber überall steht doch
die Persönlichkeit des Kaisers im Mittelpunkte des Interesses. Auch da, wo
er in den Schatten größerer Ereignisse oder gewaltigerer Männer zurücktritt,
verlieren wir ihn nie aus den Augen. Sein Verhältnis zu den ihm um¬
gebenden Kräften und Ideen darzulegen, seine Beeinflussung durch andre und
seinen Einfluß auf andre festzustellen, das ist die Hauptaufgabe, die sich
Marcks gestellt hat. Wie ein feinsinniger Psycholog begleitet er seinen Helden
auf seinem reichen und gesegneten Lebenswege. Aus seinem Charakter heraus
erklärt er seine Entwicklung, seine Gesinnung, seine Thaten. Und wie ein¬
gehend und liebevoll, wie scharf und plastisch, wie unbefangen und gerecht hat
er diesen Charakter erfaßt und geschildert! Höfische und volkstümliche Hand¬
langer der Geschichtschreibung haben die persönliche Bedeutung Kaiser Wilhelms
oft überschätzt. Für eine wissenschaftliche Biographie lag die Gefahr näher,
sie zu unterschätzen. Von beiden: hält sich Marcks gleichweit entfernt. Er
verteilt Licht und Schatten, wie es ihm seine auf tiefeindringeuder Forschung
begründete Überzeugung gebietet. Aber über dem ganzen liegt keineswegs die
vornehme oder gar gleichgiltige Kühle kritischer Denkungsart. Er ist auch
mit seinem Herzen bei der Sache. Dein Leser ist zu Mute, als ob aus dem
Bilde, das vor ihm aufgerollt wird, überall die lieben und treuen Augen des
greisen Herrschers heraufschauten, die in ihrer wunderbaren Mischung von
Hoheit und Güte -- dem schönsten Erbteil der Königin Luise -- eine ganze
Welt zu stiller Ehrfurcht und Bewunderung zwangen. Es wäre natürlich
kühn, die Auffassung und die Urteile, die Marcks giebt, als die allein giltigen
für alle Zukunft hinstellen zu wollen. Aber kein zukünftiger Biograph Wil¬
helms I. wird achtlos an diesem Buche vorübergehen können.

In der Wiege von dem trügerischen Nachruhm Friedrichs des Großen
stolz umstrahlt, dann in jähem Sturz landflüchtig und bettelarm durch die



") Sie ist vor kurzem im 42. Bande der "Allgemeinen deutschen Biographie" erschienen
und liegt nun erfreulicherweise in erweiterter Gestalt auch als besondres Buch vor (Leipzig,
Duncker und Humblot, 18S7),
Line Lebensbeschreibung Kaiser Wilhelms 1.

diese Vermutung durch seine Biographie Kaiser Wilhelms I. bestätigt.*)
Schon lange als einer der tüchtigsten unter den deutschen Historikern bekannt,
hat er durch diese Leistung seinen Ruf aufs neue begründet und sich um die
nationale Geschichtschreibung wie um das Andenken des Kaisers große Verdienste
erworben. Keiner würde die schwierige Aufgabe besser, nur sehr wenige
würden sie gleich gut gelöst haben. Der einzige, der ihm die Palme hätte
streitig machen können, Heinrich von Treitschke, der unvergeßliche und uner¬
setzliche, ist dem Begründer des Reichs ja allzufrüh ins Grab gefolgt.

Den Grundsätzen der „Allgemeinen deutschen Biographie" entsprechend,
bildet das eigentlich Biographische die Seele der Marcksschen Darstellung, und
hierin liegt zum größten Teil ihr Wert und ihr Reiz. Natürlich läßt sich
das von dem allgemein Geschichtlichen nicht trennen, aber überall steht doch
die Persönlichkeit des Kaisers im Mittelpunkte des Interesses. Auch da, wo
er in den Schatten größerer Ereignisse oder gewaltigerer Männer zurücktritt,
verlieren wir ihn nie aus den Augen. Sein Verhältnis zu den ihm um¬
gebenden Kräften und Ideen darzulegen, seine Beeinflussung durch andre und
seinen Einfluß auf andre festzustellen, das ist die Hauptaufgabe, die sich
Marcks gestellt hat. Wie ein feinsinniger Psycholog begleitet er seinen Helden
auf seinem reichen und gesegneten Lebenswege. Aus seinem Charakter heraus
erklärt er seine Entwicklung, seine Gesinnung, seine Thaten. Und wie ein¬
gehend und liebevoll, wie scharf und plastisch, wie unbefangen und gerecht hat
er diesen Charakter erfaßt und geschildert! Höfische und volkstümliche Hand¬
langer der Geschichtschreibung haben die persönliche Bedeutung Kaiser Wilhelms
oft überschätzt. Für eine wissenschaftliche Biographie lag die Gefahr näher,
sie zu unterschätzen. Von beiden: hält sich Marcks gleichweit entfernt. Er
verteilt Licht und Schatten, wie es ihm seine auf tiefeindringeuder Forschung
begründete Überzeugung gebietet. Aber über dem ganzen liegt keineswegs die
vornehme oder gar gleichgiltige Kühle kritischer Denkungsart. Er ist auch
mit seinem Herzen bei der Sache. Dein Leser ist zu Mute, als ob aus dem
Bilde, das vor ihm aufgerollt wird, überall die lieben und treuen Augen des
greisen Herrschers heraufschauten, die in ihrer wunderbaren Mischung von
Hoheit und Güte — dem schönsten Erbteil der Königin Luise — eine ganze
Welt zu stiller Ehrfurcht und Bewunderung zwangen. Es wäre natürlich
kühn, die Auffassung und die Urteile, die Marcks giebt, als die allein giltigen
für alle Zukunft hinstellen zu wollen. Aber kein zukünftiger Biograph Wil¬
helms I. wird achtlos an diesem Buche vorübergehen können.

In der Wiege von dem trügerischen Nachruhm Friedrichs des Großen
stolz umstrahlt, dann in jähem Sturz landflüchtig und bettelarm durch die



") Sie ist vor kurzem im 42. Bande der „Allgemeinen deutschen Biographie" erschienen
und liegt nun erfreulicherweise in erweiterter Gestalt auch als besondres Buch vor (Leipzig,
Duncker und Humblot, 18S7),
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/178>, abgerufen am 29.06.2024.