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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die älteste Besiedlung Deutschlands

als sie im dritten Jahrhundert den römischen Limes durchbrachen und in die
Zehntlande (Rheinhessen, Württemberg und Baden) eindrangen, endlich seit der
Wende des vierten und fünften Jahrhunderts sich über die Donau und den
Rhein ausbreiteten und nach Britannien hinübergingen, trafen sie überall
keltische oder römische Ansiedlungen. Da diese somit die Grundlagen deutschen
Volkstums und deutscher Kultur wurden, so sucht Meitzen ein klares Bild
sowohl von der echten keltischen als von der römischen Vesiedlnngswei.se zu
gewinnen. Zu diesem Zweck untersucht er zunächst die Verhältnisse eines von
jeher rein keltischen Landes, nämlich Irlands. Hier in diesem weiten, sehr
gleichmäßigen Flachlande, das durch seinen üppigen Graswuchs zur Viehwirt¬
schaft wie geschaffen ist, erscheint als die herrschende Form des Anbaues nicht
das Dorf, wie im altgermanischen Volkslande, sondern der Einzelhof (wie) zu
16 bis 32 Hektaren, der mitten in seiner Flur steht. Von diesen Einzelhöfeu,
deren Ursprung bis in die Zeit der Weidewirtschaft zurückreicht, bildeten je
vier ein Wartsr, vier eiuartsrs ein halt, dreißig v-Ms (englisch tovnlM(l8, d. h.
Zaunland, wegen der für den Ackerbau eingezäunten Schläge) einen olmr unter
einem Häuptling, deren es in den vier irischen Königreichen im ganzen 184
gab. Den Übergang von der Weidewirtschaft zur festen Ansiedlung setzt Meitzen
um 600 n. Chr., nachdem zunächst große Auswandrungen (der Stolen um 250,
der Pillen um 500) den Überschuß der Bevölkerung nach Schottland abgeleitet
hatten. Der Grund und Boden blieb dabei im Gesamteigentum des Claus,
die es.et wurde nur auf Lebenszeit zur Nutzung verliehen; nur die Häuptlinge
und Edeln, deren Gewalt rasch ausschlaggebend wurde, machten ihren Besitz
bald erblich. In Britannien haben sich die Zustände vor der römischen Er¬
oberung diesen spätern irischen genähert, in Gallien waren sie schon zu Cäsars
Zeit wesentlich über diese Stufe hinausgeschritten, denn neben den Einzelhöfcn
(asäiüeia) gab es Dörfer (viol) und ansehnliche ummauerte Städte, die Er¬
zeugnisse eines regen Verkehrs, und der zahlreiche Adel hatte die Masse des
Volks in die Hörigkeit herabgedrückt. Sehr ausführlich schildert dann Meitzen
die italienische Besiedlungs- und Wirtschaftsweise, denn sie ergriff ja auch das
alte Kelteuland, brachte dort die kapitalistische Großwirtschaft mit Pachtsystem und
Sklavenbetrieb zur vollen Entfaltung und begründete ganz römisch angelegte Guts¬
höfe (villÄk) auch rechts vom Rhein im Zehntlande. Dort lassen sich zahlreiche
Neste solcher noch heute mit hinreichender Deutlichkeit nachweisen, wovon Meitzen
ein verhältnismäßig wohl erhaltenes Beispiel aus der Gegend von Pforzheim
vorführt. Diese römischen villas waren Einzelhöfe inmitten ihrer Feldflur von
100 bis 200 ju"srg. (Morgen), die in regelmäßige Quadrate geteilt war.

In drei großen Strömen ergossen sich die germanischen Völkerschaften über
dieses keltisch-römische Kulturland. Die fränkisch-vandilische (d. h. ostdeutsche,
westgotische, burgundische. vandalische) Wanderung nahm das nördliche Rhein¬
land und Gallien in Besitz, die suebisch-oberdeutschen Stämme (Alemannen,


Die älteste Besiedlung Deutschlands

als sie im dritten Jahrhundert den römischen Limes durchbrachen und in die
Zehntlande (Rheinhessen, Württemberg und Baden) eindrangen, endlich seit der
Wende des vierten und fünften Jahrhunderts sich über die Donau und den
Rhein ausbreiteten und nach Britannien hinübergingen, trafen sie überall
keltische oder römische Ansiedlungen. Da diese somit die Grundlagen deutschen
Volkstums und deutscher Kultur wurden, so sucht Meitzen ein klares Bild
sowohl von der echten keltischen als von der römischen Vesiedlnngswei.se zu
gewinnen. Zu diesem Zweck untersucht er zunächst die Verhältnisse eines von
jeher rein keltischen Landes, nämlich Irlands. Hier in diesem weiten, sehr
gleichmäßigen Flachlande, das durch seinen üppigen Graswuchs zur Viehwirt¬
schaft wie geschaffen ist, erscheint als die herrschende Form des Anbaues nicht
das Dorf, wie im altgermanischen Volkslande, sondern der Einzelhof (wie) zu
16 bis 32 Hektaren, der mitten in seiner Flur steht. Von diesen Einzelhöfeu,
deren Ursprung bis in die Zeit der Weidewirtschaft zurückreicht, bildeten je
vier ein Wartsr, vier eiuartsrs ein halt, dreißig v-Ms (englisch tovnlM(l8, d. h.
Zaunland, wegen der für den Ackerbau eingezäunten Schläge) einen olmr unter
einem Häuptling, deren es in den vier irischen Königreichen im ganzen 184
gab. Den Übergang von der Weidewirtschaft zur festen Ansiedlung setzt Meitzen
um 600 n. Chr., nachdem zunächst große Auswandrungen (der Stolen um 250,
der Pillen um 500) den Überschuß der Bevölkerung nach Schottland abgeleitet
hatten. Der Grund und Boden blieb dabei im Gesamteigentum des Claus,
die es.et wurde nur auf Lebenszeit zur Nutzung verliehen; nur die Häuptlinge
und Edeln, deren Gewalt rasch ausschlaggebend wurde, machten ihren Besitz
bald erblich. In Britannien haben sich die Zustände vor der römischen Er¬
oberung diesen spätern irischen genähert, in Gallien waren sie schon zu Cäsars
Zeit wesentlich über diese Stufe hinausgeschritten, denn neben den Einzelhöfcn
(asäiüeia) gab es Dörfer (viol) und ansehnliche ummauerte Städte, die Er¬
zeugnisse eines regen Verkehrs, und der zahlreiche Adel hatte die Masse des
Volks in die Hörigkeit herabgedrückt. Sehr ausführlich schildert dann Meitzen
die italienische Besiedlungs- und Wirtschaftsweise, denn sie ergriff ja auch das
alte Kelteuland, brachte dort die kapitalistische Großwirtschaft mit Pachtsystem und
Sklavenbetrieb zur vollen Entfaltung und begründete ganz römisch angelegte Guts¬
höfe (villÄk) auch rechts vom Rhein im Zehntlande. Dort lassen sich zahlreiche
Neste solcher noch heute mit hinreichender Deutlichkeit nachweisen, wovon Meitzen
ein verhältnismäßig wohl erhaltenes Beispiel aus der Gegend von Pforzheim
vorführt. Diese römischen villas waren Einzelhöfe inmitten ihrer Feldflur von
100 bis 200 ju»srg. (Morgen), die in regelmäßige Quadrate geteilt war.

In drei großen Strömen ergossen sich die germanischen Völkerschaften über
dieses keltisch-römische Kulturland. Die fränkisch-vandilische (d. h. ostdeutsche,
westgotische, burgundische. vandalische) Wanderung nahm das nördliche Rhein¬
land und Gallien in Besitz, die suebisch-oberdeutschen Stämme (Alemannen,


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[0619] Die älteste Besiedlung Deutschlands als sie im dritten Jahrhundert den römischen Limes durchbrachen und in die Zehntlande (Rheinhessen, Württemberg und Baden) eindrangen, endlich seit der Wende des vierten und fünften Jahrhunderts sich über die Donau und den Rhein ausbreiteten und nach Britannien hinübergingen, trafen sie überall keltische oder römische Ansiedlungen. Da diese somit die Grundlagen deutschen Volkstums und deutscher Kultur wurden, so sucht Meitzen ein klares Bild sowohl von der echten keltischen als von der römischen Vesiedlnngswei.se zu gewinnen. Zu diesem Zweck untersucht er zunächst die Verhältnisse eines von jeher rein keltischen Landes, nämlich Irlands. Hier in diesem weiten, sehr gleichmäßigen Flachlande, das durch seinen üppigen Graswuchs zur Viehwirt¬ schaft wie geschaffen ist, erscheint als die herrschende Form des Anbaues nicht das Dorf, wie im altgermanischen Volkslande, sondern der Einzelhof (wie) zu 16 bis 32 Hektaren, der mitten in seiner Flur steht. Von diesen Einzelhöfeu, deren Ursprung bis in die Zeit der Weidewirtschaft zurückreicht, bildeten je vier ein Wartsr, vier eiuartsrs ein halt, dreißig v-Ms (englisch tovnlM(l8, d. h. Zaunland, wegen der für den Ackerbau eingezäunten Schläge) einen olmr unter einem Häuptling, deren es in den vier irischen Königreichen im ganzen 184 gab. Den Übergang von der Weidewirtschaft zur festen Ansiedlung setzt Meitzen um 600 n. Chr., nachdem zunächst große Auswandrungen (der Stolen um 250, der Pillen um 500) den Überschuß der Bevölkerung nach Schottland abgeleitet hatten. Der Grund und Boden blieb dabei im Gesamteigentum des Claus, die es.et wurde nur auf Lebenszeit zur Nutzung verliehen; nur die Häuptlinge und Edeln, deren Gewalt rasch ausschlaggebend wurde, machten ihren Besitz bald erblich. In Britannien haben sich die Zustände vor der römischen Er¬ oberung diesen spätern irischen genähert, in Gallien waren sie schon zu Cäsars Zeit wesentlich über diese Stufe hinausgeschritten, denn neben den Einzelhöfcn (asäiüeia) gab es Dörfer (viol) und ansehnliche ummauerte Städte, die Er¬ zeugnisse eines regen Verkehrs, und der zahlreiche Adel hatte die Masse des Volks in die Hörigkeit herabgedrückt. Sehr ausführlich schildert dann Meitzen die italienische Besiedlungs- und Wirtschaftsweise, denn sie ergriff ja auch das alte Kelteuland, brachte dort die kapitalistische Großwirtschaft mit Pachtsystem und Sklavenbetrieb zur vollen Entfaltung und begründete ganz römisch angelegte Guts¬ höfe (villÄk) auch rechts vom Rhein im Zehntlande. Dort lassen sich zahlreiche Neste solcher noch heute mit hinreichender Deutlichkeit nachweisen, wovon Meitzen ein verhältnismäßig wohl erhaltenes Beispiel aus der Gegend von Pforzheim vorführt. Diese römischen villas waren Einzelhöfe inmitten ihrer Feldflur von 100 bis 200 ju»srg. (Morgen), die in regelmäßige Quadrate geteilt war. In drei großen Strömen ergossen sich die germanischen Völkerschaften über dieses keltisch-römische Kulturland. Die fränkisch-vandilische (d. h. ostdeutsche, westgotische, burgundische. vandalische) Wanderung nahm das nördliche Rhein¬ land und Gallien in Besitz, die suebisch-oberdeutschen Stämme (Alemannen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/619>, abgerufen am 29.12.2024.