Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

gewaltige Eindrücke hinterlassen, unter denen die Furcht nicht der kleinste war.
Dabei ist aber Furcht nicht mit Feigheit zu verwechseln. Die Frage: Wer
kommt nun oder wieder daran? hat jahrzehntelang den Feinden Deutschlands
als Anlaß gedient, die äußere Politik Bismarcks zu verdächtigen, und es hat
fünfundzwanzig Jahre der feierlichsten Versicherungen und einer in diesem
Sinne geleiteten Staatskunst bedurft, um jenen Eindruck, der in dem friedlichen
Deutschland meist nicht mit in die politische Erwägung gezogen wird, ab¬
zuschwächen und die Welt davon zu überzeugen, daß das neu erstaudne Reich
wirklich uur der Hort des Friedens zu sein, d. h. keine neuen Eroberungen
zu machen beabsichtige. Die Berücksichtigung dieses Umstands läßt manche
politische Erscheinung der letzten Jahrzehnte verständlicher erscheinen. Man
beeilte sich ringsum, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, und romanische
wie slawische Federn waren eifrig bemüht, ihre Volksgenossen zum Kampf
gegen das mit so überwältigender kriegerischer Macht neu in die Weltgeschichte
eingetretne deutsche Reich und das Deutschtum im allgemeinen aufzubieten.
Ein großer Teil dieser Bestrebungen, wenn nicht ihre Gesamtheit, ist auf die
Furcht zurückzuführen.

Am deutlichsten trat das in dem Verhalten der Franzosen hervor. Neben
der notwendig gewordnen Neubildung der Armee auf Grundlage der allge¬
meinen Wehrpflicht erfolgte die. Verdauung der Ostgrenze durch eine dreifache
Reihe von Befestigungen. Damit sollte ein erneuter "Einfall der Barbaren,"
wie der Krieg von 1870/71 unter beabsichtigter Entstellung der geschichtlichen
Thatsachen nun einmal bezeichnet wurde, verhindert werden. Auf einen "frischen,
fröhlichen Krieg" mit dem Gefühl des sichern Erfolgs im Herzen deutete
das ebenso wenig wie das lärmende und aufreizende Geschrei der Revanche¬
politiker in der Presse. Schon im bürgerlichen Leben sieht nur, wer sich
seiner Sache sicher fühlt, einer persönlichen Gefahr ruhig und lautlos ent¬
gegen, wer sich dagegen der geringsten Furcht vor der Überlegenheit des
Gegners bewußt ist, sucht sie hinter Pfeifen und Singen, selbst prahlerischer
Herausforderungen zu verdecken. Kommen nicht einzelne Personen, sondern
Volksmengen oder gar ganze Völker ins Spiel, so nehmen die Versuche, sich
unter einander Mut zuzusprechen, oft die übertriebensten Formen an und rufen
mitunter selbst dadurch die Feindseligkeiten hervor, die man eigentlich ver¬
meiden wollte. Man wird gut thun, das ganze französische Revanchegeschrei
mit diesem Maßstabe zu messen; dann leuchtet sofort ein, warum in den
leitenden Kreisen Deutschlands nie besonders Gewicht darauf gelegt wurde,
sondern man sich ab und zu auf einen der bekannten "kalten Wasserstrahlen"
in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung beschränkte, worauf das bis zur
Grenze des Unerträglichen gediehene Treiben stets auf eine noch zulässige Höhe
zurückging. Nur einmal barg das Gebühren eine kriegerische Gefahr in sich,
als nämlich im Jahre 1387 die französische Armee die deutsche um Zahl


Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

gewaltige Eindrücke hinterlassen, unter denen die Furcht nicht der kleinste war.
Dabei ist aber Furcht nicht mit Feigheit zu verwechseln. Die Frage: Wer
kommt nun oder wieder daran? hat jahrzehntelang den Feinden Deutschlands
als Anlaß gedient, die äußere Politik Bismarcks zu verdächtigen, und es hat
fünfundzwanzig Jahre der feierlichsten Versicherungen und einer in diesem
Sinne geleiteten Staatskunst bedurft, um jenen Eindruck, der in dem friedlichen
Deutschland meist nicht mit in die politische Erwägung gezogen wird, ab¬
zuschwächen und die Welt davon zu überzeugen, daß das neu erstaudne Reich
wirklich uur der Hort des Friedens zu sein, d. h. keine neuen Eroberungen
zu machen beabsichtige. Die Berücksichtigung dieses Umstands läßt manche
politische Erscheinung der letzten Jahrzehnte verständlicher erscheinen. Man
beeilte sich ringsum, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, und romanische
wie slawische Federn waren eifrig bemüht, ihre Volksgenossen zum Kampf
gegen das mit so überwältigender kriegerischer Macht neu in die Weltgeschichte
eingetretne deutsche Reich und das Deutschtum im allgemeinen aufzubieten.
Ein großer Teil dieser Bestrebungen, wenn nicht ihre Gesamtheit, ist auf die
Furcht zurückzuführen.

Am deutlichsten trat das in dem Verhalten der Franzosen hervor. Neben
der notwendig gewordnen Neubildung der Armee auf Grundlage der allge¬
meinen Wehrpflicht erfolgte die. Verdauung der Ostgrenze durch eine dreifache
Reihe von Befestigungen. Damit sollte ein erneuter „Einfall der Barbaren,"
wie der Krieg von 1870/71 unter beabsichtigter Entstellung der geschichtlichen
Thatsachen nun einmal bezeichnet wurde, verhindert werden. Auf einen „frischen,
fröhlichen Krieg" mit dem Gefühl des sichern Erfolgs im Herzen deutete
das ebenso wenig wie das lärmende und aufreizende Geschrei der Revanche¬
politiker in der Presse. Schon im bürgerlichen Leben sieht nur, wer sich
seiner Sache sicher fühlt, einer persönlichen Gefahr ruhig und lautlos ent¬
gegen, wer sich dagegen der geringsten Furcht vor der Überlegenheit des
Gegners bewußt ist, sucht sie hinter Pfeifen und Singen, selbst prahlerischer
Herausforderungen zu verdecken. Kommen nicht einzelne Personen, sondern
Volksmengen oder gar ganze Völker ins Spiel, so nehmen die Versuche, sich
unter einander Mut zuzusprechen, oft die übertriebensten Formen an und rufen
mitunter selbst dadurch die Feindseligkeiten hervor, die man eigentlich ver¬
meiden wollte. Man wird gut thun, das ganze französische Revanchegeschrei
mit diesem Maßstabe zu messen; dann leuchtet sofort ein, warum in den
leitenden Kreisen Deutschlands nie besonders Gewicht darauf gelegt wurde,
sondern man sich ab und zu auf einen der bekannten „kalten Wasserstrahlen"
in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung beschränkte, worauf das bis zur
Grenze des Unerträglichen gediehene Treiben stets auf eine noch zulässige Höhe
zurückging. Nur einmal barg das Gebühren eine kriegerische Gefahr in sich,
als nämlich im Jahre 1387 die französische Armee die deutsche um Zahl


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0590" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226176"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1485" prev="#ID_1484"> gewaltige Eindrücke hinterlassen, unter denen die Furcht nicht der kleinste war.<lb/>
Dabei ist aber Furcht nicht mit Feigheit zu verwechseln. Die Frage: Wer<lb/>
kommt nun oder wieder daran? hat jahrzehntelang den Feinden Deutschlands<lb/>
als Anlaß gedient, die äußere Politik Bismarcks zu verdächtigen, und es hat<lb/>
fünfundzwanzig Jahre der feierlichsten Versicherungen und einer in diesem<lb/>
Sinne geleiteten Staatskunst bedurft, um jenen Eindruck, der in dem friedlichen<lb/>
Deutschland meist nicht mit in die politische Erwägung gezogen wird, ab¬<lb/>
zuschwächen und die Welt davon zu überzeugen, daß das neu erstaudne Reich<lb/>
wirklich uur der Hort des Friedens zu sein, d. h. keine neuen Eroberungen<lb/>
zu machen beabsichtige. Die Berücksichtigung dieses Umstands läßt manche<lb/>
politische Erscheinung der letzten Jahrzehnte verständlicher erscheinen. Man<lb/>
beeilte sich ringsum, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, und romanische<lb/>
wie slawische Federn waren eifrig bemüht, ihre Volksgenossen zum Kampf<lb/>
gegen das mit so überwältigender kriegerischer Macht neu in die Weltgeschichte<lb/>
eingetretne deutsche Reich und das Deutschtum im allgemeinen aufzubieten.<lb/>
Ein großer Teil dieser Bestrebungen, wenn nicht ihre Gesamtheit, ist auf die<lb/>
Furcht zurückzuführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1486" next="#ID_1487"> Am deutlichsten trat das in dem Verhalten der Franzosen hervor. Neben<lb/>
der notwendig gewordnen Neubildung der Armee auf Grundlage der allge¬<lb/>
meinen Wehrpflicht erfolgte die. Verdauung der Ostgrenze durch eine dreifache<lb/>
Reihe von Befestigungen. Damit sollte ein erneuter &#x201E;Einfall der Barbaren,"<lb/>
wie der Krieg von 1870/71 unter beabsichtigter Entstellung der geschichtlichen<lb/>
Thatsachen nun einmal bezeichnet wurde, verhindert werden. Auf einen &#x201E;frischen,<lb/>
fröhlichen Krieg" mit dem Gefühl des sichern Erfolgs im Herzen deutete<lb/>
das ebenso wenig wie das lärmende und aufreizende Geschrei der Revanche¬<lb/>
politiker in der Presse. Schon im bürgerlichen Leben sieht nur, wer sich<lb/>
seiner Sache sicher fühlt, einer persönlichen Gefahr ruhig und lautlos ent¬<lb/>
gegen, wer sich dagegen der geringsten Furcht vor der Überlegenheit des<lb/>
Gegners bewußt ist, sucht sie hinter Pfeifen und Singen, selbst prahlerischer<lb/>
Herausforderungen zu verdecken. Kommen nicht einzelne Personen, sondern<lb/>
Volksmengen oder gar ganze Völker ins Spiel, so nehmen die Versuche, sich<lb/>
unter einander Mut zuzusprechen, oft die übertriebensten Formen an und rufen<lb/>
mitunter selbst dadurch die Feindseligkeiten hervor, die man eigentlich ver¬<lb/>
meiden wollte. Man wird gut thun, das ganze französische Revanchegeschrei<lb/>
mit diesem Maßstabe zu messen; dann leuchtet sofort ein, warum in den<lb/>
leitenden Kreisen Deutschlands nie besonders Gewicht darauf gelegt wurde,<lb/>
sondern man sich ab und zu auf einen der bekannten &#x201E;kalten Wasserstrahlen"<lb/>
in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung beschränkte, worauf das bis zur<lb/>
Grenze des Unerträglichen gediehene Treiben stets auf eine noch zulässige Höhe<lb/>
zurückging. Nur einmal barg das Gebühren eine kriegerische Gefahr in sich,<lb/>
als nämlich im Jahre 1387 die französische Armee die deutsche um Zahl</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0590] Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte gewaltige Eindrücke hinterlassen, unter denen die Furcht nicht der kleinste war. Dabei ist aber Furcht nicht mit Feigheit zu verwechseln. Die Frage: Wer kommt nun oder wieder daran? hat jahrzehntelang den Feinden Deutschlands als Anlaß gedient, die äußere Politik Bismarcks zu verdächtigen, und es hat fünfundzwanzig Jahre der feierlichsten Versicherungen und einer in diesem Sinne geleiteten Staatskunst bedurft, um jenen Eindruck, der in dem friedlichen Deutschland meist nicht mit in die politische Erwägung gezogen wird, ab¬ zuschwächen und die Welt davon zu überzeugen, daß das neu erstaudne Reich wirklich uur der Hort des Friedens zu sein, d. h. keine neuen Eroberungen zu machen beabsichtige. Die Berücksichtigung dieses Umstands läßt manche politische Erscheinung der letzten Jahrzehnte verständlicher erscheinen. Man beeilte sich ringsum, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, und romanische wie slawische Federn waren eifrig bemüht, ihre Volksgenossen zum Kampf gegen das mit so überwältigender kriegerischer Macht neu in die Weltgeschichte eingetretne deutsche Reich und das Deutschtum im allgemeinen aufzubieten. Ein großer Teil dieser Bestrebungen, wenn nicht ihre Gesamtheit, ist auf die Furcht zurückzuführen. Am deutlichsten trat das in dem Verhalten der Franzosen hervor. Neben der notwendig gewordnen Neubildung der Armee auf Grundlage der allge¬ meinen Wehrpflicht erfolgte die. Verdauung der Ostgrenze durch eine dreifache Reihe von Befestigungen. Damit sollte ein erneuter „Einfall der Barbaren," wie der Krieg von 1870/71 unter beabsichtigter Entstellung der geschichtlichen Thatsachen nun einmal bezeichnet wurde, verhindert werden. Auf einen „frischen, fröhlichen Krieg" mit dem Gefühl des sichern Erfolgs im Herzen deutete das ebenso wenig wie das lärmende und aufreizende Geschrei der Revanche¬ politiker in der Presse. Schon im bürgerlichen Leben sieht nur, wer sich seiner Sache sicher fühlt, einer persönlichen Gefahr ruhig und lautlos ent¬ gegen, wer sich dagegen der geringsten Furcht vor der Überlegenheit des Gegners bewußt ist, sucht sie hinter Pfeifen und Singen, selbst prahlerischer Herausforderungen zu verdecken. Kommen nicht einzelne Personen, sondern Volksmengen oder gar ganze Völker ins Spiel, so nehmen die Versuche, sich unter einander Mut zuzusprechen, oft die übertriebensten Formen an und rufen mitunter selbst dadurch die Feindseligkeiten hervor, die man eigentlich ver¬ meiden wollte. Man wird gut thun, das ganze französische Revanchegeschrei mit diesem Maßstabe zu messen; dann leuchtet sofort ein, warum in den leitenden Kreisen Deutschlands nie besonders Gewicht darauf gelegt wurde, sondern man sich ab und zu auf einen der bekannten „kalten Wasserstrahlen" in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung beschränkte, worauf das bis zur Grenze des Unerträglichen gediehene Treiben stets auf eine noch zulässige Höhe zurückging. Nur einmal barg das Gebühren eine kriegerische Gefahr in sich, als nämlich im Jahre 1387 die französische Armee die deutsche um Zahl

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/590
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/590>, abgerufen am 24.07.2024.