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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Volk und Jugend

Satzverbindung, von Perioden, von wirkungsvoller Wortstellung, von be¬
absichtigter Steigerung ist da bekanntlich nicht die Rede. Stets wiederkehrende
Anhäufungen wie "und da" müssen fast für jede Art von Zusammenhang
genügen, wie übrigens alle Sprachen einer naiveren Stufe eine ähnlich an¬
spruchslose Gleichförmigkeit auch in ihren Schriftwerken zeigen; so die hebräische,
und bei einfacherer Erzählung auch die griechische.

Doch ist außer dem Berührten eins noch bei der Kindersprache nicht zu
vergessen: die eigenartige Betonung, Stimmmodulation und Stimmfärbung.
Ich weiß nicht, ob sich jemand dem besondern Reiz entzieht, der gerade in
dieser Seite der Kindersprache liegt, und der sich ja nicht durch geschriebne
Worte darstellen läßt. Zweierlei ist dabei leicht zu unterscheiden. Die begriff¬
liche oder logische Betonung, die Hervorhebung der Worte, die die Haupt¬
träger des Gedankens sind, steht viel tiefer als bei den Erwachsenen, ist wenig
entwickelt; aber die Modulation der Stimme, die Widerspiegelung des seelischen
Interesses ist viel reicher und voller, und der zarte Klang der -- übrigens
anch noch nicht sehr individuell unterschiednem -- Kinderstimmen macht die
ganze Rede reicher, eindringlicher. Wie herzbewegend klingen Angst und Mit¬
leid, Wunsch und Jubel in der Stimme des Kindes! Es ist schon um dieses
Klanges willen schwerer, sich gegen Kinderbitten oder Kinderklagen zu ver¬
schließen uls gegen die eines Erwachsenen, und das alles gehört zu dem
Entzückendsten, was uns die Kinderwelt gewährt. Dabei hat diese kindliche
Rede, obwohl sie jedem einzelnen aus dem eignen kleinen Herzen quillt, doch
ihre festen, in der gleichen Lage immer wiederkehrenden Modulcitioueu, und es
ist nicht bloß Nachahmung der ältern Geschwister durch die jüngern oder der
Spielgenossen im allgemeinen, sondern es scheint doch durchaus, daß jene
Herzenstöne immer wieder von selbst gefunden werdeu, immer wieder ursprüng¬
lich erwachsen; es ist uicht Zufall, wenn man beim Vorübergehen draußen auf
dem Spazierweg in dem Rufen und Plaudern eiues fremden Kindes die Stimme
und Rede eines nahestehenden lieben Kindes ans längst vergangner schöner
Zeit mit überwältigender Ähnlichkeit zu erkennen glaubt; diese Wirkung und
diese Ähnlichkeit sind viel stärker als die des Angesichts und der Bewegungen.

Dieser Zauber nun geht vorüber, leider zu einem großen Teil auch unter
der Mitwirkung der in dieser Hinsicht vielfach tadelnswerten Schule, und in
der Zeit des Heranwachsens und des Übergangs behält die jugendliche Rede
vorwiegend nur die Mängel der natürlichen Betonungsweise, das Fehlen be¬
stimmter, logischer, dem Gedanken sich anschmiegender Betonung, eine gewisse
Stumpfheit und Lässigkeit, und statt des Schmelzes der kindlichen Modulation
em herbes oder schneidendes Herausstoßen. Die Flegel- und Backfischjahre
machen sich eben auch auf diesem Gebiete bemerklich; man fühlt nicht mehr
weich und zart und selbst nicht mehr recht frisch, und man ist noch nicht auf¬
gelegt oder fähig, ordentlich zu denken; Wollungen ziemlich niedrer Art.
mehr abstoßende als auschmiegende Strebungen beherrschen die Seele. Und


Volk und Jugend

Satzverbindung, von Perioden, von wirkungsvoller Wortstellung, von be¬
absichtigter Steigerung ist da bekanntlich nicht die Rede. Stets wiederkehrende
Anhäufungen wie „und da" müssen fast für jede Art von Zusammenhang
genügen, wie übrigens alle Sprachen einer naiveren Stufe eine ähnlich an¬
spruchslose Gleichförmigkeit auch in ihren Schriftwerken zeigen; so die hebräische,
und bei einfacherer Erzählung auch die griechische.

Doch ist außer dem Berührten eins noch bei der Kindersprache nicht zu
vergessen: die eigenartige Betonung, Stimmmodulation und Stimmfärbung.
Ich weiß nicht, ob sich jemand dem besondern Reiz entzieht, der gerade in
dieser Seite der Kindersprache liegt, und der sich ja nicht durch geschriebne
Worte darstellen läßt. Zweierlei ist dabei leicht zu unterscheiden. Die begriff¬
liche oder logische Betonung, die Hervorhebung der Worte, die die Haupt¬
träger des Gedankens sind, steht viel tiefer als bei den Erwachsenen, ist wenig
entwickelt; aber die Modulation der Stimme, die Widerspiegelung des seelischen
Interesses ist viel reicher und voller, und der zarte Klang der — übrigens
anch noch nicht sehr individuell unterschiednem — Kinderstimmen macht die
ganze Rede reicher, eindringlicher. Wie herzbewegend klingen Angst und Mit¬
leid, Wunsch und Jubel in der Stimme des Kindes! Es ist schon um dieses
Klanges willen schwerer, sich gegen Kinderbitten oder Kinderklagen zu ver¬
schließen uls gegen die eines Erwachsenen, und das alles gehört zu dem
Entzückendsten, was uns die Kinderwelt gewährt. Dabei hat diese kindliche
Rede, obwohl sie jedem einzelnen aus dem eignen kleinen Herzen quillt, doch
ihre festen, in der gleichen Lage immer wiederkehrenden Modulcitioueu, und es
ist nicht bloß Nachahmung der ältern Geschwister durch die jüngern oder der
Spielgenossen im allgemeinen, sondern es scheint doch durchaus, daß jene
Herzenstöne immer wieder von selbst gefunden werdeu, immer wieder ursprüng¬
lich erwachsen; es ist uicht Zufall, wenn man beim Vorübergehen draußen auf
dem Spazierweg in dem Rufen und Plaudern eiues fremden Kindes die Stimme
und Rede eines nahestehenden lieben Kindes ans längst vergangner schöner
Zeit mit überwältigender Ähnlichkeit zu erkennen glaubt; diese Wirkung und
diese Ähnlichkeit sind viel stärker als die des Angesichts und der Bewegungen.

Dieser Zauber nun geht vorüber, leider zu einem großen Teil auch unter
der Mitwirkung der in dieser Hinsicht vielfach tadelnswerten Schule, und in
der Zeit des Heranwachsens und des Übergangs behält die jugendliche Rede
vorwiegend nur die Mängel der natürlichen Betonungsweise, das Fehlen be¬
stimmter, logischer, dem Gedanken sich anschmiegender Betonung, eine gewisse
Stumpfheit und Lässigkeit, und statt des Schmelzes der kindlichen Modulation
em herbes oder schneidendes Herausstoßen. Die Flegel- und Backfischjahre
machen sich eben auch auf diesem Gebiete bemerklich; man fühlt nicht mehr
weich und zart und selbst nicht mehr recht frisch, und man ist noch nicht auf¬
gelegt oder fähig, ordentlich zu denken; Wollungen ziemlich niedrer Art.
mehr abstoßende als auschmiegende Strebungen beherrschen die Seele. Und


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[0411] Volk und Jugend Satzverbindung, von Perioden, von wirkungsvoller Wortstellung, von be¬ absichtigter Steigerung ist da bekanntlich nicht die Rede. Stets wiederkehrende Anhäufungen wie „und da" müssen fast für jede Art von Zusammenhang genügen, wie übrigens alle Sprachen einer naiveren Stufe eine ähnlich an¬ spruchslose Gleichförmigkeit auch in ihren Schriftwerken zeigen; so die hebräische, und bei einfacherer Erzählung auch die griechische. Doch ist außer dem Berührten eins noch bei der Kindersprache nicht zu vergessen: die eigenartige Betonung, Stimmmodulation und Stimmfärbung. Ich weiß nicht, ob sich jemand dem besondern Reiz entzieht, der gerade in dieser Seite der Kindersprache liegt, und der sich ja nicht durch geschriebne Worte darstellen läßt. Zweierlei ist dabei leicht zu unterscheiden. Die begriff¬ liche oder logische Betonung, die Hervorhebung der Worte, die die Haupt¬ träger des Gedankens sind, steht viel tiefer als bei den Erwachsenen, ist wenig entwickelt; aber die Modulation der Stimme, die Widerspiegelung des seelischen Interesses ist viel reicher und voller, und der zarte Klang der — übrigens anch noch nicht sehr individuell unterschiednem — Kinderstimmen macht die ganze Rede reicher, eindringlicher. Wie herzbewegend klingen Angst und Mit¬ leid, Wunsch und Jubel in der Stimme des Kindes! Es ist schon um dieses Klanges willen schwerer, sich gegen Kinderbitten oder Kinderklagen zu ver¬ schließen uls gegen die eines Erwachsenen, und das alles gehört zu dem Entzückendsten, was uns die Kinderwelt gewährt. Dabei hat diese kindliche Rede, obwohl sie jedem einzelnen aus dem eignen kleinen Herzen quillt, doch ihre festen, in der gleichen Lage immer wiederkehrenden Modulcitioueu, und es ist nicht bloß Nachahmung der ältern Geschwister durch die jüngern oder der Spielgenossen im allgemeinen, sondern es scheint doch durchaus, daß jene Herzenstöne immer wieder von selbst gefunden werdeu, immer wieder ursprüng¬ lich erwachsen; es ist uicht Zufall, wenn man beim Vorübergehen draußen auf dem Spazierweg in dem Rufen und Plaudern eiues fremden Kindes die Stimme und Rede eines nahestehenden lieben Kindes ans längst vergangner schöner Zeit mit überwältigender Ähnlichkeit zu erkennen glaubt; diese Wirkung und diese Ähnlichkeit sind viel stärker als die des Angesichts und der Bewegungen. Dieser Zauber nun geht vorüber, leider zu einem großen Teil auch unter der Mitwirkung der in dieser Hinsicht vielfach tadelnswerten Schule, und in der Zeit des Heranwachsens und des Übergangs behält die jugendliche Rede vorwiegend nur die Mängel der natürlichen Betonungsweise, das Fehlen be¬ stimmter, logischer, dem Gedanken sich anschmiegender Betonung, eine gewisse Stumpfheit und Lässigkeit, und statt des Schmelzes der kindlichen Modulation em herbes oder schneidendes Herausstoßen. Die Flegel- und Backfischjahre machen sich eben auch auf diesem Gebiete bemerklich; man fühlt nicht mehr weich und zart und selbst nicht mehr recht frisch, und man ist noch nicht auf¬ gelegt oder fähig, ordentlich zu denken; Wollungen ziemlich niedrer Art. mehr abstoßende als auschmiegende Strebungen beherrschen die Seele. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/411>, abgerufen am 24.07.2024.