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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Platens Tagebücher

peinliche Eindrucks daß Platen durch einen dunkeln Zug seines Wesens ge¬
zwungen wurde, zwei Empfindungen und Sehnsuchten zu mischen, die, wie
nahe verwandt sie immer sein mögen, die Natur, jede einfache, ursprüngliche,
wie jede geläuterte Empfindung einmal für allemal getrennt haben. Platen
seufzt (23. Mai 1816) tief auf über die vernunftlose Leidenschaft, die träumende
Thorheit, einen jungen Mann (ach nicht einen, es sind ihrer schon in diesem
ersten Bande nahezu ein Dutzend!), der seinen Augen wohlgefällt, der ihn
durch gar nichts zu glauben berechtigt, daß er sein Freund werden könne,
heiß zu lieben. "Diese Schwäche, die ich mit verliebter Nachsicht behandle,
wirft den schwärzesten Schatten auf mein jetziges Leben, und alle, die mich
von der Seite kennen lernen werden, müssen mich verachten. Nie wird es
mir gelingen, Freundschaft und Liebe zu vereinigen. Das süße Sehnen der
Liebe ist nun einmal der Freundschaft nicht gegeben, und ewig wird der Liebe
die Dauer und Treue der Freundschaft fehlen. Die innige Vereinigung beider
Gefühle würde zu selig sein für ein Menschenherz. Ich weiß das alles, ich
erkenne meinen Wahn, und doch!" In verhängnisvoller Willenlosigkeit, wie
sie nnr der Leidenschaft für ein Weib zu eigen sein kann (und selbst da, wenn
nichts andres hinzutritt, kaum Liebe genannt werden sollte), hängt sich Platens
Phantasie an stattliche männliche Erscheinungen, schwärmt er von seinen schönen
blonden Freunden. Aber auch in diesem Wahn, diesem Phantasieransch, an¬
ziehenden Gestalten und Gesichtern alle erdenklichen moralischen Qualitäten
beizumessen, fehlt eine ideale, dem eignen Vilduugs- und Vervollkommnnngs-
drange verwandte Seite nicht. Am 16. März 1816 verteidigt Platen die aus
Betrachtung der reinen Gesichtszüge, aus der Anziehungskraft von Mienen,
Geberden und Blicken entspringende leidenschaftliche Sehnsucht nach intimster
Freundschaft mit einem jungen Manne vor sich selbst mit den Worten, daß
die Leidenschaftlichkeit der Freundschaft keinen Abbruch thun könne, ja ihr
sogar einen Reiz mehr verschaffen müsse. "Übrigens aber ist meine Leiden¬
schaftlichkeit nicht Leidenschaft für Wilhelms Person, sondern nur der heiße
Drang des ungestillten Wunsches. Sei dem, wie ihm wolle, ich fühle, daß
diese Neigung etwas Edles ist und sich auf edle Weise in mir gestaltet. Ihr
oestreben ist, ihres Gegenstandes so würdig als möglich zu werden und wo
möglich die Fehler und Schwachheiten des Gegenstandes selbst zu veredeln
und zu bessern. Es wäre mein höchster Triumph, meinen Wilhelm zum besten
der Menschen zu machen."

Selbst wenn die Mitteilungen der "Tagebücher" auf solche und ähnliche
Äußerungen beschränkt wären, so würden wir zur Genüge wissen, unter welchem
Drucke Platens Jugendleben gestanden hat. Nun aber ziehen sich Bogen für
Bogen die Niederschriften über die innern Leiden und Kämpfe hin, die er zu
bestehen hatte. Wir sehen, wie ihm, dem ausgesprochnen Nichtsoldaten. doch
dle Stunde der Parade die liebste ist, weil er da Gelegenheit hat, die Gegen-
Gre


nzbotcn III Z897 11
Platens Tagebücher

peinliche Eindrucks daß Platen durch einen dunkeln Zug seines Wesens ge¬
zwungen wurde, zwei Empfindungen und Sehnsuchten zu mischen, die, wie
nahe verwandt sie immer sein mögen, die Natur, jede einfache, ursprüngliche,
wie jede geläuterte Empfindung einmal für allemal getrennt haben. Platen
seufzt (23. Mai 1816) tief auf über die vernunftlose Leidenschaft, die träumende
Thorheit, einen jungen Mann (ach nicht einen, es sind ihrer schon in diesem
ersten Bande nahezu ein Dutzend!), der seinen Augen wohlgefällt, der ihn
durch gar nichts zu glauben berechtigt, daß er sein Freund werden könne,
heiß zu lieben. „Diese Schwäche, die ich mit verliebter Nachsicht behandle,
wirft den schwärzesten Schatten auf mein jetziges Leben, und alle, die mich
von der Seite kennen lernen werden, müssen mich verachten. Nie wird es
mir gelingen, Freundschaft und Liebe zu vereinigen. Das süße Sehnen der
Liebe ist nun einmal der Freundschaft nicht gegeben, und ewig wird der Liebe
die Dauer und Treue der Freundschaft fehlen. Die innige Vereinigung beider
Gefühle würde zu selig sein für ein Menschenherz. Ich weiß das alles, ich
erkenne meinen Wahn, und doch!" In verhängnisvoller Willenlosigkeit, wie
sie nnr der Leidenschaft für ein Weib zu eigen sein kann (und selbst da, wenn
nichts andres hinzutritt, kaum Liebe genannt werden sollte), hängt sich Platens
Phantasie an stattliche männliche Erscheinungen, schwärmt er von seinen schönen
blonden Freunden. Aber auch in diesem Wahn, diesem Phantasieransch, an¬
ziehenden Gestalten und Gesichtern alle erdenklichen moralischen Qualitäten
beizumessen, fehlt eine ideale, dem eignen Vilduugs- und Vervollkommnnngs-
drange verwandte Seite nicht. Am 16. März 1816 verteidigt Platen die aus
Betrachtung der reinen Gesichtszüge, aus der Anziehungskraft von Mienen,
Geberden und Blicken entspringende leidenschaftliche Sehnsucht nach intimster
Freundschaft mit einem jungen Manne vor sich selbst mit den Worten, daß
die Leidenschaftlichkeit der Freundschaft keinen Abbruch thun könne, ja ihr
sogar einen Reiz mehr verschaffen müsse. „Übrigens aber ist meine Leiden¬
schaftlichkeit nicht Leidenschaft für Wilhelms Person, sondern nur der heiße
Drang des ungestillten Wunsches. Sei dem, wie ihm wolle, ich fühle, daß
diese Neigung etwas Edles ist und sich auf edle Weise in mir gestaltet. Ihr
oestreben ist, ihres Gegenstandes so würdig als möglich zu werden und wo
möglich die Fehler und Schwachheiten des Gegenstandes selbst zu veredeln
und zu bessern. Es wäre mein höchster Triumph, meinen Wilhelm zum besten
der Menschen zu machen."

Selbst wenn die Mitteilungen der „Tagebücher" auf solche und ähnliche
Äußerungen beschränkt wären, so würden wir zur Genüge wissen, unter welchem
Drucke Platens Jugendleben gestanden hat. Nun aber ziehen sich Bogen für
Bogen die Niederschriften über die innern Leiden und Kämpfe hin, die er zu
bestehen hatte. Wir sehen, wie ihm, dem ausgesprochnen Nichtsoldaten. doch
dle Stunde der Parade die liebste ist, weil er da Gelegenheit hat, die Gegen-
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[0089] Platens Tagebücher peinliche Eindrucks daß Platen durch einen dunkeln Zug seines Wesens ge¬ zwungen wurde, zwei Empfindungen und Sehnsuchten zu mischen, die, wie nahe verwandt sie immer sein mögen, die Natur, jede einfache, ursprüngliche, wie jede geläuterte Empfindung einmal für allemal getrennt haben. Platen seufzt (23. Mai 1816) tief auf über die vernunftlose Leidenschaft, die träumende Thorheit, einen jungen Mann (ach nicht einen, es sind ihrer schon in diesem ersten Bande nahezu ein Dutzend!), der seinen Augen wohlgefällt, der ihn durch gar nichts zu glauben berechtigt, daß er sein Freund werden könne, heiß zu lieben. „Diese Schwäche, die ich mit verliebter Nachsicht behandle, wirft den schwärzesten Schatten auf mein jetziges Leben, und alle, die mich von der Seite kennen lernen werden, müssen mich verachten. Nie wird es mir gelingen, Freundschaft und Liebe zu vereinigen. Das süße Sehnen der Liebe ist nun einmal der Freundschaft nicht gegeben, und ewig wird der Liebe die Dauer und Treue der Freundschaft fehlen. Die innige Vereinigung beider Gefühle würde zu selig sein für ein Menschenherz. Ich weiß das alles, ich erkenne meinen Wahn, und doch!" In verhängnisvoller Willenlosigkeit, wie sie nnr der Leidenschaft für ein Weib zu eigen sein kann (und selbst da, wenn nichts andres hinzutritt, kaum Liebe genannt werden sollte), hängt sich Platens Phantasie an stattliche männliche Erscheinungen, schwärmt er von seinen schönen blonden Freunden. Aber auch in diesem Wahn, diesem Phantasieransch, an¬ ziehenden Gestalten und Gesichtern alle erdenklichen moralischen Qualitäten beizumessen, fehlt eine ideale, dem eignen Vilduugs- und Vervollkommnnngs- drange verwandte Seite nicht. Am 16. März 1816 verteidigt Platen die aus Betrachtung der reinen Gesichtszüge, aus der Anziehungskraft von Mienen, Geberden und Blicken entspringende leidenschaftliche Sehnsucht nach intimster Freundschaft mit einem jungen Manne vor sich selbst mit den Worten, daß die Leidenschaftlichkeit der Freundschaft keinen Abbruch thun könne, ja ihr sogar einen Reiz mehr verschaffen müsse. „Übrigens aber ist meine Leiden¬ schaftlichkeit nicht Leidenschaft für Wilhelms Person, sondern nur der heiße Drang des ungestillten Wunsches. Sei dem, wie ihm wolle, ich fühle, daß diese Neigung etwas Edles ist und sich auf edle Weise in mir gestaltet. Ihr oestreben ist, ihres Gegenstandes so würdig als möglich zu werden und wo möglich die Fehler und Schwachheiten des Gegenstandes selbst zu veredeln und zu bessern. Es wäre mein höchster Triumph, meinen Wilhelm zum besten der Menschen zu machen." Selbst wenn die Mitteilungen der „Tagebücher" auf solche und ähnliche Äußerungen beschränkt wären, so würden wir zur Genüge wissen, unter welchem Drucke Platens Jugendleben gestanden hat. Nun aber ziehen sich Bogen für Bogen die Niederschriften über die innern Leiden und Kämpfe hin, die er zu bestehen hatte. Wir sehen, wie ihm, dem ausgesprochnen Nichtsoldaten. doch dle Stunde der Parade die liebste ist, weil er da Gelegenheit hat, die Gegen- Gre nzbotcn III Z897 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/89>, abgerufen am 29.12.2024.