Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Litteratur kräftigen Arbeiterschutz, Koalitionsfreiheit der Arbeiter, Pflege der mancherlei Misch¬ Das Ziel, dem die immanente Teleologie der Entwicklung in der menschlichen Litteratur kräftigen Arbeiterschutz, Koalitionsfreiheit der Arbeiter, Pflege der mancherlei Misch¬ Das Ziel, dem die immanente Teleologie der Entwicklung in der menschlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226118"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1323" prev="#ID_1322"> kräftigen Arbeiterschutz, Koalitionsfreiheit der Arbeiter, Pflege der mancherlei Misch¬<lb/> formen von Privat- und Kollcktiveigentum, kurz, Forderung jenes Prozesses der<lb/> Sozialisirung des Eigentums, der vor dem Auftauchen der modernen sozialpolitischen<lb/> Ideen und unabhängig von diesen von selbst in Fluß gekommen ist; steuert doch<lb/> „selbst der moderne Staat, der angebliche Hort des individuellen Kapitalismus,<lb/> mit vollen Segeln immer tiefer in den Kollektivismus hinein. . . . Mit der den<lb/> Kerninhalt des Christentums ausmachenden Lehre der Gleichheit aller vor Gott<lb/> war zum erstenmale Bresche gelegt in das enge Clan- und Stammesbewußtsein<lb/> und das ausschließende Ncitionalgeftthl der alten Welt. Der soziale Niederschlag<lb/> dieser christlich-demokratischen Lehre der Gleichheit aller vor Gott erfolgt mit der<lb/> großen französischen Revolution in der politischen Lehre der Gleichheit aller vor<lb/> dem Gesetz. Die Gleichheit aller in Schule und Heer ist nur eine weitere Ab¬<lb/> schattung dieses unaufhaltsam fortwirkenden und immer intensiver um sich greifenden<lb/> Egalisirungsprozesscs, dessen oberste logische Spitze die von den Sozialsten geforderte<lb/> soziale und ökonomische Gleichheit aller ist." Aber eben nur die logische Spitze,<lb/> nicht die der wirklichen Entwicklung; diese hat natürlich überhaupt keine Spitze,<lb/> sondern beseitigt nur eben, die Richtung auf jenes Ziel einhaltend, von Zeit zu<lb/> Zeit die gar zu schreienden Ungleichheiten; wirkliche ökonomische Gleichheit ist nicht<lb/> möglich. Die dem Prozeß widerstrebenden Besitzenden, meint der Verfasser, könnten<lb/> durch zweierlei dafür gewonnen oder wenigstens zum Aufgeben des Widerstands<lb/> dagegen bewegt werden, erstens dadurch, daß die Gesetzgebung mehr und mehr<lb/> vou der wissenschaftlichen Einsicht in die Notwendigkeit, Unabwendbarkeit und Heil¬<lb/> samkeit der Reformen bestimmt wird, dann dadurch, daß „wir ohne Schmälerung<lb/> der Rechte Lebender nur in die Rechte Spätergeborner eingreifen, die in die von<lb/> uns zu schaffende Rechtsordnung hineingeboren werden und in diese hineinwachsen."<lb/> Dieser Eingriff soll darin bestehen, daß der Staat alle noch unentdeckten unter¬<lb/> irdischen Güterqnellcn und alle Wasserkräfte, die sich industriell verwenden lassen,<lb/> in Beschlag nimmt und sich die Ausbeutung aller zukünftigen Erfindungen vor¬<lb/> behält; würden z. B. alle neuen Beleuchtuugscirten ebenso verstaatlicht wie das<lb/> Telephon, so könnten sie nicht zur Aufhäufung großer Spekulationsgewinne mi߬<lb/> braucht werden, wie das beim Auerschen Glühlicht geschieht. Allerdings bedeutet<lb/> die Verstaatlichung nur in solchen Ländern einen Fortschritt, die sich, wie Deutsch¬<lb/> land, eines sittlich läutern, unbestechlichen Beamtentums erfreuen; in Lttuderu wie<lb/> Italien würden Staatsmonopole die sozialen Übel vermehren. Wird man, sagt<lb/> der Verfasser S. L84, „diesen Reformvorschlägen den Vorwurf macheu, daß sie<lb/> nichts Neues enthalten, so werde ich in diesem VorWurfe die willkommne Be¬<lb/> stätigung der Nichtigkeit dieser Vorschläge erblicken. Zielen doch meine an der<lb/> Hand der philosophischen Betrachtung des Weltvcrlaufs gereiften Einsichten und auf<lb/> Grund der soziologischen Prüfung der in der Gesellschaft wirksamen Kräfte er¬<lb/> wachsenen Vorschläge gerade darauf ab, alles Nadikalueue als naturwidrig, weil<lb/> der Kontinuität in der gesellschaftlichen Evolution widersprechend, dadurch zu ver¬<lb/> hüten, daß man es überflüssig macht. Gehe» wir doch hier vielmehr uur der<lb/> latenten Tendenz aller sozialen Entwicklung nach. Je weniger fremdartig und<lb/> überraschend also meine Vorschläge den Leser anmuten, um so größer ist die Ge¬<lb/> währ, daß ich mich nicht bloß auf dem richtigen, sondern sogar soziologisch einzig<lb/> gangbaren und zum Ziele führenden Wege befinde."</p><lb/> <p xml:id="ID_1324" next="#ID_1325"> Das Ziel, dem die immanente Teleologie der Entwicklung in der menschlichen<lb/> Gesellschaft ehedem ohne die bewußte Mitwirkung der Menschen zugestrebt hat,<lb/> das aber jetzt, nach erlangter Einsicht in den Prozeß, mit bewußter Absicht plan-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0532]
Litteratur
kräftigen Arbeiterschutz, Koalitionsfreiheit der Arbeiter, Pflege der mancherlei Misch¬
formen von Privat- und Kollcktiveigentum, kurz, Forderung jenes Prozesses der
Sozialisirung des Eigentums, der vor dem Auftauchen der modernen sozialpolitischen
Ideen und unabhängig von diesen von selbst in Fluß gekommen ist; steuert doch
„selbst der moderne Staat, der angebliche Hort des individuellen Kapitalismus,
mit vollen Segeln immer tiefer in den Kollektivismus hinein. . . . Mit der den
Kerninhalt des Christentums ausmachenden Lehre der Gleichheit aller vor Gott
war zum erstenmale Bresche gelegt in das enge Clan- und Stammesbewußtsein
und das ausschließende Ncitionalgeftthl der alten Welt. Der soziale Niederschlag
dieser christlich-demokratischen Lehre der Gleichheit aller vor Gott erfolgt mit der
großen französischen Revolution in der politischen Lehre der Gleichheit aller vor
dem Gesetz. Die Gleichheit aller in Schule und Heer ist nur eine weitere Ab¬
schattung dieses unaufhaltsam fortwirkenden und immer intensiver um sich greifenden
Egalisirungsprozesscs, dessen oberste logische Spitze die von den Sozialsten geforderte
soziale und ökonomische Gleichheit aller ist." Aber eben nur die logische Spitze,
nicht die der wirklichen Entwicklung; diese hat natürlich überhaupt keine Spitze,
sondern beseitigt nur eben, die Richtung auf jenes Ziel einhaltend, von Zeit zu
Zeit die gar zu schreienden Ungleichheiten; wirkliche ökonomische Gleichheit ist nicht
möglich. Die dem Prozeß widerstrebenden Besitzenden, meint der Verfasser, könnten
durch zweierlei dafür gewonnen oder wenigstens zum Aufgeben des Widerstands
dagegen bewegt werden, erstens dadurch, daß die Gesetzgebung mehr und mehr
vou der wissenschaftlichen Einsicht in die Notwendigkeit, Unabwendbarkeit und Heil¬
samkeit der Reformen bestimmt wird, dann dadurch, daß „wir ohne Schmälerung
der Rechte Lebender nur in die Rechte Spätergeborner eingreifen, die in die von
uns zu schaffende Rechtsordnung hineingeboren werden und in diese hineinwachsen."
Dieser Eingriff soll darin bestehen, daß der Staat alle noch unentdeckten unter¬
irdischen Güterqnellcn und alle Wasserkräfte, die sich industriell verwenden lassen,
in Beschlag nimmt und sich die Ausbeutung aller zukünftigen Erfindungen vor¬
behält; würden z. B. alle neuen Beleuchtuugscirten ebenso verstaatlicht wie das
Telephon, so könnten sie nicht zur Aufhäufung großer Spekulationsgewinne mi߬
braucht werden, wie das beim Auerschen Glühlicht geschieht. Allerdings bedeutet
die Verstaatlichung nur in solchen Ländern einen Fortschritt, die sich, wie Deutsch¬
land, eines sittlich läutern, unbestechlichen Beamtentums erfreuen; in Lttuderu wie
Italien würden Staatsmonopole die sozialen Übel vermehren. Wird man, sagt
der Verfasser S. L84, „diesen Reformvorschlägen den Vorwurf macheu, daß sie
nichts Neues enthalten, so werde ich in diesem VorWurfe die willkommne Be¬
stätigung der Nichtigkeit dieser Vorschläge erblicken. Zielen doch meine an der
Hand der philosophischen Betrachtung des Weltvcrlaufs gereiften Einsichten und auf
Grund der soziologischen Prüfung der in der Gesellschaft wirksamen Kräfte er¬
wachsenen Vorschläge gerade darauf ab, alles Nadikalueue als naturwidrig, weil
der Kontinuität in der gesellschaftlichen Evolution widersprechend, dadurch zu ver¬
hüten, daß man es überflüssig macht. Gehe» wir doch hier vielmehr uur der
latenten Tendenz aller sozialen Entwicklung nach. Je weniger fremdartig und
überraschend also meine Vorschläge den Leser anmuten, um so größer ist die Ge¬
währ, daß ich mich nicht bloß auf dem richtigen, sondern sogar soziologisch einzig
gangbaren und zum Ziele führenden Wege befinde."
Das Ziel, dem die immanente Teleologie der Entwicklung in der menschlichen
Gesellschaft ehedem ohne die bewußte Mitwirkung der Menschen zugestrebt hat,
das aber jetzt, nach erlangter Einsicht in den Prozeß, mit bewußter Absicht plan-
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