Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus unsrer Gstmark

der nächsten Wahlkampagne, so ist zu fürchten, daß die in Westpreußen zahl¬
reichen und organisirten Nationalliberalen sich von den Konservativen trennen,
und daß das nur im Osten noch wirksame Kartell von 1887 ganz in die Brüche
geht. Der Freisinn wird, darüber kaun kein Zweifel sein, ohne Skrupel jedes
Mittel anwenden, um konservative Wahlen zu vereiteln. Schon mehrmals
hat er sich auf die polnische Seite gestellt und Maßregeln der Staatsregierung
im Kampfe gegen die polnische Agitation für verwerflich erklärt; erst unlängst
haben die freisinnigen Stadtverordneten von Schwersenz^) zusammen mit den
polnischen erklärt, die Polizeiverwaltung habe durch das Verbot des öffent¬
lichen Umzugs eines polnischen Vereins sich eines "harten Vorgehens" schuldig
gemacht und dadurch den Unwillen der Schwersenzer Bürgerschaft erregt. Diese
Erklärung deutet darauf hin, daß auch 1898 die geringe Zahl der freisinnigen
Wahlmänner von Schwersenz, wenn sie wieder den Ausschlag im Kampfe der
deutschen und polnischen Wahlmänner in den Händen haben, sich wieder wie 1893
für ein Wahlkompromiß entscheiden werden, nach dem ein freisinniger und ein
polnischer Abgeordneter für den Wahlkreis Posen-Land und Obornik zu wühlen
sind. Wie 1893, wird der Wahlkreis Gnesen, wo die Zahl der deutschen und
der polnischen Wahlmänner gleich war, durch wenige freisinnige Stimmen den
Polen ausgeantwortet werden, in Jnowrazlaw und Birnbaum außer dem Frei¬
sinn auch Zentrum und Antisemitismus das Ihrige zur Vereitelung deutscher
Wahlen beitragen, die schon 1893 fast gelungen wäre. Die Ausbreitung des
Antisemitismus unter den Deutschen in der Ostmark wird überhaupt manche
Ungelegenheit schaffen und mindestens das einträchtige Zusammengehen der
Deutschen erschweren. Da die Polen, ohne viel Worte zu machen, praktischen
Antisemitismus treiben, so werden die bei Zensuswahlen so einflußreichen jüdischen
Wähler durch den sich wesentlich in Worten bethätigenden deutschen Anti¬
semitismus von der Wcchlbeweguug abgeschreckt oder geradezu in das polnische
Lager gescheucht werden. Der Verein zur Förderung des Deutschtums wird
beruhigend in die Wahlkämpfe weder eingreifen wollen, noch eingreifen dürfen;
er ist kein politischer Verein und hält sich grundsätzlich vou jeder politischen
Agitation fern. Er weiß, daß das Geheimnis seiner Macht wesentlich darin
beruht, daß er sich ausschließlich auf wirtschaftlichem Gebiete bethätigt, und
daß es mit seinem Einfluß an dem Tage zu Ende wäre, wo er in die politische
Arena hinabstiege, also etwa gegen die freisinnigen Anzapfungen Stellung nähme,
die er vernünftigerweise ganz unbeachtet läßt. Indem er seine Anhänger mit
deutscher Gesinnung und dem Gefühl der Solidarität aller Deutschen erfüllt,
wirkt er übrigens mittelbar für Wahlen im deutscheu Sinne. Daß die nächsten
Wahlen im Osten für die Deutschen schlecht ausfallen, wird aber auch dadurch



") In Schwersenz betrug Anfang der vierziger Jahre das polnische Element 20,
schon os Prozent der Einwohnerschaft,
Aus unsrer Gstmark

der nächsten Wahlkampagne, so ist zu fürchten, daß die in Westpreußen zahl¬
reichen und organisirten Nationalliberalen sich von den Konservativen trennen,
und daß das nur im Osten noch wirksame Kartell von 1887 ganz in die Brüche
geht. Der Freisinn wird, darüber kaun kein Zweifel sein, ohne Skrupel jedes
Mittel anwenden, um konservative Wahlen zu vereiteln. Schon mehrmals
hat er sich auf die polnische Seite gestellt und Maßregeln der Staatsregierung
im Kampfe gegen die polnische Agitation für verwerflich erklärt; erst unlängst
haben die freisinnigen Stadtverordneten von Schwersenz^) zusammen mit den
polnischen erklärt, die Polizeiverwaltung habe durch das Verbot des öffent¬
lichen Umzugs eines polnischen Vereins sich eines „harten Vorgehens" schuldig
gemacht und dadurch den Unwillen der Schwersenzer Bürgerschaft erregt. Diese
Erklärung deutet darauf hin, daß auch 1898 die geringe Zahl der freisinnigen
Wahlmänner von Schwersenz, wenn sie wieder den Ausschlag im Kampfe der
deutschen und polnischen Wahlmänner in den Händen haben, sich wieder wie 1893
für ein Wahlkompromiß entscheiden werden, nach dem ein freisinniger und ein
polnischer Abgeordneter für den Wahlkreis Posen-Land und Obornik zu wühlen
sind. Wie 1893, wird der Wahlkreis Gnesen, wo die Zahl der deutschen und
der polnischen Wahlmänner gleich war, durch wenige freisinnige Stimmen den
Polen ausgeantwortet werden, in Jnowrazlaw und Birnbaum außer dem Frei¬
sinn auch Zentrum und Antisemitismus das Ihrige zur Vereitelung deutscher
Wahlen beitragen, die schon 1893 fast gelungen wäre. Die Ausbreitung des
Antisemitismus unter den Deutschen in der Ostmark wird überhaupt manche
Ungelegenheit schaffen und mindestens das einträchtige Zusammengehen der
Deutschen erschweren. Da die Polen, ohne viel Worte zu machen, praktischen
Antisemitismus treiben, so werden die bei Zensuswahlen so einflußreichen jüdischen
Wähler durch den sich wesentlich in Worten bethätigenden deutschen Anti¬
semitismus von der Wcchlbeweguug abgeschreckt oder geradezu in das polnische
Lager gescheucht werden. Der Verein zur Förderung des Deutschtums wird
beruhigend in die Wahlkämpfe weder eingreifen wollen, noch eingreifen dürfen;
er ist kein politischer Verein und hält sich grundsätzlich vou jeder politischen
Agitation fern. Er weiß, daß das Geheimnis seiner Macht wesentlich darin
beruht, daß er sich ausschließlich auf wirtschaftlichem Gebiete bethätigt, und
daß es mit seinem Einfluß an dem Tage zu Ende wäre, wo er in die politische
Arena hinabstiege, also etwa gegen die freisinnigen Anzapfungen Stellung nähme,
die er vernünftigerweise ganz unbeachtet läßt. Indem er seine Anhänger mit
deutscher Gesinnung und dem Gefühl der Solidarität aller Deutschen erfüllt,
wirkt er übrigens mittelbar für Wahlen im deutscheu Sinne. Daß die nächsten
Wahlen im Osten für die Deutschen schlecht ausfallen, wird aber auch dadurch



") In Schwersenz betrug Anfang der vierziger Jahre das polnische Element 20,
schon os Prozent der Einwohnerschaft,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226040"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus unsrer Gstmark</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1123" prev="#ID_1122" next="#ID_1124"> der nächsten Wahlkampagne, so ist zu fürchten, daß die in Westpreußen zahl¬<lb/>
reichen und organisirten Nationalliberalen sich von den Konservativen trennen,<lb/>
und daß das nur im Osten noch wirksame Kartell von 1887 ganz in die Brüche<lb/>
geht. Der Freisinn wird, darüber kaun kein Zweifel sein, ohne Skrupel jedes<lb/>
Mittel anwenden, um konservative Wahlen zu vereiteln. Schon mehrmals<lb/>
hat er sich auf die polnische Seite gestellt und Maßregeln der Staatsregierung<lb/>
im Kampfe gegen die polnische Agitation für verwerflich erklärt; erst unlängst<lb/>
haben die freisinnigen Stadtverordneten von Schwersenz^) zusammen mit den<lb/>
polnischen erklärt, die Polizeiverwaltung habe durch das Verbot des öffent¬<lb/>
lichen Umzugs eines polnischen Vereins sich eines &#x201E;harten Vorgehens" schuldig<lb/>
gemacht und dadurch den Unwillen der Schwersenzer Bürgerschaft erregt. Diese<lb/>
Erklärung deutet darauf hin, daß auch 1898 die geringe Zahl der freisinnigen<lb/>
Wahlmänner von Schwersenz, wenn sie wieder den Ausschlag im Kampfe der<lb/>
deutschen und polnischen Wahlmänner in den Händen haben, sich wieder wie 1893<lb/>
für ein Wahlkompromiß entscheiden werden, nach dem ein freisinniger und ein<lb/>
polnischer Abgeordneter für den Wahlkreis Posen-Land und Obornik zu wühlen<lb/>
sind. Wie 1893, wird der Wahlkreis Gnesen, wo die Zahl der deutschen und<lb/>
der polnischen Wahlmänner gleich war, durch wenige freisinnige Stimmen den<lb/>
Polen ausgeantwortet werden, in Jnowrazlaw und Birnbaum außer dem Frei¬<lb/>
sinn auch Zentrum und Antisemitismus das Ihrige zur Vereitelung deutscher<lb/>
Wahlen beitragen, die schon 1893 fast gelungen wäre. Die Ausbreitung des<lb/>
Antisemitismus unter den Deutschen in der Ostmark wird überhaupt manche<lb/>
Ungelegenheit schaffen und mindestens das einträchtige Zusammengehen der<lb/>
Deutschen erschweren. Da die Polen, ohne viel Worte zu machen, praktischen<lb/>
Antisemitismus treiben, so werden die bei Zensuswahlen so einflußreichen jüdischen<lb/>
Wähler durch den sich wesentlich in Worten bethätigenden deutschen Anti¬<lb/>
semitismus von der Wcchlbeweguug abgeschreckt oder geradezu in das polnische<lb/>
Lager gescheucht werden. Der Verein zur Förderung des Deutschtums wird<lb/>
beruhigend in die Wahlkämpfe weder eingreifen wollen, noch eingreifen dürfen;<lb/>
er ist kein politischer Verein und hält sich grundsätzlich vou jeder politischen<lb/>
Agitation fern. Er weiß, daß das Geheimnis seiner Macht wesentlich darin<lb/>
beruht, daß er sich ausschließlich auf wirtschaftlichem Gebiete bethätigt, und<lb/>
daß es mit seinem Einfluß an dem Tage zu Ende wäre, wo er in die politische<lb/>
Arena hinabstiege, also etwa gegen die freisinnigen Anzapfungen Stellung nähme,<lb/>
die er vernünftigerweise ganz unbeachtet läßt. Indem er seine Anhänger mit<lb/>
deutscher Gesinnung und dem Gefühl der Solidarität aller Deutschen erfüllt,<lb/>
wirkt er übrigens mittelbar für Wahlen im deutscheu Sinne. Daß die nächsten<lb/>
Wahlen im Osten für die Deutschen schlecht ausfallen, wird aber auch dadurch</p><lb/>
            <note xml:id="FID_41" place="foot"> ") In Schwersenz betrug Anfang der vierziger Jahre das polnische Element 20,<lb/>
schon os Prozent der Einwohnerschaft,</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0454] Aus unsrer Gstmark der nächsten Wahlkampagne, so ist zu fürchten, daß die in Westpreußen zahl¬ reichen und organisirten Nationalliberalen sich von den Konservativen trennen, und daß das nur im Osten noch wirksame Kartell von 1887 ganz in die Brüche geht. Der Freisinn wird, darüber kaun kein Zweifel sein, ohne Skrupel jedes Mittel anwenden, um konservative Wahlen zu vereiteln. Schon mehrmals hat er sich auf die polnische Seite gestellt und Maßregeln der Staatsregierung im Kampfe gegen die polnische Agitation für verwerflich erklärt; erst unlängst haben die freisinnigen Stadtverordneten von Schwersenz^) zusammen mit den polnischen erklärt, die Polizeiverwaltung habe durch das Verbot des öffent¬ lichen Umzugs eines polnischen Vereins sich eines „harten Vorgehens" schuldig gemacht und dadurch den Unwillen der Schwersenzer Bürgerschaft erregt. Diese Erklärung deutet darauf hin, daß auch 1898 die geringe Zahl der freisinnigen Wahlmänner von Schwersenz, wenn sie wieder den Ausschlag im Kampfe der deutschen und polnischen Wahlmänner in den Händen haben, sich wieder wie 1893 für ein Wahlkompromiß entscheiden werden, nach dem ein freisinniger und ein polnischer Abgeordneter für den Wahlkreis Posen-Land und Obornik zu wühlen sind. Wie 1893, wird der Wahlkreis Gnesen, wo die Zahl der deutschen und der polnischen Wahlmänner gleich war, durch wenige freisinnige Stimmen den Polen ausgeantwortet werden, in Jnowrazlaw und Birnbaum außer dem Frei¬ sinn auch Zentrum und Antisemitismus das Ihrige zur Vereitelung deutscher Wahlen beitragen, die schon 1893 fast gelungen wäre. Die Ausbreitung des Antisemitismus unter den Deutschen in der Ostmark wird überhaupt manche Ungelegenheit schaffen und mindestens das einträchtige Zusammengehen der Deutschen erschweren. Da die Polen, ohne viel Worte zu machen, praktischen Antisemitismus treiben, so werden die bei Zensuswahlen so einflußreichen jüdischen Wähler durch den sich wesentlich in Worten bethätigenden deutschen Anti¬ semitismus von der Wcchlbeweguug abgeschreckt oder geradezu in das polnische Lager gescheucht werden. Der Verein zur Förderung des Deutschtums wird beruhigend in die Wahlkämpfe weder eingreifen wollen, noch eingreifen dürfen; er ist kein politischer Verein und hält sich grundsätzlich vou jeder politischen Agitation fern. Er weiß, daß das Geheimnis seiner Macht wesentlich darin beruht, daß er sich ausschließlich auf wirtschaftlichem Gebiete bethätigt, und daß es mit seinem Einfluß an dem Tage zu Ende wäre, wo er in die politische Arena hinabstiege, also etwa gegen die freisinnigen Anzapfungen Stellung nähme, die er vernünftigerweise ganz unbeachtet läßt. Indem er seine Anhänger mit deutscher Gesinnung und dem Gefühl der Solidarität aller Deutschen erfüllt, wirkt er übrigens mittelbar für Wahlen im deutscheu Sinne. Daß die nächsten Wahlen im Osten für die Deutschen schlecht ausfallen, wird aber auch dadurch ") In Schwersenz betrug Anfang der vierziger Jahre das polnische Element 20, schon os Prozent der Einwohnerschaft,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/454
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/454>, abgerufen am 24.07.2024.