Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte Man hat unter diesen Uniständen kein Recht, darüber erstaunt zu thun, Noch in den Lärm über die Hamburger Enthüllung hinein fielen der Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte Man hat unter diesen Uniständen kein Recht, darüber erstaunt zu thun, Noch in den Lärm über die Hamburger Enthüllung hinein fielen der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226183"/> <fw type="header" place="top"> Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte</fw><lb/> <p xml:id="ID_1503"> Man hat unter diesen Uniständen kein Recht, darüber erstaunt zu thun,<lb/> daß in dieser Zeit gewisse Glückwünsche aus Berlin in Friedrichsruh aus¬<lb/> blieben, denn wenn man auch überzeugt und unterrichtet war, daß von Ab¬<lb/> sichtlichkeit keine Rede sein konnte, so ist doch das Verlangen nicht unberechtigt,<lb/> daß Vorsorge getroffen werde, daß nicht politische Brosamen, die gelegentlich<lb/> vom Tische des Weisen im Sachsenwalde fallen, durch Unberufne und Unter¬<lb/> geordnete in die Presse gelangen, wo sie, wenn auch zu nicht gewollter Störung<lb/> weit angelegter politischer Pläne verwendet werden. Die Brosamen sind<lb/> seit jener Zeit ausgeblieben, und das Hamburger Blatt hat sich darauf ebenso<lb/> gescheit erwiesen wie die übrige deutsche Presse. Aber inzwischen haben wieder<lb/> Besuche in Friedrichsruh stattgefunden, unter denen die des Reichskanzlers<lb/> und des geschäftsleitenden Staatssekretärs von Bülow besonders bemerkt und<lb/> mit Freude begrüßt worden sind. Gewisse Blätter haben diese Besuche dahin<lb/> ausgelegt, als Hütten sich die genannten Herren dort Rats erholt. Es sei<lb/> dazu nur bemerkt, daß der Altreichskanzler vielfach erklärt hat, er sei nicht in<lb/> der Lage, Rat zu erteilen, da man hierzu die diplomatischen Fäden sämtlich<lb/> in der Hand haben müsse. Jeder Geschäftsmann wird diesen Standpunkt als<lb/> richtig ansehen und würde niemals von einem Manne, der über sechs Jahre<lb/> vom Geschäft zurückgetreten ist, einen Rat verlangen. Dafür reicht die emi¬<lb/> nenteste Begabung nicht aus, sondern es gehört auch die genaueste Kenntnis<lb/> der gesamten Sachlage dazu. Wenn ein Teil der deutschen Presse diese un¬<lb/> freiwillige Täuschung als Brücke benutzt hat, um den richtigen Weg für die<lb/> Beurteilung unsrer auswärtigen Politik wiederzufinden, so ist das immerhin<lb/> nützlich und erfreulich. Aber dieser Weg hätte auch bei richtiger Beobachtung<lb/> der bekannt gewordnen Thatsachen eingehalten werden können. Es wurde nur<lb/> erschwert dadurch, daß man den Görlitzcr Wegweiser übersehen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1504" next="#ID_1505"> Noch in den Lärm über die Hamburger Enthüllung hinein fielen der<lb/> Besuch unsers Kaisers bei dem Zaren in Darmstadt und der Gegenbesuch des<lb/> Zaren in Wiesbaden, die in Deutschland allgemein nur als Familienbesuche<lb/> aufgefaßt wurden. Das waren sie wohl auch in der Hauptsache, doch be¬<lb/> deuteten sie nach der Äußerung von Görlitz gewiß noch etwas mehr. In<lb/> Politisch bewegten Zeiten sind Monarchenbcgcgnnngen von besonderm Wert,<lb/> weil dabei Dinge und Fragen berührt werden können, die im gewöhnlichen<lb/> diplomatischen Verkehr nicht zu erörtern sind. Nach den verblüffend wirkenden<lb/> Enthüllungen über den Neutralitütsvertrag hatte in Frankreich die namentlich<lb/> aus deutsche» Blättern gesogne Freude über das „offenkundige Geheimnis,"<lb/> daß auf den „chnisch doppelzüngigen" Bismarck eine minder geschickte deutsche<lb/> Politik gefolgt sei, uicht lange gedauert; die Erkenntnis über den Ernst<lb/> der politischen Lage nahm zu, und man sah sich vor die Wahl gestellt<lb/> zwischen dem Anschluß an England und dem Bündnis mit Nußland, was<lb/> unter den obwaltenden Umständen einen stillschweigenden Verzicht auf die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte
Man hat unter diesen Uniständen kein Recht, darüber erstaunt zu thun,
daß in dieser Zeit gewisse Glückwünsche aus Berlin in Friedrichsruh aus¬
blieben, denn wenn man auch überzeugt und unterrichtet war, daß von Ab¬
sichtlichkeit keine Rede sein konnte, so ist doch das Verlangen nicht unberechtigt,
daß Vorsorge getroffen werde, daß nicht politische Brosamen, die gelegentlich
vom Tische des Weisen im Sachsenwalde fallen, durch Unberufne und Unter¬
geordnete in die Presse gelangen, wo sie, wenn auch zu nicht gewollter Störung
weit angelegter politischer Pläne verwendet werden. Die Brosamen sind
seit jener Zeit ausgeblieben, und das Hamburger Blatt hat sich darauf ebenso
gescheit erwiesen wie die übrige deutsche Presse. Aber inzwischen haben wieder
Besuche in Friedrichsruh stattgefunden, unter denen die des Reichskanzlers
und des geschäftsleitenden Staatssekretärs von Bülow besonders bemerkt und
mit Freude begrüßt worden sind. Gewisse Blätter haben diese Besuche dahin
ausgelegt, als Hütten sich die genannten Herren dort Rats erholt. Es sei
dazu nur bemerkt, daß der Altreichskanzler vielfach erklärt hat, er sei nicht in
der Lage, Rat zu erteilen, da man hierzu die diplomatischen Fäden sämtlich
in der Hand haben müsse. Jeder Geschäftsmann wird diesen Standpunkt als
richtig ansehen und würde niemals von einem Manne, der über sechs Jahre
vom Geschäft zurückgetreten ist, einen Rat verlangen. Dafür reicht die emi¬
nenteste Begabung nicht aus, sondern es gehört auch die genaueste Kenntnis
der gesamten Sachlage dazu. Wenn ein Teil der deutschen Presse diese un¬
freiwillige Täuschung als Brücke benutzt hat, um den richtigen Weg für die
Beurteilung unsrer auswärtigen Politik wiederzufinden, so ist das immerhin
nützlich und erfreulich. Aber dieser Weg hätte auch bei richtiger Beobachtung
der bekannt gewordnen Thatsachen eingehalten werden können. Es wurde nur
erschwert dadurch, daß man den Görlitzcr Wegweiser übersehen hatte.
Noch in den Lärm über die Hamburger Enthüllung hinein fielen der
Besuch unsers Kaisers bei dem Zaren in Darmstadt und der Gegenbesuch des
Zaren in Wiesbaden, die in Deutschland allgemein nur als Familienbesuche
aufgefaßt wurden. Das waren sie wohl auch in der Hauptsache, doch be¬
deuteten sie nach der Äußerung von Görlitz gewiß noch etwas mehr. In
Politisch bewegten Zeiten sind Monarchenbcgcgnnngen von besonderm Wert,
weil dabei Dinge und Fragen berührt werden können, die im gewöhnlichen
diplomatischen Verkehr nicht zu erörtern sind. Nach den verblüffend wirkenden
Enthüllungen über den Neutralitütsvertrag hatte in Frankreich die namentlich
aus deutsche» Blättern gesogne Freude über das „offenkundige Geheimnis,"
daß auf den „chnisch doppelzüngigen" Bismarck eine minder geschickte deutsche
Politik gefolgt sei, uicht lange gedauert; die Erkenntnis über den Ernst
der politischen Lage nahm zu, und man sah sich vor die Wahl gestellt
zwischen dem Anschluß an England und dem Bündnis mit Nußland, was
unter den obwaltenden Umständen einen stillschweigenden Verzicht auf die
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