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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

anläge des neuen Zaren. Die Vermehrung der Garnisonen an der westlichen
Grenze wurde sortgesetzt, deutschfeindliche und sranzosenfreundliche Strömungen
traten offner ans Licht. Die psychologische Verwandtschaft dieser Regungen
mit dem oben geschilderten eigentlichen Wesen des französischen Chauvinismus
ist heute leichter zu erkennen als damals, und die unerschütterliche Ruhe und
Objektivität der deutschen Politik, die die anscheinend bedrohlichen Anzeichen
nicht höher anschlug, als sie verdienten, bildet eine der verehrungswürdigsten
Perioden der weit und scharf blickenden Bismarckischen Staatskunst. Der Zar
hatte bei aller wirklich vorhandnen oder auch ihm bloß angedichteten Abneigung
gegen Deutschland zu Bismarck großes Vertrauen, wie er überhaupt für
Geradheit und Offenheit sehr empfänglich war. In dem schwer ans ihm
lastenden Gefühl, für die Sicherheit seines Reichs verantwortlich zu sein,
nach den Erfahrungen des Winterfeldzuges von 1377/78 vollkommen von der
Überlegenheit der deutschen Heeresorganisation über die russische überzeugt,
ebenso wie von dem Unvermögen, durch eigne schöpferische Kraft diesen Nachteil
zu beseitigen, dazu fortwährend bestürmt von Einflüssen -- auch aus der eignen
Familie --, die seine Deutschland abgeneigte Stimmung zu kriegerischer Feind¬
schaft anzustacheln suchten, war ihm die Versicherung Bismarcks, daß Deutsch¬
land nichts gegen Nußland im Schilde führe, eine Beruhigung. Aber er wollte
es schriftlich haben, eine vertragsmüßige Sicherstellung gegenüber dem Vertrage
zwischen Deutschland und Österreich, an den sich schon Italien angeschlossen
hatte, während Frankreich, das aus einem Ministersturz in den andern taumelte,
nur zweifelhafte Gewähr für ein Bündnis bot. Unter diesen Verhältnissen ent¬
stand der deutsch-russische Neutralitätsvertrag.

Wenn man ihn uuter Berücksichtigung dieses rein persönlichen Verhält¬
nisses beurteilt, wird vieles erklärlich, was mitunter dunkel erschien. Man
erkennt sofort, daß der Vertrag gegenüber Österreich und Italien nicht hinter¬
hältig war, und daß die vertrauliche Mitteilung in Wien und Rom nicht
die geringsten Bedenken hervorrufen konnte; auf der andern Seite liegt aber
auf der Hand, daß mit Rücksicht auf die Person des Zaren die peinlichste
Verschwiegenheit geboten war. Es ist ja zur Genüge bekannt, daß auch
nach Abschluß dieses Neutralitätsvertrags viele Leute thätig waren, um den
Kaiser Alexander III. trotzdem mit Mißtrauen gegen Deutschland zu erfüllen,
und daß das im Herbst 1887, gerade zur Blütezeit des Boulangismus, durch
Anwendung gefälschter Dokumente so weit gelungen war, daß der Zar nnr
mit Widerwillen zur Heimkehr von Kopenhagen über Berlin bewogen werden
konnte, wo ihn Fürst Bismarck persönlich über den Betrug aufklärte. Der
Altreichskanzler hat in seiner berühmten Rede vom 6. Februar 1888 über das
damalige Verhältnis zu Rußland Aufschlüsse gegeben, die hente vollkommen
verständlich sind. Er unterschied darin ganz genau zwischen dem Zaren und
den deutschfeiudlicheu russischen Kreisen, denen er derbe Wahrheiten sagte, und


Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

anläge des neuen Zaren. Die Vermehrung der Garnisonen an der westlichen
Grenze wurde sortgesetzt, deutschfeindliche und sranzosenfreundliche Strömungen
traten offner ans Licht. Die psychologische Verwandtschaft dieser Regungen
mit dem oben geschilderten eigentlichen Wesen des französischen Chauvinismus
ist heute leichter zu erkennen als damals, und die unerschütterliche Ruhe und
Objektivität der deutschen Politik, die die anscheinend bedrohlichen Anzeichen
nicht höher anschlug, als sie verdienten, bildet eine der verehrungswürdigsten
Perioden der weit und scharf blickenden Bismarckischen Staatskunst. Der Zar
hatte bei aller wirklich vorhandnen oder auch ihm bloß angedichteten Abneigung
gegen Deutschland zu Bismarck großes Vertrauen, wie er überhaupt für
Geradheit und Offenheit sehr empfänglich war. In dem schwer ans ihm
lastenden Gefühl, für die Sicherheit seines Reichs verantwortlich zu sein,
nach den Erfahrungen des Winterfeldzuges von 1377/78 vollkommen von der
Überlegenheit der deutschen Heeresorganisation über die russische überzeugt,
ebenso wie von dem Unvermögen, durch eigne schöpferische Kraft diesen Nachteil
zu beseitigen, dazu fortwährend bestürmt von Einflüssen — auch aus der eignen
Familie —, die seine Deutschland abgeneigte Stimmung zu kriegerischer Feind¬
schaft anzustacheln suchten, war ihm die Versicherung Bismarcks, daß Deutsch¬
land nichts gegen Nußland im Schilde führe, eine Beruhigung. Aber er wollte
es schriftlich haben, eine vertragsmüßige Sicherstellung gegenüber dem Vertrage
zwischen Deutschland und Österreich, an den sich schon Italien angeschlossen
hatte, während Frankreich, das aus einem Ministersturz in den andern taumelte,
nur zweifelhafte Gewähr für ein Bündnis bot. Unter diesen Verhältnissen ent¬
stand der deutsch-russische Neutralitätsvertrag.

Wenn man ihn uuter Berücksichtigung dieses rein persönlichen Verhält¬
nisses beurteilt, wird vieles erklärlich, was mitunter dunkel erschien. Man
erkennt sofort, daß der Vertrag gegenüber Österreich und Italien nicht hinter¬
hältig war, und daß die vertrauliche Mitteilung in Wien und Rom nicht
die geringsten Bedenken hervorrufen konnte; auf der andern Seite liegt aber
auf der Hand, daß mit Rücksicht auf die Person des Zaren die peinlichste
Verschwiegenheit geboten war. Es ist ja zur Genüge bekannt, daß auch
nach Abschluß dieses Neutralitätsvertrags viele Leute thätig waren, um den
Kaiser Alexander III. trotzdem mit Mißtrauen gegen Deutschland zu erfüllen,
und daß das im Herbst 1887, gerade zur Blütezeit des Boulangismus, durch
Anwendung gefälschter Dokumente so weit gelungen war, daß der Zar nnr
mit Widerwillen zur Heimkehr von Kopenhagen über Berlin bewogen werden
konnte, wo ihn Fürst Bismarck persönlich über den Betrug aufklärte. Der
Altreichskanzler hat in seiner berühmten Rede vom 6. Februar 1888 über das
damalige Verhältnis zu Rußland Aufschlüsse gegeben, die hente vollkommen
verständlich sind. Er unterschied darin ganz genau zwischen dem Zaren und
den deutschfeiudlicheu russischen Kreisen, denen er derbe Wahrheiten sagte, und


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[0592] Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte anläge des neuen Zaren. Die Vermehrung der Garnisonen an der westlichen Grenze wurde sortgesetzt, deutschfeindliche und sranzosenfreundliche Strömungen traten offner ans Licht. Die psychologische Verwandtschaft dieser Regungen mit dem oben geschilderten eigentlichen Wesen des französischen Chauvinismus ist heute leichter zu erkennen als damals, und die unerschütterliche Ruhe und Objektivität der deutschen Politik, die die anscheinend bedrohlichen Anzeichen nicht höher anschlug, als sie verdienten, bildet eine der verehrungswürdigsten Perioden der weit und scharf blickenden Bismarckischen Staatskunst. Der Zar hatte bei aller wirklich vorhandnen oder auch ihm bloß angedichteten Abneigung gegen Deutschland zu Bismarck großes Vertrauen, wie er überhaupt für Geradheit und Offenheit sehr empfänglich war. In dem schwer ans ihm lastenden Gefühl, für die Sicherheit seines Reichs verantwortlich zu sein, nach den Erfahrungen des Winterfeldzuges von 1377/78 vollkommen von der Überlegenheit der deutschen Heeresorganisation über die russische überzeugt, ebenso wie von dem Unvermögen, durch eigne schöpferische Kraft diesen Nachteil zu beseitigen, dazu fortwährend bestürmt von Einflüssen — auch aus der eignen Familie —, die seine Deutschland abgeneigte Stimmung zu kriegerischer Feind¬ schaft anzustacheln suchten, war ihm die Versicherung Bismarcks, daß Deutsch¬ land nichts gegen Nußland im Schilde führe, eine Beruhigung. Aber er wollte es schriftlich haben, eine vertragsmüßige Sicherstellung gegenüber dem Vertrage zwischen Deutschland und Österreich, an den sich schon Italien angeschlossen hatte, während Frankreich, das aus einem Ministersturz in den andern taumelte, nur zweifelhafte Gewähr für ein Bündnis bot. Unter diesen Verhältnissen ent¬ stand der deutsch-russische Neutralitätsvertrag. Wenn man ihn uuter Berücksichtigung dieses rein persönlichen Verhält¬ nisses beurteilt, wird vieles erklärlich, was mitunter dunkel erschien. Man erkennt sofort, daß der Vertrag gegenüber Österreich und Italien nicht hinter¬ hältig war, und daß die vertrauliche Mitteilung in Wien und Rom nicht die geringsten Bedenken hervorrufen konnte; auf der andern Seite liegt aber auf der Hand, daß mit Rücksicht auf die Person des Zaren die peinlichste Verschwiegenheit geboten war. Es ist ja zur Genüge bekannt, daß auch nach Abschluß dieses Neutralitätsvertrags viele Leute thätig waren, um den Kaiser Alexander III. trotzdem mit Mißtrauen gegen Deutschland zu erfüllen, und daß das im Herbst 1887, gerade zur Blütezeit des Boulangismus, durch Anwendung gefälschter Dokumente so weit gelungen war, daß der Zar nnr mit Widerwillen zur Heimkehr von Kopenhagen über Berlin bewogen werden konnte, wo ihn Fürst Bismarck persönlich über den Betrug aufklärte. Der Altreichskanzler hat in seiner berühmten Rede vom 6. Februar 1888 über das damalige Verhältnis zu Rußland Aufschlüsse gegeben, die hente vollkommen verständlich sind. Er unterschied darin ganz genau zwischen dem Zaren und den deutschfeiudlicheu russischen Kreisen, denen er derbe Wahrheiten sagte, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/592>, abgerufen am 24.07.2024.