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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

sein, die sich an Ort und Stelle einlebten, und sie müßten eine so ausge¬
zeichnete Stellung haben, daß ihnen die Fühlung mit allen maßgebenden
Kreisen, z. B. auch mit den Landtagen, erleichtert würde. Sie hätten alles,
was wichtig sei, zu erforschen und zu berichten, ihrerseits zu sondiren und
aufzuklären, es müßten in ihnen sogar Mittelspersonen gegeben sein, an die
Landesherren zu "appelliren." Um Fürst Bismarck redend einzuführen: "Es ist
vielleicht gerade der Widerstand meines Kollegen im Bundesrat, seine persön¬
liche Abneigung gegen eine vorgeschlagne Maßregel, die ich zu überwinden
habe; das kann ich nur, wenn mir die Mittel geboten werden, an die Quelle
zu appelliren, aus der er seine Instruktion bezieht." Solche Mittelspersonen
nnn kennt nur der diplomatische Dienst, es sprechen also für die dauernde
Beibehaltung gerade von Gesandtschaften in München, Dresden, Stuttgart usw.
Gründe mit, die unmittelbar aus der Natur der betreffenden Funktionen
fließen: der diplomatische Charakter ihrer Träger ist keine bloße Hofuniform,
sondern das einzige entsprechende Kleid. Diese Gesandten sind anch notwendiger¬
weise preußische, keine Reichsgesandten, denn sie sind zwar dazu bestimmt,
das Bundesverhältnis zu pflegen und Reichsangelegenheiten zu fordern, aber
das durchaus in der Richtung zu thun, die Preußen verfolgt und bei seinen
Bundesgenossen durchzusetzen bemüht ist. Außerdem haben sie anch rein
preußische Angelegenheiten zu besorgen: "den Schutz der Unterthanen, die
Reklamationssachen" und dergleichen; Geschäfte, die allerdings weniger be¬
deutend sind und anch abnehmen, je mehr das Reich seine Zuständigkeiten
aufbaut und dadurch einheitlicher wird.

Die Gesandtschaften Preußens stehen auf dem preußischen Budget, aber
in der Verwaltung ist dieser unentbehrliche und wertvolle Nest seines diploma¬
tischen Dienstes nicht ganz von dem Hauptstamm abgelöst worden, als dieser
endgiltig aufs Reich überging. Das damals als Reichsbehörde geschaffne
Auswärtige Amt nahm nämlich nicht nur den ganzen für das wirkliche
Ausland bestimmten diplomatischen Dienst, sondern auch alle Berliner Bureaus
des preußischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in sich auf,
sodaß dessen Vorstand keine eignen Hilfskräfte mehr hatte, namentlich auch
nicht für den Verkehr mit den Gesandten seines Ressorts. Thatsächlich er¬
gaben sich daraus keine Schwierigkeiten, weil der Minister zugleich Reichs¬
kanzler und als solcher Vorgesetzter sämtlicher Neichsbehörden war; bei ihnen
war er sicher, die nötigen Haupt- und Nebengehilfen zu finden. Fürst Bis¬
marck, der damals am Nuder war, hielt sich dafür begreiflicherweise an den
Erben des Hauptstammes, und so übernahm das Personal des neuen Aus¬
wärtigen Amts die betreffenden an sich preußischen Geschäfte, also die Korre¬
spondenz, die Jnstruirung, die Personalsachen, die Verwertung der Berichte
und Ergebnisse, unter und neben dem Chef. Dasselbe geschah, als die preu¬
ßischen Gesandtschaften durch die beim päpstlichen Stuhl vermehrt wurden.


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

sein, die sich an Ort und Stelle einlebten, und sie müßten eine so ausge¬
zeichnete Stellung haben, daß ihnen die Fühlung mit allen maßgebenden
Kreisen, z. B. auch mit den Landtagen, erleichtert würde. Sie hätten alles,
was wichtig sei, zu erforschen und zu berichten, ihrerseits zu sondiren und
aufzuklären, es müßten in ihnen sogar Mittelspersonen gegeben sein, an die
Landesherren zu „appelliren." Um Fürst Bismarck redend einzuführen: „Es ist
vielleicht gerade der Widerstand meines Kollegen im Bundesrat, seine persön¬
liche Abneigung gegen eine vorgeschlagne Maßregel, die ich zu überwinden
habe; das kann ich nur, wenn mir die Mittel geboten werden, an die Quelle
zu appelliren, aus der er seine Instruktion bezieht." Solche Mittelspersonen
nnn kennt nur der diplomatische Dienst, es sprechen also für die dauernde
Beibehaltung gerade von Gesandtschaften in München, Dresden, Stuttgart usw.
Gründe mit, die unmittelbar aus der Natur der betreffenden Funktionen
fließen: der diplomatische Charakter ihrer Träger ist keine bloße Hofuniform,
sondern das einzige entsprechende Kleid. Diese Gesandten sind anch notwendiger¬
weise preußische, keine Reichsgesandten, denn sie sind zwar dazu bestimmt,
das Bundesverhältnis zu pflegen und Reichsangelegenheiten zu fordern, aber
das durchaus in der Richtung zu thun, die Preußen verfolgt und bei seinen
Bundesgenossen durchzusetzen bemüht ist. Außerdem haben sie anch rein
preußische Angelegenheiten zu besorgen: „den Schutz der Unterthanen, die
Reklamationssachen" und dergleichen; Geschäfte, die allerdings weniger be¬
deutend sind und anch abnehmen, je mehr das Reich seine Zuständigkeiten
aufbaut und dadurch einheitlicher wird.

Die Gesandtschaften Preußens stehen auf dem preußischen Budget, aber
in der Verwaltung ist dieser unentbehrliche und wertvolle Nest seines diploma¬
tischen Dienstes nicht ganz von dem Hauptstamm abgelöst worden, als dieser
endgiltig aufs Reich überging. Das damals als Reichsbehörde geschaffne
Auswärtige Amt nahm nämlich nicht nur den ganzen für das wirkliche
Ausland bestimmten diplomatischen Dienst, sondern auch alle Berliner Bureaus
des preußischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in sich auf,
sodaß dessen Vorstand keine eignen Hilfskräfte mehr hatte, namentlich auch
nicht für den Verkehr mit den Gesandten seines Ressorts. Thatsächlich er¬
gaben sich daraus keine Schwierigkeiten, weil der Minister zugleich Reichs¬
kanzler und als solcher Vorgesetzter sämtlicher Neichsbehörden war; bei ihnen
war er sicher, die nötigen Haupt- und Nebengehilfen zu finden. Fürst Bis¬
marck, der damals am Nuder war, hielt sich dafür begreiflicherweise an den
Erben des Hauptstammes, und so übernahm das Personal des neuen Aus¬
wärtigen Amts die betreffenden an sich preußischen Geschäfte, also die Korre¬
spondenz, die Jnstruirung, die Personalsachen, die Verwertung der Berichte
und Ergebnisse, unter und neben dem Chef. Dasselbe geschah, als die preu¬
ßischen Gesandtschaften durch die beim päpstlichen Stuhl vermehrt wurden.


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[0164] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium sein, die sich an Ort und Stelle einlebten, und sie müßten eine so ausge¬ zeichnete Stellung haben, daß ihnen die Fühlung mit allen maßgebenden Kreisen, z. B. auch mit den Landtagen, erleichtert würde. Sie hätten alles, was wichtig sei, zu erforschen und zu berichten, ihrerseits zu sondiren und aufzuklären, es müßten in ihnen sogar Mittelspersonen gegeben sein, an die Landesherren zu „appelliren." Um Fürst Bismarck redend einzuführen: „Es ist vielleicht gerade der Widerstand meines Kollegen im Bundesrat, seine persön¬ liche Abneigung gegen eine vorgeschlagne Maßregel, die ich zu überwinden habe; das kann ich nur, wenn mir die Mittel geboten werden, an die Quelle zu appelliren, aus der er seine Instruktion bezieht." Solche Mittelspersonen nnn kennt nur der diplomatische Dienst, es sprechen also für die dauernde Beibehaltung gerade von Gesandtschaften in München, Dresden, Stuttgart usw. Gründe mit, die unmittelbar aus der Natur der betreffenden Funktionen fließen: der diplomatische Charakter ihrer Träger ist keine bloße Hofuniform, sondern das einzige entsprechende Kleid. Diese Gesandten sind anch notwendiger¬ weise preußische, keine Reichsgesandten, denn sie sind zwar dazu bestimmt, das Bundesverhältnis zu pflegen und Reichsangelegenheiten zu fordern, aber das durchaus in der Richtung zu thun, die Preußen verfolgt und bei seinen Bundesgenossen durchzusetzen bemüht ist. Außerdem haben sie anch rein preußische Angelegenheiten zu besorgen: „den Schutz der Unterthanen, die Reklamationssachen" und dergleichen; Geschäfte, die allerdings weniger be¬ deutend sind und anch abnehmen, je mehr das Reich seine Zuständigkeiten aufbaut und dadurch einheitlicher wird. Die Gesandtschaften Preußens stehen auf dem preußischen Budget, aber in der Verwaltung ist dieser unentbehrliche und wertvolle Nest seines diploma¬ tischen Dienstes nicht ganz von dem Hauptstamm abgelöst worden, als dieser endgiltig aufs Reich überging. Das damals als Reichsbehörde geschaffne Auswärtige Amt nahm nämlich nicht nur den ganzen für das wirkliche Ausland bestimmten diplomatischen Dienst, sondern auch alle Berliner Bureaus des preußischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten in sich auf, sodaß dessen Vorstand keine eignen Hilfskräfte mehr hatte, namentlich auch nicht für den Verkehr mit den Gesandten seines Ressorts. Thatsächlich er¬ gaben sich daraus keine Schwierigkeiten, weil der Minister zugleich Reichs¬ kanzler und als solcher Vorgesetzter sämtlicher Neichsbehörden war; bei ihnen war er sicher, die nötigen Haupt- und Nebengehilfen zu finden. Fürst Bis¬ marck, der damals am Nuder war, hielt sich dafür begreiflicherweise an den Erben des Hauptstammes, und so übernahm das Personal des neuen Aus¬ wärtigen Amts die betreffenden an sich preußischen Geschäfte, also die Korre¬ spondenz, die Jnstruirung, die Personalsachen, die Verwertung der Berichte und Ergebnisse, unter und neben dem Chef. Dasselbe geschah, als die preu¬ ßischen Gesandtschaften durch die beim päpstlichen Stuhl vermehrt wurden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/164>, abgerufen am 29.06.2024.