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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Personalkredit des ländlichen Aleingrundbesitzes

Lage befunden, da ihnen viele Kassen und auch die einzelnen Bauern aus
Mißtrauen jede Auskunft verweigerten, sodaß bei dem endgiltigen Bericht das
Material zu unvollständig war, um eine Statistik zu ermöglichen. Auf der
andern Seite haben sich mitunter die Berichterstatter grobe Unterlassungssünden
zu schulden kommen lassen. Auf Mitteilungen aus einer so bedeutenden
Provinz wie Schlesien mußte ganz verzichtet werden. Aus Vorpommern und
Mecklenburg-Schwerin gingen so kürgliche Berichte ein, daß mau sie ohne
Schaden übergehen kann. Auch die Gutachten aus Hannover und Schleswig-
Holstein sind unzulänglich. Allerdings konnten viele Fragen gar nicht beant¬
wortet werden, weil die Einrichtungen für den Personalkredit erst jüngst ins
Leben gerufen waren und ein sichres Urteil noch nicht zuließen.

Aus diesen Gründen hat der Verein für Sozialpolitik oder vielmehr der
von ihm niedergesetzte Ausschuß die ursprünglich beabsichtigte Gesamtbetrachtung,
die den Berichten vorausgeschickt werden sollte, ganz unterlassen; wie ich glaube,
nicht ganz mit Recht. Denn hätte sich auch das anfangs ins Auge gefaßte
Ziel nicht annähernd erreichen lassen, so wäre es doch angebracht gewesen, die
im Mittelpunkt des Interesses stehende Frage zu beantworten: Welche Art der
bisher in Thätigkeit getretner Einrichtungen zur Befriedigung des Personal-
krcdits empfiehlt sich am meisten bei der weiten: Ergänzung des Netzes der
ländlichen Kreditorganisation, die Sparkassen, die Schulze-Delitzschschen Vor¬
schußvereine oder die Raiffeisenschen und die ihnen verwandten ländlichen
Darlehnsknssen? Für die Lösung dieser Kernfrage steckt in ,den uns vor¬
liegenden Berichten und Gutachten eine solche Fülle von Material, daß es
schon nach einer flüchtigen Durchsicht nicht mehr zweifelhaft sein kann, welche
Form der bestehenden Krediteiurichtungen für die Beschaffung des ländlichen
Personalkredits am geeignetsten ist. Es sei mir erlaubt, auf diese Grundfrage
hier die Aufmerksamkeit des Lesers zu lenken.

Ich wende mich zuerst zu der Frage: Passen sich die Sparkassen, seien
es städtische oder Kreissparkasseu, dem Kreditbedürfuis der ländlichen Bevölke¬
rung an? In allen Berichten bis auf zwei wird diese Frage entschieden ver¬
neint, und das ist kein Wunder. Sind doch die Bedingungen, unter denen die
Sparkassen ihre Darlehen ausgeben, sür den Bauer fast unerfüllbar. Sie
verlangen Hinterlegung von Wechseln und Stellung von zwei zahlungsfähigen
Bürgen. Ist schon der Zinsfuß hoch -- in der Regel werden 5 bis 6 Prozent
und ^ bis Prozent Provisionszuschlag gefordert --, so erhöht er sich noch,
wenn, wie es in Preußen üblich ist, auch noch die Bürgen 1 Prozent Provision
beanspruchen. Einige Sparkassen haben dabei noch den Grundsatz (z. B. im
Regierungsbezirk Kassel), für kleinere Darlehen einen höhern Zinsfuß zu be¬
rechnen als für größere, sodaß gerade der ärmere Bauer, der meist nur einen
kleinen Kapitalbedarf hat, umso mehr bluten muß. Ein andrer Mißstand liegt
in der kurzen Darlehnsfrist, die sich auf nur drei Monate erstreckt, und wenn


Der Personalkredit des ländlichen Aleingrundbesitzes

Lage befunden, da ihnen viele Kassen und auch die einzelnen Bauern aus
Mißtrauen jede Auskunft verweigerten, sodaß bei dem endgiltigen Bericht das
Material zu unvollständig war, um eine Statistik zu ermöglichen. Auf der
andern Seite haben sich mitunter die Berichterstatter grobe Unterlassungssünden
zu schulden kommen lassen. Auf Mitteilungen aus einer so bedeutenden
Provinz wie Schlesien mußte ganz verzichtet werden. Aus Vorpommern und
Mecklenburg-Schwerin gingen so kürgliche Berichte ein, daß mau sie ohne
Schaden übergehen kann. Auch die Gutachten aus Hannover und Schleswig-
Holstein sind unzulänglich. Allerdings konnten viele Fragen gar nicht beant¬
wortet werden, weil die Einrichtungen für den Personalkredit erst jüngst ins
Leben gerufen waren und ein sichres Urteil noch nicht zuließen.

Aus diesen Gründen hat der Verein für Sozialpolitik oder vielmehr der
von ihm niedergesetzte Ausschuß die ursprünglich beabsichtigte Gesamtbetrachtung,
die den Berichten vorausgeschickt werden sollte, ganz unterlassen; wie ich glaube,
nicht ganz mit Recht. Denn hätte sich auch das anfangs ins Auge gefaßte
Ziel nicht annähernd erreichen lassen, so wäre es doch angebracht gewesen, die
im Mittelpunkt des Interesses stehende Frage zu beantworten: Welche Art der
bisher in Thätigkeit getretner Einrichtungen zur Befriedigung des Personal-
krcdits empfiehlt sich am meisten bei der weiten: Ergänzung des Netzes der
ländlichen Kreditorganisation, die Sparkassen, die Schulze-Delitzschschen Vor¬
schußvereine oder die Raiffeisenschen und die ihnen verwandten ländlichen
Darlehnsknssen? Für die Lösung dieser Kernfrage steckt in ,den uns vor¬
liegenden Berichten und Gutachten eine solche Fülle von Material, daß es
schon nach einer flüchtigen Durchsicht nicht mehr zweifelhaft sein kann, welche
Form der bestehenden Krediteiurichtungen für die Beschaffung des ländlichen
Personalkredits am geeignetsten ist. Es sei mir erlaubt, auf diese Grundfrage
hier die Aufmerksamkeit des Lesers zu lenken.

Ich wende mich zuerst zu der Frage: Passen sich die Sparkassen, seien
es städtische oder Kreissparkasseu, dem Kreditbedürfuis der ländlichen Bevölke¬
rung an? In allen Berichten bis auf zwei wird diese Frage entschieden ver¬
neint, und das ist kein Wunder. Sind doch die Bedingungen, unter denen die
Sparkassen ihre Darlehen ausgeben, sür den Bauer fast unerfüllbar. Sie
verlangen Hinterlegung von Wechseln und Stellung von zwei zahlungsfähigen
Bürgen. Ist schon der Zinsfuß hoch — in der Regel werden 5 bis 6 Prozent
und ^ bis Prozent Provisionszuschlag gefordert —, so erhöht er sich noch,
wenn, wie es in Preußen üblich ist, auch noch die Bürgen 1 Prozent Provision
beanspruchen. Einige Sparkassen haben dabei noch den Grundsatz (z. B. im
Regierungsbezirk Kassel), für kleinere Darlehen einen höhern Zinsfuß zu be¬
rechnen als für größere, sodaß gerade der ärmere Bauer, der meist nur einen
kleinen Kapitalbedarf hat, umso mehr bluten muß. Ein andrer Mißstand liegt
in der kurzen Darlehnsfrist, die sich auf nur drei Monate erstreckt, und wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/544>, abgerufen am 24.07.2024.