Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

Für die Arbeit, die auf diese Weise vom Reich sür Preußen geleistet wird,
zahlt dieses eine Aversionalsumme, bei deren Beurteilung unter anderen zu
bedenken ist, daß für den Minister der auswärtigen Angelegenheiten auf dem
preußischen Budget kein Gehaltspvsten steht. Fürst Bismarck hat überhaupt
als solcher und als Ministerpräsident keinen Gehalt bezogen, seitdem er Bundes¬
kanzler wurde, er hat also Preußen mehr als zwanzig Jahre umsonst gedient;
es ist wohl nicht unangebracht, bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern.

Die Wahl des Weges, der auf diese Weise eingeschlagen wurde, hängt
nicht damit zusammen, daß Fürst Bismarck geglaubt hätte, der Verkehr mit
Gesandten könne nur von Beamten geleitet werden, die selbst die diplomatische
Laufbahn durchgemacht hätten. Für seine gegenteilige Ansicht braucht man
nur darauf zu verweisen, in welchem Maße er Lothar Bucher an der Leitung
der auswärtigen Politik beteiligt hat. Er wußte auch, daß sich diplomatische
Schulung nicht durch Instruktionen beibringen laßt, und daß sich die Kennt¬
nisse und amtlichen Erfahrungen, die ein Gesandter für deutsche Verhältnisse
außerdem nötig hat, eher in dem innern Dienste Preußens oder des Reichs
erwerben lassen als etwa bei den Botschaften in London, Paris oder Se. Peters¬
burg. Also, das Reichskanzleramt, an dessen Spitze überdies noch Minister
Delbrück stand, war sür diese Geschäfte ebenso brauchbar wie das Auswärtige
Amt, aber dieses blieb, auch als Reichsbehörde, der unmittelbarsten Einwirkung
Fürst Bismarcks unterworfen, und seine Einwirkung war keine bloße Ober¬
leitung, sondern Mitthätigkeit, die sich auf den Betrieb selbst erstreckte; Fürst
Bismarck hat nach seinem eignen Ausdruck dem Staatssekretär des Auswärtigen
Amts "immer am meisten über die Schultern in das Papier" gesehen. Auch
diesen Staatssekretär hat er, bei derselben Gelegenheit sogar, als Minister im
englischen Sinne bezeichnet, aber sein eignes Bedürfnis, in dem, was immer sein
Ressort gewesen war, thätig zu sein, war zu groß, als daß er sich darin mit
der Stellung des englischen Premierministers begnügt hätte. So blieben denn
die betreffenden Dezernate und Bureaus ungetrennt oder im alten Zusammen¬
hange bestehen; so lagen sie Fürst Bismarck am nächsten und bequemsten, und
die Übersicht war ihm nicht erschwert.

Rechtlich blieb natürlich die Zuständigkeitsgrenze zwischen dem Reich und
Preußen von diesem znoclus vivöQcli unberührt, für Fürst Bismarck selbst
wurde sie auch dadurch nicht verdunkelt, aber für die allgemeine Auffassung
verwischte sie sich je länger je mehr, weil die genauen Aufklärungen, die er
gegeben hatte, in Vergessenheit gerieten, während das, was fortwährend in
die Augen fiel, selbständig fortwirkte. Das war die Vereinigung der eigent¬
lichen auswärtigen Politik und der preußischen Vundespolitik in einer Hand
nicht mir, sondern auch in einer Ministerialbehörde. Für die Volksan¬
schauung wurde sie zum festen Bestand und erhielt durch die Bismarckische
Persönlichkeit eine fast mystische Weihe. Das Gebiet der auswärtigen An-


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

Für die Arbeit, die auf diese Weise vom Reich sür Preußen geleistet wird,
zahlt dieses eine Aversionalsumme, bei deren Beurteilung unter anderen zu
bedenken ist, daß für den Minister der auswärtigen Angelegenheiten auf dem
preußischen Budget kein Gehaltspvsten steht. Fürst Bismarck hat überhaupt
als solcher und als Ministerpräsident keinen Gehalt bezogen, seitdem er Bundes¬
kanzler wurde, er hat also Preußen mehr als zwanzig Jahre umsonst gedient;
es ist wohl nicht unangebracht, bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern.

Die Wahl des Weges, der auf diese Weise eingeschlagen wurde, hängt
nicht damit zusammen, daß Fürst Bismarck geglaubt hätte, der Verkehr mit
Gesandten könne nur von Beamten geleitet werden, die selbst die diplomatische
Laufbahn durchgemacht hätten. Für seine gegenteilige Ansicht braucht man
nur darauf zu verweisen, in welchem Maße er Lothar Bucher an der Leitung
der auswärtigen Politik beteiligt hat. Er wußte auch, daß sich diplomatische
Schulung nicht durch Instruktionen beibringen laßt, und daß sich die Kennt¬
nisse und amtlichen Erfahrungen, die ein Gesandter für deutsche Verhältnisse
außerdem nötig hat, eher in dem innern Dienste Preußens oder des Reichs
erwerben lassen als etwa bei den Botschaften in London, Paris oder Se. Peters¬
burg. Also, das Reichskanzleramt, an dessen Spitze überdies noch Minister
Delbrück stand, war sür diese Geschäfte ebenso brauchbar wie das Auswärtige
Amt, aber dieses blieb, auch als Reichsbehörde, der unmittelbarsten Einwirkung
Fürst Bismarcks unterworfen, und seine Einwirkung war keine bloße Ober¬
leitung, sondern Mitthätigkeit, die sich auf den Betrieb selbst erstreckte; Fürst
Bismarck hat nach seinem eignen Ausdruck dem Staatssekretär des Auswärtigen
Amts „immer am meisten über die Schultern in das Papier" gesehen. Auch
diesen Staatssekretär hat er, bei derselben Gelegenheit sogar, als Minister im
englischen Sinne bezeichnet, aber sein eignes Bedürfnis, in dem, was immer sein
Ressort gewesen war, thätig zu sein, war zu groß, als daß er sich darin mit
der Stellung des englischen Premierministers begnügt hätte. So blieben denn
die betreffenden Dezernate und Bureaus ungetrennt oder im alten Zusammen¬
hange bestehen; so lagen sie Fürst Bismarck am nächsten und bequemsten, und
die Übersicht war ihm nicht erschwert.

Rechtlich blieb natürlich die Zuständigkeitsgrenze zwischen dem Reich und
Preußen von diesem znoclus vivöQcli unberührt, für Fürst Bismarck selbst
wurde sie auch dadurch nicht verdunkelt, aber für die allgemeine Auffassung
verwischte sie sich je länger je mehr, weil die genauen Aufklärungen, die er
gegeben hatte, in Vergessenheit gerieten, während das, was fortwährend in
die Augen fiel, selbständig fortwirkte. Das war die Vereinigung der eigent¬
lichen auswärtigen Politik und der preußischen Vundespolitik in einer Hand
nicht mir, sondern auch in einer Ministerialbehörde. Für die Volksan¬
schauung wurde sie zum festen Bestand und erhielt durch die Bismarckische
Persönlichkeit eine fast mystische Weihe. Das Gebiet der auswärtigen An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226395"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Reichskanzler und das preußische Ministerium</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_394" prev="#ID_393"> Für die Arbeit, die auf diese Weise vom Reich sür Preußen geleistet wird,<lb/>
zahlt dieses eine Aversionalsumme, bei deren Beurteilung unter anderen zu<lb/>
bedenken ist, daß für den Minister der auswärtigen Angelegenheiten auf dem<lb/>
preußischen Budget kein Gehaltspvsten steht. Fürst Bismarck hat überhaupt<lb/>
als solcher und als Ministerpräsident keinen Gehalt bezogen, seitdem er Bundes¬<lb/>
kanzler wurde, er hat also Preußen mehr als zwanzig Jahre umsonst gedient;<lb/>
es ist wohl nicht unangebracht, bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_395"> Die Wahl des Weges, der auf diese Weise eingeschlagen wurde, hängt<lb/>
nicht damit zusammen, daß Fürst Bismarck geglaubt hätte, der Verkehr mit<lb/>
Gesandten könne nur von Beamten geleitet werden, die selbst die diplomatische<lb/>
Laufbahn durchgemacht hätten. Für seine gegenteilige Ansicht braucht man<lb/>
nur darauf zu verweisen, in welchem Maße er Lothar Bucher an der Leitung<lb/>
der auswärtigen Politik beteiligt hat. Er wußte auch, daß sich diplomatische<lb/>
Schulung nicht durch Instruktionen beibringen laßt, und daß sich die Kennt¬<lb/>
nisse und amtlichen Erfahrungen, die ein Gesandter für deutsche Verhältnisse<lb/>
außerdem nötig hat, eher in dem innern Dienste Preußens oder des Reichs<lb/>
erwerben lassen als etwa bei den Botschaften in London, Paris oder Se. Peters¬<lb/>
burg. Also, das Reichskanzleramt, an dessen Spitze überdies noch Minister<lb/>
Delbrück stand, war sür diese Geschäfte ebenso brauchbar wie das Auswärtige<lb/>
Amt, aber dieses blieb, auch als Reichsbehörde, der unmittelbarsten Einwirkung<lb/>
Fürst Bismarcks unterworfen, und seine Einwirkung war keine bloße Ober¬<lb/>
leitung, sondern Mitthätigkeit, die sich auf den Betrieb selbst erstreckte; Fürst<lb/>
Bismarck hat nach seinem eignen Ausdruck dem Staatssekretär des Auswärtigen<lb/>
Amts &#x201E;immer am meisten über die Schultern in das Papier" gesehen. Auch<lb/>
diesen Staatssekretär hat er, bei derselben Gelegenheit sogar, als Minister im<lb/>
englischen Sinne bezeichnet, aber sein eignes Bedürfnis, in dem, was immer sein<lb/>
Ressort gewesen war, thätig zu sein, war zu groß, als daß er sich darin mit<lb/>
der Stellung des englischen Premierministers begnügt hätte. So blieben denn<lb/>
die betreffenden Dezernate und Bureaus ungetrennt oder im alten Zusammen¬<lb/>
hange bestehen; so lagen sie Fürst Bismarck am nächsten und bequemsten, und<lb/>
die Übersicht war ihm nicht erschwert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_396" next="#ID_397"> Rechtlich blieb natürlich die Zuständigkeitsgrenze zwischen dem Reich und<lb/>
Preußen von diesem znoclus vivöQcli unberührt, für Fürst Bismarck selbst<lb/>
wurde sie auch dadurch nicht verdunkelt, aber für die allgemeine Auffassung<lb/>
verwischte sie sich je länger je mehr, weil die genauen Aufklärungen, die er<lb/>
gegeben hatte, in Vergessenheit gerieten, während das, was fortwährend in<lb/>
die Augen fiel, selbständig fortwirkte. Das war die Vereinigung der eigent¬<lb/>
lichen auswärtigen Politik und der preußischen Vundespolitik in einer Hand<lb/>
nicht mir, sondern auch in einer Ministerialbehörde. Für die Volksan¬<lb/>
schauung wurde sie zum festen Bestand und erhielt durch die Bismarckische<lb/>
Persönlichkeit eine fast mystische Weihe.  Das Gebiet der auswärtigen An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium Für die Arbeit, die auf diese Weise vom Reich sür Preußen geleistet wird, zahlt dieses eine Aversionalsumme, bei deren Beurteilung unter anderen zu bedenken ist, daß für den Minister der auswärtigen Angelegenheiten auf dem preußischen Budget kein Gehaltspvsten steht. Fürst Bismarck hat überhaupt als solcher und als Ministerpräsident keinen Gehalt bezogen, seitdem er Bundes¬ kanzler wurde, er hat also Preußen mehr als zwanzig Jahre umsonst gedient; es ist wohl nicht unangebracht, bei dieser Gelegenheit daran zu erinnern. Die Wahl des Weges, der auf diese Weise eingeschlagen wurde, hängt nicht damit zusammen, daß Fürst Bismarck geglaubt hätte, der Verkehr mit Gesandten könne nur von Beamten geleitet werden, die selbst die diplomatische Laufbahn durchgemacht hätten. Für seine gegenteilige Ansicht braucht man nur darauf zu verweisen, in welchem Maße er Lothar Bucher an der Leitung der auswärtigen Politik beteiligt hat. Er wußte auch, daß sich diplomatische Schulung nicht durch Instruktionen beibringen laßt, und daß sich die Kennt¬ nisse und amtlichen Erfahrungen, die ein Gesandter für deutsche Verhältnisse außerdem nötig hat, eher in dem innern Dienste Preußens oder des Reichs erwerben lassen als etwa bei den Botschaften in London, Paris oder Se. Peters¬ burg. Also, das Reichskanzleramt, an dessen Spitze überdies noch Minister Delbrück stand, war sür diese Geschäfte ebenso brauchbar wie das Auswärtige Amt, aber dieses blieb, auch als Reichsbehörde, der unmittelbarsten Einwirkung Fürst Bismarcks unterworfen, und seine Einwirkung war keine bloße Ober¬ leitung, sondern Mitthätigkeit, die sich auf den Betrieb selbst erstreckte; Fürst Bismarck hat nach seinem eignen Ausdruck dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts „immer am meisten über die Schultern in das Papier" gesehen. Auch diesen Staatssekretär hat er, bei derselben Gelegenheit sogar, als Minister im englischen Sinne bezeichnet, aber sein eignes Bedürfnis, in dem, was immer sein Ressort gewesen war, thätig zu sein, war zu groß, als daß er sich darin mit der Stellung des englischen Premierministers begnügt hätte. So blieben denn die betreffenden Dezernate und Bureaus ungetrennt oder im alten Zusammen¬ hange bestehen; so lagen sie Fürst Bismarck am nächsten und bequemsten, und die Übersicht war ihm nicht erschwert. Rechtlich blieb natürlich die Zuständigkeitsgrenze zwischen dem Reich und Preußen von diesem znoclus vivöQcli unberührt, für Fürst Bismarck selbst wurde sie auch dadurch nicht verdunkelt, aber für die allgemeine Auffassung verwischte sie sich je länger je mehr, weil die genauen Aufklärungen, die er gegeben hatte, in Vergessenheit gerieten, während das, was fortwährend in die Augen fiel, selbständig fortwirkte. Das war die Vereinigung der eigent¬ lichen auswärtigen Politik und der preußischen Vundespolitik in einer Hand nicht mir, sondern auch in einer Ministerialbehörde. Für die Volksan¬ schauung wurde sie zum festen Bestand und erhielt durch die Bismarckische Persönlichkeit eine fast mystische Weihe. Das Gebiet der auswärtigen An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/165>, abgerufen am 29.06.2024.