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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Rente und Rohertrag

der Arbeiter, der bisher der letzte war, Mehrwert ein; denn er erarbeitet noch
ebenso viel und erhält für sich doch weniger. Es können also noch weitere
Arbeiter angestellt werden. Die Rente steigt, und der Rohertrag steigt. Wenn
dagegen der Arbeitslohn steigt, so muß der Arbeiter, der bisher der letzte war,
abgeschafft werden, der Mehrwert wird sich vermindern, und das Gesamtprodukt
der Arbeit auch.

Zu den Produktionskosten der Landwirtschaft gehören Arbeitslöhne und
fast nur Arbeitslöhne. Es ist ja auch selbstverständlich, daß eine Betriebsart,
die die große Masse alles Rohmaterials schafft, uicht viel Rohmaterial ver¬
braucht, fondern nur Arbeit. Steigen die Kosten der Arbeit, so merkt das
kein Unternehmer so deutlich wie der Landwirt. Ein Hamburger Handelsherr,
der von seinem jährlichen Betriebskapital vielleicht zwei Drittel für Waren,
und noch dazu für ausländische Waren, ausgiebt und nur ein Drittel sür
Arbeitslöhne seiner Schauerleute, merkt wenig von Unfall-, Kranken- und
Altersversicherung, der Landwirt umso mehr. Jede Steuer aber, die auf einem
Gewerbe mehr lastet als auf dem andern, muß notwendig entweder die Waren
dieses Gewerbes verteuern oder seinen Umfang einschränken, im Ackerbau also
Land brach legen. Darum hat auch der scharfsinnigste aller Freihändler,
Nieardo, der wahrhaftig kein Frenno der Grundherren war, gerade im Hinblick
auf den Ackerbau anerkannt, daß es für solche Waren, die besondre Lasten zu
tragen haben, zum Ausgleich einen Schutzzoll auf fremde Waren gleicher Art
geben müsse, und daß sogar ein Rückzoll, eine Exportprämie in gleicher Höhe
für eben diese inländische Ware zugestanden werden müsse, nicht nach Grund¬
sätzen der Schutzzollpolitik, sondern gerade nach den Grundsätzen des Frei¬
handels, damit das natürliche Gleichgewicht der Erwerbszweige im Lande nicht
unversehens durch jenen Eingriff gestört werde.

Muß der Landwirt sparen, so kann er nur an den Kosten der Arbeit
sparen. Wenn die Preise sinken, und wenn die Löhne steigen, in beiden Fällen
kann er nicht mehr so viel Arbeit anwenden. Er muß "extensive" Wirtschaft
treiben. "Intensiv" wirtschaften heißt viel Arbeit, viel Fleiß anwenden, be¬
rechnet auf die Einheit des Produkts. "Extensio" arbeiten heißt wenig Arbeit
anwenden beim Düngen, beim Reinhalten des Ackers, beim Einsammeln der
Ernte. Man könnte sagen, es hieße liederlich wirtschaften, aber mit dem Zusatz,
daß eben der Liederliche hier wirtschaftlich ist. Extensive Wirtschaft, wo ehe¬
mals intensive war, bedeutet Verwüstung.

Es ist eine Fabel der alten Nationalökonomie, daß man, wenn ein Ge¬
schäft nicht mehr rentirt, sein Kapital nur einfach herauszuziehen brauche, um
irgendwo anders einzuspringen zum eignen Vorteil und zum Vorteil der Ge¬
samtheit. Das mag im Kaffeehandcl so sein, aber nicht im Landbau. Der
Landwirt kann im nächsten Jahre weniger Arbeiter anstellen und weniger
Düngemittel anwenden; dann behält er ein kleines Kapital übrig. Aber was


Grenzboten III 18S7 W
Rente und Rohertrag

der Arbeiter, der bisher der letzte war, Mehrwert ein; denn er erarbeitet noch
ebenso viel und erhält für sich doch weniger. Es können also noch weitere
Arbeiter angestellt werden. Die Rente steigt, und der Rohertrag steigt. Wenn
dagegen der Arbeitslohn steigt, so muß der Arbeiter, der bisher der letzte war,
abgeschafft werden, der Mehrwert wird sich vermindern, und das Gesamtprodukt
der Arbeit auch.

Zu den Produktionskosten der Landwirtschaft gehören Arbeitslöhne und
fast nur Arbeitslöhne. Es ist ja auch selbstverständlich, daß eine Betriebsart,
die die große Masse alles Rohmaterials schafft, uicht viel Rohmaterial ver¬
braucht, fondern nur Arbeit. Steigen die Kosten der Arbeit, so merkt das
kein Unternehmer so deutlich wie der Landwirt. Ein Hamburger Handelsherr,
der von seinem jährlichen Betriebskapital vielleicht zwei Drittel für Waren,
und noch dazu für ausländische Waren, ausgiebt und nur ein Drittel sür
Arbeitslöhne seiner Schauerleute, merkt wenig von Unfall-, Kranken- und
Altersversicherung, der Landwirt umso mehr. Jede Steuer aber, die auf einem
Gewerbe mehr lastet als auf dem andern, muß notwendig entweder die Waren
dieses Gewerbes verteuern oder seinen Umfang einschränken, im Ackerbau also
Land brach legen. Darum hat auch der scharfsinnigste aller Freihändler,
Nieardo, der wahrhaftig kein Frenno der Grundherren war, gerade im Hinblick
auf den Ackerbau anerkannt, daß es für solche Waren, die besondre Lasten zu
tragen haben, zum Ausgleich einen Schutzzoll auf fremde Waren gleicher Art
geben müsse, und daß sogar ein Rückzoll, eine Exportprämie in gleicher Höhe
für eben diese inländische Ware zugestanden werden müsse, nicht nach Grund¬
sätzen der Schutzzollpolitik, sondern gerade nach den Grundsätzen des Frei¬
handels, damit das natürliche Gleichgewicht der Erwerbszweige im Lande nicht
unversehens durch jenen Eingriff gestört werde.

Muß der Landwirt sparen, so kann er nur an den Kosten der Arbeit
sparen. Wenn die Preise sinken, und wenn die Löhne steigen, in beiden Fällen
kann er nicht mehr so viel Arbeit anwenden. Er muß „extensive" Wirtschaft
treiben. „Intensiv" wirtschaften heißt viel Arbeit, viel Fleiß anwenden, be¬
rechnet auf die Einheit des Produkts. „Extensio" arbeiten heißt wenig Arbeit
anwenden beim Düngen, beim Reinhalten des Ackers, beim Einsammeln der
Ernte. Man könnte sagen, es hieße liederlich wirtschaften, aber mit dem Zusatz,
daß eben der Liederliche hier wirtschaftlich ist. Extensive Wirtschaft, wo ehe¬
mals intensive war, bedeutet Verwüstung.

Es ist eine Fabel der alten Nationalökonomie, daß man, wenn ein Ge¬
schäft nicht mehr rentirt, sein Kapital nur einfach herauszuziehen brauche, um
irgendwo anders einzuspringen zum eignen Vorteil und zum Vorteil der Ge¬
samtheit. Das mag im Kaffeehandcl so sein, aber nicht im Landbau. Der
Landwirt kann im nächsten Jahre weniger Arbeiter anstellen und weniger
Düngemittel anwenden; dann behält er ein kleines Kapital übrig. Aber was


Grenzboten III 18S7 W
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[0497] Rente und Rohertrag der Arbeiter, der bisher der letzte war, Mehrwert ein; denn er erarbeitet noch ebenso viel und erhält für sich doch weniger. Es können also noch weitere Arbeiter angestellt werden. Die Rente steigt, und der Rohertrag steigt. Wenn dagegen der Arbeitslohn steigt, so muß der Arbeiter, der bisher der letzte war, abgeschafft werden, der Mehrwert wird sich vermindern, und das Gesamtprodukt der Arbeit auch. Zu den Produktionskosten der Landwirtschaft gehören Arbeitslöhne und fast nur Arbeitslöhne. Es ist ja auch selbstverständlich, daß eine Betriebsart, die die große Masse alles Rohmaterials schafft, uicht viel Rohmaterial ver¬ braucht, fondern nur Arbeit. Steigen die Kosten der Arbeit, so merkt das kein Unternehmer so deutlich wie der Landwirt. Ein Hamburger Handelsherr, der von seinem jährlichen Betriebskapital vielleicht zwei Drittel für Waren, und noch dazu für ausländische Waren, ausgiebt und nur ein Drittel sür Arbeitslöhne seiner Schauerleute, merkt wenig von Unfall-, Kranken- und Altersversicherung, der Landwirt umso mehr. Jede Steuer aber, die auf einem Gewerbe mehr lastet als auf dem andern, muß notwendig entweder die Waren dieses Gewerbes verteuern oder seinen Umfang einschränken, im Ackerbau also Land brach legen. Darum hat auch der scharfsinnigste aller Freihändler, Nieardo, der wahrhaftig kein Frenno der Grundherren war, gerade im Hinblick auf den Ackerbau anerkannt, daß es für solche Waren, die besondre Lasten zu tragen haben, zum Ausgleich einen Schutzzoll auf fremde Waren gleicher Art geben müsse, und daß sogar ein Rückzoll, eine Exportprämie in gleicher Höhe für eben diese inländische Ware zugestanden werden müsse, nicht nach Grund¬ sätzen der Schutzzollpolitik, sondern gerade nach den Grundsätzen des Frei¬ handels, damit das natürliche Gleichgewicht der Erwerbszweige im Lande nicht unversehens durch jenen Eingriff gestört werde. Muß der Landwirt sparen, so kann er nur an den Kosten der Arbeit sparen. Wenn die Preise sinken, und wenn die Löhne steigen, in beiden Fällen kann er nicht mehr so viel Arbeit anwenden. Er muß „extensive" Wirtschaft treiben. „Intensiv" wirtschaften heißt viel Arbeit, viel Fleiß anwenden, be¬ rechnet auf die Einheit des Produkts. „Extensio" arbeiten heißt wenig Arbeit anwenden beim Düngen, beim Reinhalten des Ackers, beim Einsammeln der Ernte. Man könnte sagen, es hieße liederlich wirtschaften, aber mit dem Zusatz, daß eben der Liederliche hier wirtschaftlich ist. Extensive Wirtschaft, wo ehe¬ mals intensive war, bedeutet Verwüstung. Es ist eine Fabel der alten Nationalökonomie, daß man, wenn ein Ge¬ schäft nicht mehr rentirt, sein Kapital nur einfach herauszuziehen brauche, um irgendwo anders einzuspringen zum eignen Vorteil und zum Vorteil der Ge¬ samtheit. Das mag im Kaffeehandcl so sein, aber nicht im Landbau. Der Landwirt kann im nächsten Jahre weniger Arbeiter anstellen und weniger Düngemittel anwenden; dann behält er ein kleines Kapital übrig. Aber was Grenzboten III 18S7 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/497>, abgerufen am 24.07.2024.