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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Mit den Franzosen, die seit den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts
im Ohiogebiet und an den großen Seen kolonisirten, sind die ersten Deutschen ins
Land gekommen. Bineennes ist die älteste französische Niederlassung in Jndiana,
und in und um diesen Ort finden sich schon im Anfang deutsche Namen, wahr¬
scheinlich elsässischen und lothringischen Ursprungs. Von diesen Deutschen stammt
wahrscheinlich Leonhnrd Helm, der 1778 auf der Seite der jungen Vereinigten
Staaten das Fort Vincennes heldenmütig gegen die Engländer verteidigt hat und
später der erste Jndianarkommissar in diesem Gebiet war. 1792 traf er in Vincennes
mit dem berühmten Heckewelder zusammen, der als Missionar der mährischen Brüder¬
gemeinde damals der beste Kenner der Indianer und im Auftrag der Bundesregierung
unermüdlich thätig für den Frieden zwischen Weißen und Indianern war. Als
Missionar der Delawaren trat um seine Stelle der deutsche Geistliche Luckewald. 17W
begnun die Einwanderung französischer Schweizer, die den Weinbau am Ohio ein¬
bürgerten, dem sich auch deutsche Einwanderer zuwandten. 1814 siedelte ans Penn-
shlvanien die württembergische Sekte der Nappiste" nach Jndiana über und schuf in
New Harmonh eine blühende Ansiedlung, die besonders dnrch die Pflege der Haus¬
industrie zur Hebung des Staates beitrug. Ihre kommunistische Grundlage konnte
aber nicht von Dauer sein; sie hat sich ausgelost, und in ihren imposanten Bauten
hört man kaum ein deutsches Wort mehr. Die steigende Woge der Einwanderung
brachte Ersatz, aber ein fest organisirtes Gemeinwesen wie Neu-Harmonie hat sie
nicht wieder erstehen lassen. Dafür kamen die gebildeten Leute in größerer Zahl,
die bisher in der deutschen Einwanderung spärlich vertreten gewesen waren, und
da gleichzeitig die Zahl der Einwanderer zu wachsen begann, entwickelte sich nun
das Deutschtum, wie wir es überall im alten Westen seitdem haben heranwachsen
sehen! ein tüchtiges deutsches Bauerntum ans dem Lande und zahlreiche Handwerker
und Arbeiter in den Städten, die in den größer" Städten wie Fort Wahne,
Judinuopolis, Terre Häute sich mit der Zeit in eignen Quartieren zusammen¬
fanden, ihre eignen Schulen, Zeitungen und politischen Führer erhielten und ein
nicht unbedeutendes Gewicht in die politische Wagschale warfen. In allen poli¬
tischen und Knltnrfrnge" fochten die Deutsche" geschlossen sür die ideale Freiheit,
in deren Dienst ihre Führer schon im Vaterlande gekämpft und gelitten hatten.
Sie erstiegen dadurch in den sechziger Jahren den Gipfel ihrer politischen Geltung,
als sie sich im Kampf gegen die Sklaverei und im Krieg gegen die Konföderation
den Republikanern des Nordens als wertvolle Verbündete erwiese". Der Aufschwung
ist nicht so nachhaltig gewesen, wie man zu der Zeit erwartete, wo Indiana i"
August Willich eine" der tüchtigste" Offiziere i" die Armee der Nvrdftnate" schickte,
dessen 32. Regiment unter deutschen, Kommando ""d deutsche" Signale" sich Ruhm
erwarb, u"d wo el"e wachsende Zahl von Dentschen im Senat saß u"d hohe
Staatsämter Judiauas einnahm. Als sich die Zustände der Heimat besserte", ließ
die Eimvcmderuug der begabten und zum Teil hochgebildeten Männer nach, die
das Vaterland einst von sich gestoßen hatte. Einen Ersatz dafür auf amerikanischem
Boden groß zu ziehen, ist den Deutsch-Amerikanern so wenig in Jndiana wie
anderwärts gelungen. Die Dentschen haben auch in Jndiana im letzten Menschcn-
cilter große Erfolge in den Geschäften erzielt. Bon einen: Herabsehen ans de"
arme", ""geschickte" Dntchma", wie es die Einwanderer noch der vierziger Jahre
zu ertragen hatten, ist keine Rede mehr. Der deutsche Unterricht hat sich in
Schulen aller Grade ausgebreitet, und Fritsch zählt ncnnundzwnnzig deutsche
Zeitungen und Zeitschriften, darunter sieben täglich erscheinende, auf. Aber es ist
nuffcillend, wie wenig deutsche Namen in den vordem Reihen der namhafteste"


Grenzboten III 1807
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Mit den Franzosen, die seit den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts
im Ohiogebiet und an den großen Seen kolonisirten, sind die ersten Deutschen ins
Land gekommen. Bineennes ist die älteste französische Niederlassung in Jndiana,
und in und um diesen Ort finden sich schon im Anfang deutsche Namen, wahr¬
scheinlich elsässischen und lothringischen Ursprungs. Von diesen Deutschen stammt
wahrscheinlich Leonhnrd Helm, der 1778 auf der Seite der jungen Vereinigten
Staaten das Fort Vincennes heldenmütig gegen die Engländer verteidigt hat und
später der erste Jndianarkommissar in diesem Gebiet war. 1792 traf er in Vincennes
mit dem berühmten Heckewelder zusammen, der als Missionar der mährischen Brüder¬
gemeinde damals der beste Kenner der Indianer und im Auftrag der Bundesregierung
unermüdlich thätig für den Frieden zwischen Weißen und Indianern war. Als
Missionar der Delawaren trat um seine Stelle der deutsche Geistliche Luckewald. 17W
begnun die Einwanderung französischer Schweizer, die den Weinbau am Ohio ein¬
bürgerten, dem sich auch deutsche Einwanderer zuwandten. 1814 siedelte ans Penn-
shlvanien die württembergische Sekte der Nappiste» nach Jndiana über und schuf in
New Harmonh eine blühende Ansiedlung, die besonders dnrch die Pflege der Haus¬
industrie zur Hebung des Staates beitrug. Ihre kommunistische Grundlage konnte
aber nicht von Dauer sein; sie hat sich ausgelost, und in ihren imposanten Bauten
hört man kaum ein deutsches Wort mehr. Die steigende Woge der Einwanderung
brachte Ersatz, aber ein fest organisirtes Gemeinwesen wie Neu-Harmonie hat sie
nicht wieder erstehen lassen. Dafür kamen die gebildeten Leute in größerer Zahl,
die bisher in der deutschen Einwanderung spärlich vertreten gewesen waren, und
da gleichzeitig die Zahl der Einwanderer zu wachsen begann, entwickelte sich nun
das Deutschtum, wie wir es überall im alten Westen seitdem haben heranwachsen
sehen! ein tüchtiges deutsches Bauerntum ans dem Lande und zahlreiche Handwerker
und Arbeiter in den Städten, die in den größer» Städten wie Fort Wahne,
Judinuopolis, Terre Häute sich mit der Zeit in eignen Quartieren zusammen¬
fanden, ihre eignen Schulen, Zeitungen und politischen Führer erhielten und ein
nicht unbedeutendes Gewicht in die politische Wagschale warfen. In allen poli¬
tischen und Knltnrfrnge» fochten die Deutsche» geschlossen sür die ideale Freiheit,
in deren Dienst ihre Führer schon im Vaterlande gekämpft und gelitten hatten.
Sie erstiegen dadurch in den sechziger Jahren den Gipfel ihrer politischen Geltung,
als sie sich im Kampf gegen die Sklaverei und im Krieg gegen die Konföderation
den Republikanern des Nordens als wertvolle Verbündete erwiese». Der Aufschwung
ist nicht so nachhaltig gewesen, wie man zu der Zeit erwartete, wo Indiana i»
August Willich eine» der tüchtigste» Offiziere i» die Armee der Nvrdftnate» schickte,
dessen 32. Regiment unter deutschen, Kommando »»d deutsche» Signale» sich Ruhm
erwarb, u»d wo el»e wachsende Zahl von Dentschen im Senat saß u»d hohe
Staatsämter Judiauas einnahm. Als sich die Zustände der Heimat besserte», ließ
die Eimvcmderuug der begabten und zum Teil hochgebildeten Männer nach, die
das Vaterland einst von sich gestoßen hatte. Einen Ersatz dafür auf amerikanischem
Boden groß zu ziehen, ist den Deutsch-Amerikanern so wenig in Jndiana wie
anderwärts gelungen. Die Dentschen haben auch in Jndiana im letzten Menschcn-
cilter große Erfolge in den Geschäften erzielt. Bon einen: Herabsehen ans de»
arme», »»geschickte» Dntchma», wie es die Einwanderer noch der vierziger Jahre
zu ertragen hatten, ist keine Rede mehr. Der deutsche Unterricht hat sich in
Schulen aller Grade ausgebreitet, und Fritsch zählt ncnnundzwnnzig deutsche
Zeitungen und Zeitschriften, darunter sieben täglich erscheinende, auf. Aber es ist
nuffcillend, wie wenig deutsche Namen in den vordem Reihen der namhafteste»


Grenzboten III 1807
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[0529] Maßgebliches und Unmaßgebliches Mit den Franzosen, die seit den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts im Ohiogebiet und an den großen Seen kolonisirten, sind die ersten Deutschen ins Land gekommen. Bineennes ist die älteste französische Niederlassung in Jndiana, und in und um diesen Ort finden sich schon im Anfang deutsche Namen, wahr¬ scheinlich elsässischen und lothringischen Ursprungs. Von diesen Deutschen stammt wahrscheinlich Leonhnrd Helm, der 1778 auf der Seite der jungen Vereinigten Staaten das Fort Vincennes heldenmütig gegen die Engländer verteidigt hat und später der erste Jndianarkommissar in diesem Gebiet war. 1792 traf er in Vincennes mit dem berühmten Heckewelder zusammen, der als Missionar der mährischen Brüder¬ gemeinde damals der beste Kenner der Indianer und im Auftrag der Bundesregierung unermüdlich thätig für den Frieden zwischen Weißen und Indianern war. Als Missionar der Delawaren trat um seine Stelle der deutsche Geistliche Luckewald. 17W begnun die Einwanderung französischer Schweizer, die den Weinbau am Ohio ein¬ bürgerten, dem sich auch deutsche Einwanderer zuwandten. 1814 siedelte ans Penn- shlvanien die württembergische Sekte der Nappiste» nach Jndiana über und schuf in New Harmonh eine blühende Ansiedlung, die besonders dnrch die Pflege der Haus¬ industrie zur Hebung des Staates beitrug. Ihre kommunistische Grundlage konnte aber nicht von Dauer sein; sie hat sich ausgelost, und in ihren imposanten Bauten hört man kaum ein deutsches Wort mehr. Die steigende Woge der Einwanderung brachte Ersatz, aber ein fest organisirtes Gemeinwesen wie Neu-Harmonie hat sie nicht wieder erstehen lassen. Dafür kamen die gebildeten Leute in größerer Zahl, die bisher in der deutschen Einwanderung spärlich vertreten gewesen waren, und da gleichzeitig die Zahl der Einwanderer zu wachsen begann, entwickelte sich nun das Deutschtum, wie wir es überall im alten Westen seitdem haben heranwachsen sehen! ein tüchtiges deutsches Bauerntum ans dem Lande und zahlreiche Handwerker und Arbeiter in den Städten, die in den größer» Städten wie Fort Wahne, Judinuopolis, Terre Häute sich mit der Zeit in eignen Quartieren zusammen¬ fanden, ihre eignen Schulen, Zeitungen und politischen Führer erhielten und ein nicht unbedeutendes Gewicht in die politische Wagschale warfen. In allen poli¬ tischen und Knltnrfrnge» fochten die Deutsche» geschlossen sür die ideale Freiheit, in deren Dienst ihre Führer schon im Vaterlande gekämpft und gelitten hatten. Sie erstiegen dadurch in den sechziger Jahren den Gipfel ihrer politischen Geltung, als sie sich im Kampf gegen die Sklaverei und im Krieg gegen die Konföderation den Republikanern des Nordens als wertvolle Verbündete erwiese». Der Aufschwung ist nicht so nachhaltig gewesen, wie man zu der Zeit erwartete, wo Indiana i» August Willich eine» der tüchtigste» Offiziere i» die Armee der Nvrdftnate» schickte, dessen 32. Regiment unter deutschen, Kommando »»d deutsche» Signale» sich Ruhm erwarb, u»d wo el»e wachsende Zahl von Dentschen im Senat saß u»d hohe Staatsämter Judiauas einnahm. Als sich die Zustände der Heimat besserte», ließ die Eimvcmderuug der begabten und zum Teil hochgebildeten Männer nach, die das Vaterland einst von sich gestoßen hatte. Einen Ersatz dafür auf amerikanischem Boden groß zu ziehen, ist den Deutsch-Amerikanern so wenig in Jndiana wie anderwärts gelungen. Die Dentschen haben auch in Jndiana im letzten Menschcn- cilter große Erfolge in den Geschäften erzielt. Bon einen: Herabsehen ans de» arme», »»geschickte» Dntchma», wie es die Einwanderer noch der vierziger Jahre zu ertragen hatten, ist keine Rede mehr. Der deutsche Unterricht hat sich in Schulen aller Grade ausgebreitet, und Fritsch zählt ncnnundzwnnzig deutsche Zeitungen und Zeitschriften, darunter sieben täglich erscheinende, auf. Aber es ist nuffcillend, wie wenig deutsche Namen in den vordem Reihen der namhafteste» Grenzboten III 1807

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/529>, abgerufen am 29.12.2024.