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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zum Heimatschutz

Wasser treten, das Wasser in viele Hüuser kommt und stunden-, ja tagelang
drin stehen bleibt. Die Häuser werden dadurch feucht, und es stellen sich be¬
sonders im Frühjahr Krankheiten ein. Abhilfe kann nur geschafft werden
durch eine Begradigung und Verbreiterung des unterhalb des Dorfes liegenden
Baches, und die ist nur durch Verkoppelung zu erreichen. Die Bewohner der
Häuser, sowie die Behörden drängen daher nach Verkoppelung. Sowie sie
ausgeführt ist, ist der Schade beseitigt, das Wasser kommt nicht mehr in die
Hüuser, die Krankheiten verschwinden.

Aber auch noch um andrer Vorteile willen kann die Vegradigung geboten
sein. Auch der größte Feind der Bachregulirung würde, wenn er ein kleiner
bäuerlicher Besitzer mit zwei Morgen Wiesen würde, von denen er seine beiden
Kühe erhielte, und der Graswuchs würde infolge des langsamen Wasserabflusses
aller paar Jahre im Mai oder Juni vor der Heuernte durch Überschwemmung
vernichtet, oder während der Ernte flösse das Heu ab, den Tag segnen, an
dem der Bach begradigt und die Gefahr der Wiesenüberschwemmung beseitigt wäre.

Auch die Waldspitzen werden nicht ohne triftigen Grund abgeschnitten.
Sie sind dem Landmann ein Greuel, weil sein Korn infolge der Beschattung
feucht bleibt, leicht auswintert und nicht reif wird, auch dem Wildschaden mehr
ausgesetzt ist. Der Forstmann aber haßt sie nicht minder, weil das den Wald
düngende Laub herausgeweht wird, und die Bäume nicht kräftig wachsen, auch
die Grenzen schwer zu wahren sind. Und ein noch größerer Feind ist er von
den in den Wald einspringenden -- meistens allerdings ein sehr liebliches
Landschaftsbild bietenden -- Wiesen, durch die sein Forstbestand unterbrochen
wird, und ans denen der bäuerliche Pächter der Feldmarksjagd mit besondrer
Vorliebe das zur Äsung gehende Rehwild ohne Rücksicht auf Alter und Ge¬
schlecht niederknallt, oder der Wiesenbesitzer gelegentlich bei der Heuernte wittert.
Auch hier treffen die Wünsche des Forstmanns mit denen des Landmamis
zusammen, der lieber im Felde einen Acker nimmt, auf dem er Klee bauen
kann, als die Wiese mit kraftlosen Schattengrase. Soll nun da der Beamte
den gemeinschaftlichen Antrag des Forstmanns und des Landmanns ab¬
lehnen, weil das Landschaftsbild darunter leide? das Landschaftsbild, das,
wenn es von dem gewöhnlichen Tvuristenwege abseits liegt, kaum je ein
andrer Mensch als der Bauer zu sehen bekommt, der gar kein Verständnis
dafür hat? Und sollen wegen der Touristen, von denen übrigens noch nicht
fünf vom Hundert wirklich Natursinn haben, die begründeten Wünsche der
Eigentümer unberücksichtigt bleiben?

Der Aufsatz "Heimatschutz" vertritt die Auffassung des Aristokraten, der
die Eisenbahnen nicht nötig hat, weil er viel bequemer im Landauer fährt,
der nicht im Schweiße seines Angesichts seinen Acker zu bestellen braucht, auch
eines höhern Ertrags seines Gutes nicht bedarf, weil er auch so zu leben hat.
Wer aber vierzig Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation wohnt und


Zum Heimatschutz

Wasser treten, das Wasser in viele Hüuser kommt und stunden-, ja tagelang
drin stehen bleibt. Die Häuser werden dadurch feucht, und es stellen sich be¬
sonders im Frühjahr Krankheiten ein. Abhilfe kann nur geschafft werden
durch eine Begradigung und Verbreiterung des unterhalb des Dorfes liegenden
Baches, und die ist nur durch Verkoppelung zu erreichen. Die Bewohner der
Häuser, sowie die Behörden drängen daher nach Verkoppelung. Sowie sie
ausgeführt ist, ist der Schade beseitigt, das Wasser kommt nicht mehr in die
Hüuser, die Krankheiten verschwinden.

Aber auch noch um andrer Vorteile willen kann die Vegradigung geboten
sein. Auch der größte Feind der Bachregulirung würde, wenn er ein kleiner
bäuerlicher Besitzer mit zwei Morgen Wiesen würde, von denen er seine beiden
Kühe erhielte, und der Graswuchs würde infolge des langsamen Wasserabflusses
aller paar Jahre im Mai oder Juni vor der Heuernte durch Überschwemmung
vernichtet, oder während der Ernte flösse das Heu ab, den Tag segnen, an
dem der Bach begradigt und die Gefahr der Wiesenüberschwemmung beseitigt wäre.

Auch die Waldspitzen werden nicht ohne triftigen Grund abgeschnitten.
Sie sind dem Landmann ein Greuel, weil sein Korn infolge der Beschattung
feucht bleibt, leicht auswintert und nicht reif wird, auch dem Wildschaden mehr
ausgesetzt ist. Der Forstmann aber haßt sie nicht minder, weil das den Wald
düngende Laub herausgeweht wird, und die Bäume nicht kräftig wachsen, auch
die Grenzen schwer zu wahren sind. Und ein noch größerer Feind ist er von
den in den Wald einspringenden — meistens allerdings ein sehr liebliches
Landschaftsbild bietenden — Wiesen, durch die sein Forstbestand unterbrochen
wird, und ans denen der bäuerliche Pächter der Feldmarksjagd mit besondrer
Vorliebe das zur Äsung gehende Rehwild ohne Rücksicht auf Alter und Ge¬
schlecht niederknallt, oder der Wiesenbesitzer gelegentlich bei der Heuernte wittert.
Auch hier treffen die Wünsche des Forstmanns mit denen des Landmamis
zusammen, der lieber im Felde einen Acker nimmt, auf dem er Klee bauen
kann, als die Wiese mit kraftlosen Schattengrase. Soll nun da der Beamte
den gemeinschaftlichen Antrag des Forstmanns und des Landmanns ab¬
lehnen, weil das Landschaftsbild darunter leide? das Landschaftsbild, das,
wenn es von dem gewöhnlichen Tvuristenwege abseits liegt, kaum je ein
andrer Mensch als der Bauer zu sehen bekommt, der gar kein Verständnis
dafür hat? Und sollen wegen der Touristen, von denen übrigens noch nicht
fünf vom Hundert wirklich Natursinn haben, die begründeten Wünsche der
Eigentümer unberücksichtigt bleiben?

Der Aufsatz „Heimatschutz" vertritt die Auffassung des Aristokraten, der
die Eisenbahnen nicht nötig hat, weil er viel bequemer im Landauer fährt,
der nicht im Schweiße seines Angesichts seinen Acker zu bestellen braucht, auch
eines höhern Ertrags seines Gutes nicht bedarf, weil er auch so zu leben hat.
Wer aber vierzig Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation wohnt und


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[0060] Zum Heimatschutz Wasser treten, das Wasser in viele Hüuser kommt und stunden-, ja tagelang drin stehen bleibt. Die Häuser werden dadurch feucht, und es stellen sich be¬ sonders im Frühjahr Krankheiten ein. Abhilfe kann nur geschafft werden durch eine Begradigung und Verbreiterung des unterhalb des Dorfes liegenden Baches, und die ist nur durch Verkoppelung zu erreichen. Die Bewohner der Häuser, sowie die Behörden drängen daher nach Verkoppelung. Sowie sie ausgeführt ist, ist der Schade beseitigt, das Wasser kommt nicht mehr in die Hüuser, die Krankheiten verschwinden. Aber auch noch um andrer Vorteile willen kann die Vegradigung geboten sein. Auch der größte Feind der Bachregulirung würde, wenn er ein kleiner bäuerlicher Besitzer mit zwei Morgen Wiesen würde, von denen er seine beiden Kühe erhielte, und der Graswuchs würde infolge des langsamen Wasserabflusses aller paar Jahre im Mai oder Juni vor der Heuernte durch Überschwemmung vernichtet, oder während der Ernte flösse das Heu ab, den Tag segnen, an dem der Bach begradigt und die Gefahr der Wiesenüberschwemmung beseitigt wäre. Auch die Waldspitzen werden nicht ohne triftigen Grund abgeschnitten. Sie sind dem Landmann ein Greuel, weil sein Korn infolge der Beschattung feucht bleibt, leicht auswintert und nicht reif wird, auch dem Wildschaden mehr ausgesetzt ist. Der Forstmann aber haßt sie nicht minder, weil das den Wald düngende Laub herausgeweht wird, und die Bäume nicht kräftig wachsen, auch die Grenzen schwer zu wahren sind. Und ein noch größerer Feind ist er von den in den Wald einspringenden — meistens allerdings ein sehr liebliches Landschaftsbild bietenden — Wiesen, durch die sein Forstbestand unterbrochen wird, und ans denen der bäuerliche Pächter der Feldmarksjagd mit besondrer Vorliebe das zur Äsung gehende Rehwild ohne Rücksicht auf Alter und Ge¬ schlecht niederknallt, oder der Wiesenbesitzer gelegentlich bei der Heuernte wittert. Auch hier treffen die Wünsche des Forstmanns mit denen des Landmamis zusammen, der lieber im Felde einen Acker nimmt, auf dem er Klee bauen kann, als die Wiese mit kraftlosen Schattengrase. Soll nun da der Beamte den gemeinschaftlichen Antrag des Forstmanns und des Landmanns ab¬ lehnen, weil das Landschaftsbild darunter leide? das Landschaftsbild, das, wenn es von dem gewöhnlichen Tvuristenwege abseits liegt, kaum je ein andrer Mensch als der Bauer zu sehen bekommt, der gar kein Verständnis dafür hat? Und sollen wegen der Touristen, von denen übrigens noch nicht fünf vom Hundert wirklich Natursinn haben, die begründeten Wünsche der Eigentümer unberücksichtigt bleiben? Der Aufsatz „Heimatschutz" vertritt die Auffassung des Aristokraten, der die Eisenbahnen nicht nötig hat, weil er viel bequemer im Landauer fährt, der nicht im Schweiße seines Angesichts seinen Acker zu bestellen braucht, auch eines höhern Ertrags seines Gutes nicht bedarf, weil er auch so zu leben hat. Wer aber vierzig Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation wohnt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/60>, abgerufen am 29.12.2024.