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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Allbcnrische Ivanderuugen

Im Eisenbahnnetz ist Nürnberg ohne Zweifel der zweite Knotenpunkt. Die
altbairische Läßlichkeit war ganz geeignet, aus reichsstädtischen Zuständen
schonend in die Stellung einer Provinzialstadt überzuleiten. Der konfessionelle
Gegensatz ist im allgemeinen klug behandelt worden. Größer ist nach allen
Zeugnissen der Abstand in den einst preußischen, früher ansbachisch-bayreu-
thischen Landesteilen empfunden worden. Preußen hatte hier vor Thorschluß noch
einige seiner besten Leute hergesandt, Hardenberg, Humboldt, mit denen die alt-
bairischen Beamten nicht konkurriren konnten. Diese standen z. V. im Bergwesen
weit zurück. Die hie und da noch vorhandnen preußischen Sympathie" haben
aber nicht einmal vermocht, das Luisen-Festspiel auf der Luisenbnrg bei Wun-
siedel über dem Wasser zu halten.

Doch zurück nach Altbaiern, und zwar recht in die Mitte hinein. Die
vom Rhein her kommenden Nibelungen fanden in der Passauer Gegend nicht
eben den freundlichsten Empfang. Von fränkischer Leichtlebigkeit und öster¬
reichischer Weichmütigkeit sind gerade hier die Altbaiern am weitesten entfernt.
Nicht bloß die Bauern, auch die Bürger der in Altbaiern wenig zahlreichen
Städte befleißigen sich nicht ungern einer naturwüchsigen Ungcschlachtheit.
Wer sie nicht hat, erzieht sie sich an und gewinnt damit Lebensart. Grobheit,
die mit Aufrichtigkeit und Mutterwitz verbunden ist, ziert den Mann. Ein
grober Wirt zieht die Gäste an, statt sie zu verscheuchen. Neben Jagdgeschichten
gehören Erzählungen von groben Wirten und Beamten zu deu beliebtesten
Würzen der Unterhaltung; und dazu passen trefflich die Maßkrüge kräftigen
Bieres, wozu "abgebrannte" Kalbshaxen von fabelhafter Größe und unförm¬
liche Portionen Kalbs- und Schweinsbraten verzehrt werden.

Die Neigung zur Volkstracht ist unter solche" Verhältnissen überall da,
sie wagt sich in allerlei Formen schüchtern vor. Aber sie kommt zu keinem
rechten Halt mehr, wen" er ihr nicht von außen geboten wird. Daran hat
es nun gerade in Baiern nicht gefehlt. Im Gebirge sind schwarzlederne Knie¬
hosen, Wadenstrümpfe, Joppe und "a greans Hüatl" mit dem Gemsbart oder
der Spielhahnfcder gleichsam offiziell für alle Jäger und für viele Touristen.
Wenn der Prinzregent mit seine"! ganzen Jagdgefolgc in dieser Tracht im
Berchtesgadner Land, im Jsarthal über Lenggrieß oder im Algän jagt, giebt er
ein weithin leuchtendes Beispiel der Schätzung der alten guten Tracht. In
derselbe" Richtung sind die Vvlkstrachtcnvereine wirksam und am "leisten wohl
einflußreiche Geistliche, die der jünger" Generation keinen Zweifel darüber küssen,
daß die Tracht der eigentliche Kirchenanzug sei. Die Hauptsache ist aber doch
immer, daß die züngelnden, wegspülenden Wellen des modernen Lebens überhaupt
nie in diese alten Höfe fo hineingedrungen sind, wie in die fränkischen und ober-
Pfälzischen Dörfer. Daran steckt auch im Bau und Hausrat viel Altertümliches
und Schönes, wovon leider das beste an die Trödler übergegangen ist. Ich
habe romanische Säulen aus Untersberger Marmor im Giebel eines Bauern-


Allbcnrische Ivanderuugen

Im Eisenbahnnetz ist Nürnberg ohne Zweifel der zweite Knotenpunkt. Die
altbairische Läßlichkeit war ganz geeignet, aus reichsstädtischen Zuständen
schonend in die Stellung einer Provinzialstadt überzuleiten. Der konfessionelle
Gegensatz ist im allgemeinen klug behandelt worden. Größer ist nach allen
Zeugnissen der Abstand in den einst preußischen, früher ansbachisch-bayreu-
thischen Landesteilen empfunden worden. Preußen hatte hier vor Thorschluß noch
einige seiner besten Leute hergesandt, Hardenberg, Humboldt, mit denen die alt-
bairischen Beamten nicht konkurriren konnten. Diese standen z. V. im Bergwesen
weit zurück. Die hie und da noch vorhandnen preußischen Sympathie» haben
aber nicht einmal vermocht, das Luisen-Festspiel auf der Luisenbnrg bei Wun-
siedel über dem Wasser zu halten.

Doch zurück nach Altbaiern, und zwar recht in die Mitte hinein. Die
vom Rhein her kommenden Nibelungen fanden in der Passauer Gegend nicht
eben den freundlichsten Empfang. Von fränkischer Leichtlebigkeit und öster¬
reichischer Weichmütigkeit sind gerade hier die Altbaiern am weitesten entfernt.
Nicht bloß die Bauern, auch die Bürger der in Altbaiern wenig zahlreichen
Städte befleißigen sich nicht ungern einer naturwüchsigen Ungcschlachtheit.
Wer sie nicht hat, erzieht sie sich an und gewinnt damit Lebensart. Grobheit,
die mit Aufrichtigkeit und Mutterwitz verbunden ist, ziert den Mann. Ein
grober Wirt zieht die Gäste an, statt sie zu verscheuchen. Neben Jagdgeschichten
gehören Erzählungen von groben Wirten und Beamten zu deu beliebtesten
Würzen der Unterhaltung; und dazu passen trefflich die Maßkrüge kräftigen
Bieres, wozu „abgebrannte" Kalbshaxen von fabelhafter Größe und unförm¬
liche Portionen Kalbs- und Schweinsbraten verzehrt werden.

Die Neigung zur Volkstracht ist unter solche» Verhältnissen überall da,
sie wagt sich in allerlei Formen schüchtern vor. Aber sie kommt zu keinem
rechten Halt mehr, wen» er ihr nicht von außen geboten wird. Daran hat
es nun gerade in Baiern nicht gefehlt. Im Gebirge sind schwarzlederne Knie¬
hosen, Wadenstrümpfe, Joppe und „a greans Hüatl" mit dem Gemsbart oder
der Spielhahnfcder gleichsam offiziell für alle Jäger und für viele Touristen.
Wenn der Prinzregent mit seine»! ganzen Jagdgefolgc in dieser Tracht im
Berchtesgadner Land, im Jsarthal über Lenggrieß oder im Algän jagt, giebt er
ein weithin leuchtendes Beispiel der Schätzung der alten guten Tracht. In
derselbe» Richtung sind die Vvlkstrachtcnvereine wirksam und am »leisten wohl
einflußreiche Geistliche, die der jünger» Generation keinen Zweifel darüber küssen,
daß die Tracht der eigentliche Kirchenanzug sei. Die Hauptsache ist aber doch
immer, daß die züngelnden, wegspülenden Wellen des modernen Lebens überhaupt
nie in diese alten Höfe fo hineingedrungen sind, wie in die fränkischen und ober-
Pfälzischen Dörfer. Daran steckt auch im Bau und Hausrat viel Altertümliches
und Schönes, wovon leider das beste an die Trödler übergegangen ist. Ich
habe romanische Säulen aus Untersberger Marmor im Giebel eines Bauern-


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[0151] Allbcnrische Ivanderuugen Im Eisenbahnnetz ist Nürnberg ohne Zweifel der zweite Knotenpunkt. Die altbairische Läßlichkeit war ganz geeignet, aus reichsstädtischen Zuständen schonend in die Stellung einer Provinzialstadt überzuleiten. Der konfessionelle Gegensatz ist im allgemeinen klug behandelt worden. Größer ist nach allen Zeugnissen der Abstand in den einst preußischen, früher ansbachisch-bayreu- thischen Landesteilen empfunden worden. Preußen hatte hier vor Thorschluß noch einige seiner besten Leute hergesandt, Hardenberg, Humboldt, mit denen die alt- bairischen Beamten nicht konkurriren konnten. Diese standen z. V. im Bergwesen weit zurück. Die hie und da noch vorhandnen preußischen Sympathie» haben aber nicht einmal vermocht, das Luisen-Festspiel auf der Luisenbnrg bei Wun- siedel über dem Wasser zu halten. Doch zurück nach Altbaiern, und zwar recht in die Mitte hinein. Die vom Rhein her kommenden Nibelungen fanden in der Passauer Gegend nicht eben den freundlichsten Empfang. Von fränkischer Leichtlebigkeit und öster¬ reichischer Weichmütigkeit sind gerade hier die Altbaiern am weitesten entfernt. Nicht bloß die Bauern, auch die Bürger der in Altbaiern wenig zahlreichen Städte befleißigen sich nicht ungern einer naturwüchsigen Ungcschlachtheit. Wer sie nicht hat, erzieht sie sich an und gewinnt damit Lebensart. Grobheit, die mit Aufrichtigkeit und Mutterwitz verbunden ist, ziert den Mann. Ein grober Wirt zieht die Gäste an, statt sie zu verscheuchen. Neben Jagdgeschichten gehören Erzählungen von groben Wirten und Beamten zu deu beliebtesten Würzen der Unterhaltung; und dazu passen trefflich die Maßkrüge kräftigen Bieres, wozu „abgebrannte" Kalbshaxen von fabelhafter Größe und unförm¬ liche Portionen Kalbs- und Schweinsbraten verzehrt werden. Die Neigung zur Volkstracht ist unter solche» Verhältnissen überall da, sie wagt sich in allerlei Formen schüchtern vor. Aber sie kommt zu keinem rechten Halt mehr, wen» er ihr nicht von außen geboten wird. Daran hat es nun gerade in Baiern nicht gefehlt. Im Gebirge sind schwarzlederne Knie¬ hosen, Wadenstrümpfe, Joppe und „a greans Hüatl" mit dem Gemsbart oder der Spielhahnfcder gleichsam offiziell für alle Jäger und für viele Touristen. Wenn der Prinzregent mit seine»! ganzen Jagdgefolgc in dieser Tracht im Berchtesgadner Land, im Jsarthal über Lenggrieß oder im Algän jagt, giebt er ein weithin leuchtendes Beispiel der Schätzung der alten guten Tracht. In derselbe» Richtung sind die Vvlkstrachtcnvereine wirksam und am »leisten wohl einflußreiche Geistliche, die der jünger» Generation keinen Zweifel darüber küssen, daß die Tracht der eigentliche Kirchenanzug sei. Die Hauptsache ist aber doch immer, daß die züngelnden, wegspülenden Wellen des modernen Lebens überhaupt nie in diese alten Höfe fo hineingedrungen sind, wie in die fränkischen und ober- Pfälzischen Dörfer. Daran steckt auch im Bau und Hausrat viel Altertümliches und Schönes, wovon leider das beste an die Trödler übergegangen ist. Ich habe romanische Säulen aus Untersberger Marmor im Giebel eines Bauern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/151>, abgerufen am 26.06.2024.