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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Idealismus und Akademismus

das eine Ergebnis gehabt, den Blick für das Walten des Lebens, für die
Ursprünglichkeit des Lebensgefühls in der poetischen Natur und Phantasie zu
scharfe" und bestimmtere Unterscheidungen zwischen idealer Kunst und akade¬
mischer Kunst zum Gemeingut der ästhetischen Bildung zu machen.

Denn wie fesselnd auch immer der Blick über die breite poetische Welt ist,
die Schacks Werke vor uns aufthun, und so mannichfacher geistiger Gewinn
sich aus der Erkenntnis und Ergründung der litterarischen Bande und Fäden
ziehen läßt, die sich von urältesten, alten und neuen Dichtungen zu der Poesie
dieses Neumünchner Klassikers herüberspinnen, darüber kann kein Zweifel sein,
daß der gepriesene Vertreter des poetischen Idealismus dicht an der Grenze zu
Hause war, wo die Gebiete dieses Idealismus und des künstlerischen Akade¬
mismus ineinander verlaufen. Wohl thut unsre zünftige Litteraturforschung
alles mögliche, diese Grenze zu verwischen und vergessen zu machen. Indem
sie die Augen vor allen unmittelbaren, noch so deutlichen, noch so eindring¬
lichen Einwirkungen der Wirklichkeit auf den Dichter (es wäre denn, daß
diese Einwirkungen sich zu Briefen oder andern greifbaren und litterarischen
Zeugnissen verkörpert hätten) verschließt, sich selbst und andre gewöhnt, überall
nur litterarische Nachahmung, Weiterbildung überlieferter Motive und Kunst¬
mittel zu sehen, muß ihr der tiefe Unterschied zwischen der subjektiv-idealen
Steigerung und Läuterung der Naturvorbilder, aus der ein eigner idealer
Stil erwächst, und der einfachen Übernahme längst durchgebildeter An¬
schauungen und Formen, die eben akademisch ist, unwesentlich und gleichgiltig
werden. Dennoch wird das ausgeprägte Gefühl für diesen tiefen Unterschied
zuletzt immer wieder siegen. Und so ergreift uns bei der erneuten Lösung der
langen Reihe poetischer Werke Schacks das schmerzlichste Bedauern, daß dieser
ernste, reichgenührte und in einem gewissen Sinne auch wahrhaft poetische Geist
nur vereinzelt zu eignem poetischem Erleben und zur Darstellung des eignen Er¬
lebten gelangt ist. Ihm selbst hat sich die Thatsache, daß seine Poesie wesent¬
lich Poesie der Überlieferung war, in einem durchaus verklärten Lichte gezeigt.
Wenn es in den "Nächten des Orients" heißt:


Idealismus und Akademismus

das eine Ergebnis gehabt, den Blick für das Walten des Lebens, für die
Ursprünglichkeit des Lebensgefühls in der poetischen Natur und Phantasie zu
scharfe» und bestimmtere Unterscheidungen zwischen idealer Kunst und akade¬
mischer Kunst zum Gemeingut der ästhetischen Bildung zu machen.

Denn wie fesselnd auch immer der Blick über die breite poetische Welt ist,
die Schacks Werke vor uns aufthun, und so mannichfacher geistiger Gewinn
sich aus der Erkenntnis und Ergründung der litterarischen Bande und Fäden
ziehen läßt, die sich von urältesten, alten und neuen Dichtungen zu der Poesie
dieses Neumünchner Klassikers herüberspinnen, darüber kann kein Zweifel sein,
daß der gepriesene Vertreter des poetischen Idealismus dicht an der Grenze zu
Hause war, wo die Gebiete dieses Idealismus und des künstlerischen Akade¬
mismus ineinander verlaufen. Wohl thut unsre zünftige Litteraturforschung
alles mögliche, diese Grenze zu verwischen und vergessen zu machen. Indem
sie die Augen vor allen unmittelbaren, noch so deutlichen, noch so eindring¬
lichen Einwirkungen der Wirklichkeit auf den Dichter (es wäre denn, daß
diese Einwirkungen sich zu Briefen oder andern greifbaren und litterarischen
Zeugnissen verkörpert hätten) verschließt, sich selbst und andre gewöhnt, überall
nur litterarische Nachahmung, Weiterbildung überlieferter Motive und Kunst¬
mittel zu sehen, muß ihr der tiefe Unterschied zwischen der subjektiv-idealen
Steigerung und Läuterung der Naturvorbilder, aus der ein eigner idealer
Stil erwächst, und der einfachen Übernahme längst durchgebildeter An¬
schauungen und Formen, die eben akademisch ist, unwesentlich und gleichgiltig
werden. Dennoch wird das ausgeprägte Gefühl für diesen tiefen Unterschied
zuletzt immer wieder siegen. Und so ergreift uns bei der erneuten Lösung der
langen Reihe poetischer Werke Schacks das schmerzlichste Bedauern, daß dieser
ernste, reichgenührte und in einem gewissen Sinne auch wahrhaft poetische Geist
nur vereinzelt zu eignem poetischem Erleben und zur Darstellung des eignen Er¬
lebten gelangt ist. Ihm selbst hat sich die Thatsache, daß seine Poesie wesent¬
lich Poesie der Überlieferung war, in einem durchaus verklärten Lichte gezeigt.
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[0563] Idealismus und Akademismus das eine Ergebnis gehabt, den Blick für das Walten des Lebens, für die Ursprünglichkeit des Lebensgefühls in der poetischen Natur und Phantasie zu scharfe» und bestimmtere Unterscheidungen zwischen idealer Kunst und akade¬ mischer Kunst zum Gemeingut der ästhetischen Bildung zu machen. Denn wie fesselnd auch immer der Blick über die breite poetische Welt ist, die Schacks Werke vor uns aufthun, und so mannichfacher geistiger Gewinn sich aus der Erkenntnis und Ergründung der litterarischen Bande und Fäden ziehen läßt, die sich von urältesten, alten und neuen Dichtungen zu der Poesie dieses Neumünchner Klassikers herüberspinnen, darüber kann kein Zweifel sein, daß der gepriesene Vertreter des poetischen Idealismus dicht an der Grenze zu Hause war, wo die Gebiete dieses Idealismus und des künstlerischen Akade¬ mismus ineinander verlaufen. Wohl thut unsre zünftige Litteraturforschung alles mögliche, diese Grenze zu verwischen und vergessen zu machen. Indem sie die Augen vor allen unmittelbaren, noch so deutlichen, noch so eindring¬ lichen Einwirkungen der Wirklichkeit auf den Dichter (es wäre denn, daß diese Einwirkungen sich zu Briefen oder andern greifbaren und litterarischen Zeugnissen verkörpert hätten) verschließt, sich selbst und andre gewöhnt, überall nur litterarische Nachahmung, Weiterbildung überlieferter Motive und Kunst¬ mittel zu sehen, muß ihr der tiefe Unterschied zwischen der subjektiv-idealen Steigerung und Läuterung der Naturvorbilder, aus der ein eigner idealer Stil erwächst, und der einfachen Übernahme längst durchgebildeter An¬ schauungen und Formen, die eben akademisch ist, unwesentlich und gleichgiltig werden. Dennoch wird das ausgeprägte Gefühl für diesen tiefen Unterschied zuletzt immer wieder siegen. Und so ergreift uns bei der erneuten Lösung der langen Reihe poetischer Werke Schacks das schmerzlichste Bedauern, daß dieser ernste, reichgenührte und in einem gewissen Sinne auch wahrhaft poetische Geist nur vereinzelt zu eignem poetischem Erleben und zur Darstellung des eignen Er¬ lebten gelangt ist. Ihm selbst hat sich die Thatsache, daß seine Poesie wesent¬ lich Poesie der Überlieferung war, in einem durchaus verklärten Lichte gezeigt. Wenn es in den „Nächten des Orients" heißt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/563>, abgerufen am 23.06.2024.