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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die älteste Besiedlung Deutschlands

Mündung wieder erreicht und endlich die Elbe und Saale entlang bis zu deren
Quelle läuft, im Süden und Südwesten der Mainlauf und der römische
Limes, im Westen eine Grenze, die etwa von der Moselmündung aus zunächst
nordöstlich, dann nordwärts zur Weser etwa bei Bremen geht und dieser bis
zur Nordsee (nämlich zu ihrer alten Mündung im Jadebusen) folgt. Alles, was
westlich und südlich von diesen Grenzen liegt, war ursprünglich keltisch. Nach
Osten dehnten sich die Germanen bis zu einer Linie aus, die an den Karpaten
begann, da, wo Ungarn und Schlesien zusammenstoßen, und die Weichsel in der
Gegend von Warschau, die Ostsee an der Mündung des Pregel erreichte. Im
Süden wohnten sie bis an die Nordabhänge des Erzgebirges und der Sudeten,
im Norden bis an die Ostsee, hier besetzten sie, wie die jüdische Halbinsel und
die dänischen Inseln, so das gesamte südliche Skandinavien, das ebenfalls rein
germanisches Vvlksland ist. Eine scharfe Grenze, die mitten durch dieses
Gebiet, die Gvrlitzer Reiße und die Oder abwärts, dann nordwestlich längs
der heutigen Grenze zwischen Vorpommern und Mecklenburg nach der Ostsee
ging, also ansehnlichen Flüssen und ihren damals völlig versumpften, unzu¬
gänglichen Niederungen folgte, schied die Westgermanen von den Ostgermanen
(Goten, Burgunder, Wandalen). Erst während der Völkerwanderung ging der
ganze Osten, bei weitem der größte Teil des germanischen Gebiets, an die
Slawen verloren, sodaß das Deutschtum hinter jene Linie von der Kieler
Fvhrde bis ans Fichtelgebirge zurückwich. Dagegen breiteten sich die Deutschen
unwiderstehlich nach dein Westen und Süden über keltisch-römische Länder aus.

In jenem altgermanischen "Volkslande" innerhalb der eben angegebnen
Grenzen waren alle ältern Ansiedlungen zufolge der Flurkarten nicht Einzel¬
höfe, sondern Dörfer, und zwar in der ganz unregelmäßigen Anordnung der Ge¬
höfte, die der Name "Dorf" (gleich dem lateinischen orta, Haufen) ursprünglich
bezeichnet. Diese "Haufendörfer," von den spätern Mnrschendvrfern an der
Nordseeküste ebenso völlig verschieden wie von den langgestreckten "Reihen¬
dörfern" der ostdeutschen Koloniallande, waren oder sind vielmehr von mäßiger
Größe, die Flur lag durchweg in Gewannen (ahd. vano, ags. vemA, altnord.
VlMM, d. i. Feld, daher z. B. Ellwangen), d. h. in einer Anzahl von un¬
regelmäßig viereckigen, nach der Güte des Bodens verschieden großen Stücken,
von denen jedes wieder in soviel kleine Längsstreifen, gewöhnlich von der
Größe eines Morgens (-- V<> Hektar) zerfiel, als ursprünglich Höfe im Dorfe
vorhanden waren. Die Gesamtflüche dieser Anteile in allen Gewannen mit
den Nutzungsrechten an Weide, Wald und Wasser bildete die Hufe, die schon
>5ustus Möser treffend als eine Aktie am Gemeinwesen bezeichnet hat, und die
soviel Boden umfaßte, als ein Bauer mit einem oder zwei Knechten bewirtschaften
konnte. Die Größe der Hufe richtet sich natürlich ganz nach der Güte des
Bodens, ist also kein mathematisch ganz bestimmtes Landmaß, nur in derselben
Dorfflur von der gleichen Größe. Die Gemenglage der Hufeuanteile in den


Die älteste Besiedlung Deutschlands

Mündung wieder erreicht und endlich die Elbe und Saale entlang bis zu deren
Quelle läuft, im Süden und Südwesten der Mainlauf und der römische
Limes, im Westen eine Grenze, die etwa von der Moselmündung aus zunächst
nordöstlich, dann nordwärts zur Weser etwa bei Bremen geht und dieser bis
zur Nordsee (nämlich zu ihrer alten Mündung im Jadebusen) folgt. Alles, was
westlich und südlich von diesen Grenzen liegt, war ursprünglich keltisch. Nach
Osten dehnten sich die Germanen bis zu einer Linie aus, die an den Karpaten
begann, da, wo Ungarn und Schlesien zusammenstoßen, und die Weichsel in der
Gegend von Warschau, die Ostsee an der Mündung des Pregel erreichte. Im
Süden wohnten sie bis an die Nordabhänge des Erzgebirges und der Sudeten,
im Norden bis an die Ostsee, hier besetzten sie, wie die jüdische Halbinsel und
die dänischen Inseln, so das gesamte südliche Skandinavien, das ebenfalls rein
germanisches Vvlksland ist. Eine scharfe Grenze, die mitten durch dieses
Gebiet, die Gvrlitzer Reiße und die Oder abwärts, dann nordwestlich längs
der heutigen Grenze zwischen Vorpommern und Mecklenburg nach der Ostsee
ging, also ansehnlichen Flüssen und ihren damals völlig versumpften, unzu¬
gänglichen Niederungen folgte, schied die Westgermanen von den Ostgermanen
(Goten, Burgunder, Wandalen). Erst während der Völkerwanderung ging der
ganze Osten, bei weitem der größte Teil des germanischen Gebiets, an die
Slawen verloren, sodaß das Deutschtum hinter jene Linie von der Kieler
Fvhrde bis ans Fichtelgebirge zurückwich. Dagegen breiteten sich die Deutschen
unwiderstehlich nach dein Westen und Süden über keltisch-römische Länder aus.

In jenem altgermanischen „Volkslande" innerhalb der eben angegebnen
Grenzen waren alle ältern Ansiedlungen zufolge der Flurkarten nicht Einzel¬
höfe, sondern Dörfer, und zwar in der ganz unregelmäßigen Anordnung der Ge¬
höfte, die der Name „Dorf" (gleich dem lateinischen orta, Haufen) ursprünglich
bezeichnet. Diese „Haufendörfer," von den spätern Mnrschendvrfern an der
Nordseeküste ebenso völlig verschieden wie von den langgestreckten „Reihen¬
dörfern" der ostdeutschen Koloniallande, waren oder sind vielmehr von mäßiger
Größe, die Flur lag durchweg in Gewannen (ahd. vano, ags. vemA, altnord.
VlMM, d. i. Feld, daher z. B. Ellwangen), d. h. in einer Anzahl von un¬
regelmäßig viereckigen, nach der Güte des Bodens verschieden großen Stücken,
von denen jedes wieder in soviel kleine Längsstreifen, gewöhnlich von der
Größe eines Morgens (-- V<> Hektar) zerfiel, als ursprünglich Höfe im Dorfe
vorhanden waren. Die Gesamtflüche dieser Anteile in allen Gewannen mit
den Nutzungsrechten an Weide, Wald und Wasser bildete die Hufe, die schon
>5ustus Möser treffend als eine Aktie am Gemeinwesen bezeichnet hat, und die
soviel Boden umfaßte, als ein Bauer mit einem oder zwei Knechten bewirtschaften
konnte. Die Größe der Hufe richtet sich natürlich ganz nach der Güte des
Bodens, ist also kein mathematisch ganz bestimmtes Landmaß, nur in derselben
Dorfflur von der gleichen Größe. Die Gemenglage der Hufeuanteile in den


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[0615] Die älteste Besiedlung Deutschlands Mündung wieder erreicht und endlich die Elbe und Saale entlang bis zu deren Quelle läuft, im Süden und Südwesten der Mainlauf und der römische Limes, im Westen eine Grenze, die etwa von der Moselmündung aus zunächst nordöstlich, dann nordwärts zur Weser etwa bei Bremen geht und dieser bis zur Nordsee (nämlich zu ihrer alten Mündung im Jadebusen) folgt. Alles, was westlich und südlich von diesen Grenzen liegt, war ursprünglich keltisch. Nach Osten dehnten sich die Germanen bis zu einer Linie aus, die an den Karpaten begann, da, wo Ungarn und Schlesien zusammenstoßen, und die Weichsel in der Gegend von Warschau, die Ostsee an der Mündung des Pregel erreichte. Im Süden wohnten sie bis an die Nordabhänge des Erzgebirges und der Sudeten, im Norden bis an die Ostsee, hier besetzten sie, wie die jüdische Halbinsel und die dänischen Inseln, so das gesamte südliche Skandinavien, das ebenfalls rein germanisches Vvlksland ist. Eine scharfe Grenze, die mitten durch dieses Gebiet, die Gvrlitzer Reiße und die Oder abwärts, dann nordwestlich längs der heutigen Grenze zwischen Vorpommern und Mecklenburg nach der Ostsee ging, also ansehnlichen Flüssen und ihren damals völlig versumpften, unzu¬ gänglichen Niederungen folgte, schied die Westgermanen von den Ostgermanen (Goten, Burgunder, Wandalen). Erst während der Völkerwanderung ging der ganze Osten, bei weitem der größte Teil des germanischen Gebiets, an die Slawen verloren, sodaß das Deutschtum hinter jene Linie von der Kieler Fvhrde bis ans Fichtelgebirge zurückwich. Dagegen breiteten sich die Deutschen unwiderstehlich nach dein Westen und Süden über keltisch-römische Länder aus. In jenem altgermanischen „Volkslande" innerhalb der eben angegebnen Grenzen waren alle ältern Ansiedlungen zufolge der Flurkarten nicht Einzel¬ höfe, sondern Dörfer, und zwar in der ganz unregelmäßigen Anordnung der Ge¬ höfte, die der Name „Dorf" (gleich dem lateinischen orta, Haufen) ursprünglich bezeichnet. Diese „Haufendörfer," von den spätern Mnrschendvrfern an der Nordseeküste ebenso völlig verschieden wie von den langgestreckten „Reihen¬ dörfern" der ostdeutschen Koloniallande, waren oder sind vielmehr von mäßiger Größe, die Flur lag durchweg in Gewannen (ahd. vano, ags. vemA, altnord. VlMM, d. i. Feld, daher z. B. Ellwangen), d. h. in einer Anzahl von un¬ regelmäßig viereckigen, nach der Güte des Bodens verschieden großen Stücken, von denen jedes wieder in soviel kleine Längsstreifen, gewöhnlich von der Größe eines Morgens (-- V<> Hektar) zerfiel, als ursprünglich Höfe im Dorfe vorhanden waren. Die Gesamtflüche dieser Anteile in allen Gewannen mit den Nutzungsrechten an Weide, Wald und Wasser bildete die Hufe, die schon >5ustus Möser treffend als eine Aktie am Gemeinwesen bezeichnet hat, und die soviel Boden umfaßte, als ein Bauer mit einem oder zwei Knechten bewirtschaften konnte. Die Größe der Hufe richtet sich natürlich ganz nach der Güte des Bodens, ist also kein mathematisch ganz bestimmtes Landmaß, nur in derselben Dorfflur von der gleichen Größe. Die Gemenglage der Hufeuanteile in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/615>, abgerufen am 29.12.2024.