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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Volk und Jugend

danken, Gefühle und Bestrebungen reicht, mit voller Leichtigkeit, oft sicherer
und fließender als die Erwachsenen. (Man muß natürlich nicht an die ab¬
strakteren Zumutungen der Schule denken, sondern an die freie, natürliche
Lebenssphüre der Kindheit.) Es folgt das Übergangsalter, wo die Un¬
befangenheit verloren geht, wo man von thörichter Scham und andern un¬
harmonischen Empfindungen gequält wird, wo man die Kindersprache verlernt
und meidet, und von der bevorstehenden Männlichkeit oder Frauensicherheit
nur erste, rohe Spuren zeigt in starrem, ablehnendem und abstoßendem oder
andrerseits anspruchsvollen, prüden, innerlich dreistem und auch ein wenig
lüsternem Wesen. Hier wird auch die Sprache wieder karg oder stumpf, sie
schwebt, wie die ganze Persönlichkeit, noch haltlos zwischen zwei Welten, um
sich dann weiterhin allmählich in die neue Lebensregion hineinzufinden; aber
lauge Zeit bleibt der Ausdruck sozusagen unpersönlich (nicht ein persönliches
Eigenleben wiedergebend), wird durch die umgebende Genossenschaft und durch
deren Sprachmode bestimmt, ergeht sich gern in Übertreibungen, im Maßlosen,
im Grotesken, ganz entsprechend dem zum stärksten und vollsten Leben auf¬
strebenden und doch noch ungeklärten und ungemüßigten Innern, und ist dabei
doch wieder arm, einseitig, stereotyp. Das gilt sogar noch ganz wesentlich
von der gesamten Studienzeit der jungen Männer und von der entsprechenden
Lebensperiode der weiblichen Welt: es hat für beide Geschlechter mit der
körperlichen Übergangszeit gleichsam eine neue Entstehung angefangen, und
wieder muß, wie in der frühen Kindheit, die Zeit durchgemacht werden, wo
im Innern viel mehr ruht und quillt und sich regt und bildet, als zur be¬
wußten Gestaltung und zur sprachlichen Äußerung kommt. Nur in seinem
eigensten Lebenskreise Pflegt man in dieser Zeit beredt zu sein, aber eben in
jener Beschränkung auf enge Gebiete und unter steter Wiederkehr derselben
Urteilsformen, mögen nun die ewig wiederkehrenden Beiwörter "riesig, rasend,
furchtbar, kolossal, famos" oder ähnlich (es ließe sich eine ganze kulturgeschicht-
liche Reihe ausstellen) oder mögen sie "reizend, nett, niedlich" lauten -- und
natürlich in andern Landessprachen entsprechend, man denke nur an die Rolle
des englischen ave'ni.

Mit alledem ist aber immer erst eine Seite der jugendlichen Sprache
berührt. Es wäre nnn (des Wortschatzes wurde vorher schon gedacht) zu ver¬
folgen, wie sie sich in Bau und Form der Aussagen, in der Bildung der Sätze
kennzeichnet. In dieser Hinsicht ist ja nnn auch bei den Erwachsenen und
Gebildeten und den Allergebildetsten die mündliche Umgangssprache -- und
von ihr allein darf doch hier die Rede sein -- sehr viel einfacher, sehr viel
weniger organisirt, mannichfaltig oder abgewogen als die Schriftsprache, und
sie bleibt im Munde der Meisten das ganze Leben hindurch einfach und darf
es bleiben; es sind fast nur Pedanten, Akademiker und Asfektirte, die das
vermeiden. Aber die Sprache der Kindheit wenigstens ist eben doch noch ein¬
facher. Von mannichfaltiger Anordnung der Sätze, von bestimmter logischer


Volk und Jugend

danken, Gefühle und Bestrebungen reicht, mit voller Leichtigkeit, oft sicherer
und fließender als die Erwachsenen. (Man muß natürlich nicht an die ab¬
strakteren Zumutungen der Schule denken, sondern an die freie, natürliche
Lebenssphüre der Kindheit.) Es folgt das Übergangsalter, wo die Un¬
befangenheit verloren geht, wo man von thörichter Scham und andern un¬
harmonischen Empfindungen gequält wird, wo man die Kindersprache verlernt
und meidet, und von der bevorstehenden Männlichkeit oder Frauensicherheit
nur erste, rohe Spuren zeigt in starrem, ablehnendem und abstoßendem oder
andrerseits anspruchsvollen, prüden, innerlich dreistem und auch ein wenig
lüsternem Wesen. Hier wird auch die Sprache wieder karg oder stumpf, sie
schwebt, wie die ganze Persönlichkeit, noch haltlos zwischen zwei Welten, um
sich dann weiterhin allmählich in die neue Lebensregion hineinzufinden; aber
lauge Zeit bleibt der Ausdruck sozusagen unpersönlich (nicht ein persönliches
Eigenleben wiedergebend), wird durch die umgebende Genossenschaft und durch
deren Sprachmode bestimmt, ergeht sich gern in Übertreibungen, im Maßlosen,
im Grotesken, ganz entsprechend dem zum stärksten und vollsten Leben auf¬
strebenden und doch noch ungeklärten und ungemüßigten Innern, und ist dabei
doch wieder arm, einseitig, stereotyp. Das gilt sogar noch ganz wesentlich
von der gesamten Studienzeit der jungen Männer und von der entsprechenden
Lebensperiode der weiblichen Welt: es hat für beide Geschlechter mit der
körperlichen Übergangszeit gleichsam eine neue Entstehung angefangen, und
wieder muß, wie in der frühen Kindheit, die Zeit durchgemacht werden, wo
im Innern viel mehr ruht und quillt und sich regt und bildet, als zur be¬
wußten Gestaltung und zur sprachlichen Äußerung kommt. Nur in seinem
eigensten Lebenskreise Pflegt man in dieser Zeit beredt zu sein, aber eben in
jener Beschränkung auf enge Gebiete und unter steter Wiederkehr derselben
Urteilsformen, mögen nun die ewig wiederkehrenden Beiwörter „riesig, rasend,
furchtbar, kolossal, famos" oder ähnlich (es ließe sich eine ganze kulturgeschicht-
liche Reihe ausstellen) oder mögen sie „reizend, nett, niedlich" lauten — und
natürlich in andern Landessprachen entsprechend, man denke nur an die Rolle
des englischen ave'ni.

Mit alledem ist aber immer erst eine Seite der jugendlichen Sprache
berührt. Es wäre nnn (des Wortschatzes wurde vorher schon gedacht) zu ver¬
folgen, wie sie sich in Bau und Form der Aussagen, in der Bildung der Sätze
kennzeichnet. In dieser Hinsicht ist ja nnn auch bei den Erwachsenen und
Gebildeten und den Allergebildetsten die mündliche Umgangssprache — und
von ihr allein darf doch hier die Rede sein — sehr viel einfacher, sehr viel
weniger organisirt, mannichfaltig oder abgewogen als die Schriftsprache, und
sie bleibt im Munde der Meisten das ganze Leben hindurch einfach und darf
es bleiben; es sind fast nur Pedanten, Akademiker und Asfektirte, die das
vermeiden. Aber die Sprache der Kindheit wenigstens ist eben doch noch ein¬
facher. Von mannichfaltiger Anordnung der Sätze, von bestimmter logischer


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[0410] Volk und Jugend danken, Gefühle und Bestrebungen reicht, mit voller Leichtigkeit, oft sicherer und fließender als die Erwachsenen. (Man muß natürlich nicht an die ab¬ strakteren Zumutungen der Schule denken, sondern an die freie, natürliche Lebenssphüre der Kindheit.) Es folgt das Übergangsalter, wo die Un¬ befangenheit verloren geht, wo man von thörichter Scham und andern un¬ harmonischen Empfindungen gequält wird, wo man die Kindersprache verlernt und meidet, und von der bevorstehenden Männlichkeit oder Frauensicherheit nur erste, rohe Spuren zeigt in starrem, ablehnendem und abstoßendem oder andrerseits anspruchsvollen, prüden, innerlich dreistem und auch ein wenig lüsternem Wesen. Hier wird auch die Sprache wieder karg oder stumpf, sie schwebt, wie die ganze Persönlichkeit, noch haltlos zwischen zwei Welten, um sich dann weiterhin allmählich in die neue Lebensregion hineinzufinden; aber lauge Zeit bleibt der Ausdruck sozusagen unpersönlich (nicht ein persönliches Eigenleben wiedergebend), wird durch die umgebende Genossenschaft und durch deren Sprachmode bestimmt, ergeht sich gern in Übertreibungen, im Maßlosen, im Grotesken, ganz entsprechend dem zum stärksten und vollsten Leben auf¬ strebenden und doch noch ungeklärten und ungemüßigten Innern, und ist dabei doch wieder arm, einseitig, stereotyp. Das gilt sogar noch ganz wesentlich von der gesamten Studienzeit der jungen Männer und von der entsprechenden Lebensperiode der weiblichen Welt: es hat für beide Geschlechter mit der körperlichen Übergangszeit gleichsam eine neue Entstehung angefangen, und wieder muß, wie in der frühen Kindheit, die Zeit durchgemacht werden, wo im Innern viel mehr ruht und quillt und sich regt und bildet, als zur be¬ wußten Gestaltung und zur sprachlichen Äußerung kommt. Nur in seinem eigensten Lebenskreise Pflegt man in dieser Zeit beredt zu sein, aber eben in jener Beschränkung auf enge Gebiete und unter steter Wiederkehr derselben Urteilsformen, mögen nun die ewig wiederkehrenden Beiwörter „riesig, rasend, furchtbar, kolossal, famos" oder ähnlich (es ließe sich eine ganze kulturgeschicht- liche Reihe ausstellen) oder mögen sie „reizend, nett, niedlich" lauten — und natürlich in andern Landessprachen entsprechend, man denke nur an die Rolle des englischen ave'ni. Mit alledem ist aber immer erst eine Seite der jugendlichen Sprache berührt. Es wäre nnn (des Wortschatzes wurde vorher schon gedacht) zu ver¬ folgen, wie sie sich in Bau und Form der Aussagen, in der Bildung der Sätze kennzeichnet. In dieser Hinsicht ist ja nnn auch bei den Erwachsenen und Gebildeten und den Allergebildetsten die mündliche Umgangssprache — und von ihr allein darf doch hier die Rede sein — sehr viel einfacher, sehr viel weniger organisirt, mannichfaltig oder abgewogen als die Schriftsprache, und sie bleibt im Munde der Meisten das ganze Leben hindurch einfach und darf es bleiben; es sind fast nur Pedanten, Akademiker und Asfektirte, die das vermeiden. Aber die Sprache der Kindheit wenigstens ist eben doch noch ein¬ facher. Von mannichfaltiger Anordnung der Sätze, von bestimmter logischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/410>, abgerufen am 24.07.2024.