Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches daß Plötz die Wassersnot zu einem Angriff benutzt. Daß Leute, denen eine Wir sagen nicht zu viel, wenn wir die politische Wirkung dieser Übertreibungen Und noch drei andre Wunder sind geschehen. Die Berliner Politischen Nach¬ *) In einer der letzten Nummer" nimmt sei" Blatt wieder die Ostelbier gegen die Köl¬
nische Zeitung i" Schutz. Was er eigentlich gemeint hat, mag wohl eine Sammlung aller Parteien mit Einschluß der Agrarier sein. Damit würde freilich der Begriff der Partei selbst aufgehoben. Eine Sammlung aller Parteien, ohne daß diese, und damit die Interessen¬ vertretungen, sich selbst aufgeben, ist nur in einzelnen Punkten möglich, z, B. wenn es sich um die Rettung des Vaterlandes aus augenblicklicher Gefahr handelt. Maßgebliches und Unmaßgebliches daß Plötz die Wassersnot zu einem Angriff benutzt. Daß Leute, denen eine Wir sagen nicht zu viel, wenn wir die politische Wirkung dieser Übertreibungen Und noch drei andre Wunder sind geschehen. Die Berliner Politischen Nach¬ *) In einer der letzten Nummer» nimmt sei» Blatt wieder die Ostelbier gegen die Köl¬
nische Zeitung i» Schutz. Was er eigentlich gemeint hat, mag wohl eine Sammlung aller Parteien mit Einschluß der Agrarier sein. Damit würde freilich der Begriff der Partei selbst aufgehoben. Eine Sammlung aller Parteien, ohne daß diese, und damit die Interessen¬ vertretungen, sich selbst aufgeben, ist nur in einzelnen Punkten möglich, z, B. wenn es sich um die Rettung des Vaterlandes aus augenblicklicher Gefahr handelt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225974"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_972" prev="#ID_971"> daß Plötz die Wassersnot zu einem Angriff benutzt. Daß Leute, denen eine<lb/> Überschwemmung Haus, Hof, Vieh und die Ernte samt dem Acker weggeschwemmt<lb/> hat, sich nicht selbst helfen können, sondern entweder auf Wohlthätigreit oder auf<lb/> Staatshilfe angewiesen sind, hat noch nie jemand bestritten, und es ist eine<lb/> Beleidigung für den Minister, ihm weitläufig zu erklären, daß hier ein Fall<lb/> vorliege, wo Staatshilfe gerechtfertigt sei; weiß doch jedermann, daß Herr<lb/> von Hammerstein in seiner den Agrariern so anstößigen Rede an solche Fälle gar<lb/> nicht gedacht hat, und daß die Not der Überschwemmten, die übrigens nicht lauter<lb/> Landwirte sind , mit jener Not der Landwirtschaft, um die sich die Agrarier mit<lb/> dem Minister streiten, gar nichts zu thun hat, und ist es doch überdies das Organ<lb/> des den Agrariern so freundlichen Finanzministers, das, zum Erstaune» aller<lb/> Parteien, die aus dem großen Unglück entspringenden Ansprüche an den Staat<lb/> möglichst abzuwehren sucht.</p><lb/> <p xml:id="ID_973"> Wir sagen nicht zu viel, wenn wir die politische Wirkung dieser Übertreibungen<lb/> großartig nennen. Ist doch auch schon die Wirkung der Vereinsgesetzvorlage auf<lb/> den wachsenden Widerstand gegen die Agrarier zurückzuführen, denn was die<lb/> Nationalliberalen bestimmt hat, das war natürlich nicht die Liebe zu den Arbeitern<lb/> — so arbciterfreuudlich auch ihre Herzen sein mögen — oder gar zur Sozial¬<lb/> demokratie, auch nicht die zu deu Freisinnigen und zum Baueruvereiu Nordost,<lb/> soudern die Besorgnis, eine ganz agrarisch gewordne Regierung könne die geplanten<lb/> Freiheitsbeschränkungen auch gegen ihre eigne Partei und gegen die von dieser ver-<lb/> tretnen gewerblichen und Hcindelsiutcresseu ausnutzen. Auf diese Weise sind nicht<lb/> allein die Nationalliberalen in die Oppositionsstellung gedrängt worden, sondern der<lb/> gemeinsame Widerstand gegen die Ostelbier hat sogar das Wunder einer Annäherung<lb/> des Zentrums an die Natioualliberalen bewirkt; von Organen beider Parteien wird<lb/> ein Zusammengehen von Fall zu Fall empfohlen. Die Germania und die Zentrnms-<lb/> korrespondenzen bringen scharfe Artikel gegen die „ostelbischen Junker," und es nützt<lb/> den Agrariern, mit wie großer Genugthuung sie es auch verzeichnen, sehr wenig,<lb/> daß die Rheinische Volksstimme Aussprüche Windthorsts zu Gunsten der ostelbischen<lb/> adlichen Gutsbesitzer anführt, und daß dieses Blatt, unterstützt vom „Westfalen," die<lb/> Germania heftig angreift. Die Germania erklärt, daß die beiden agrarierfreund¬<lb/> lichen Blätter keine Organe der Zentrumspartei mehr seien, daß sie selbst grund¬<lb/> sätzlich alles unterschreibe, was Windthorst zum Lobe des altpreußischen Adels ge¬<lb/> sagt habe, daß aber neue Thatsachen vorlagen, die zum Kampfe gegen einen Teil dieses<lb/> Adels nötigten, und daß sie durch heftige Augriffe der Agrarier auf die Zentrums-<lb/> partei herausgefordert worden sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_974" next="#ID_975"> Und noch drei andre Wunder sind geschehen. Die Berliner Politischen Nach¬<lb/> richten haben agrarische Forderungen wiederholt so entschieden zurückgewiesen, daß<lb/> jüngst die Vermutung auftauchen konnte, Miquel habe in seiner berühmten Rede<lb/> gar nicht das alte Kartell, sondern eine Sammlung aller andern Parteien gegen<lb/> die Agrarier gemeint.*) Dann hat sich sogar die „Post" mißbilligend über deu Bund<lb/> der Landwirte ausgesprochen, was zu beweisen scheint, daß die Abneigung des<lb/> Westens gegen die Agrarier bis in die Kreise Stumms hinaufreicht. Und noch</p><lb/> <note xml:id="FID_29" place="foot"> *) In einer der letzten Nummer» nimmt sei» Blatt wieder die Ostelbier gegen die Köl¬<lb/> nische Zeitung i» Schutz. Was er eigentlich gemeint hat, mag wohl eine Sammlung aller<lb/> Parteien mit Einschluß der Agrarier sein. Damit würde freilich der Begriff der Partei selbst<lb/> aufgehoben. Eine Sammlung aller Parteien, ohne daß diese, und damit die Interessen¬<lb/> vertretungen, sich selbst aufgeben, ist nur in einzelnen Punkten möglich, z, B. wenn es sich um<lb/> die Rettung des Vaterlandes aus augenblicklicher Gefahr handelt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0388]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
daß Plötz die Wassersnot zu einem Angriff benutzt. Daß Leute, denen eine
Überschwemmung Haus, Hof, Vieh und die Ernte samt dem Acker weggeschwemmt
hat, sich nicht selbst helfen können, sondern entweder auf Wohlthätigreit oder auf
Staatshilfe angewiesen sind, hat noch nie jemand bestritten, und es ist eine
Beleidigung für den Minister, ihm weitläufig zu erklären, daß hier ein Fall
vorliege, wo Staatshilfe gerechtfertigt sei; weiß doch jedermann, daß Herr
von Hammerstein in seiner den Agrariern so anstößigen Rede an solche Fälle gar
nicht gedacht hat, und daß die Not der Überschwemmten, die übrigens nicht lauter
Landwirte sind , mit jener Not der Landwirtschaft, um die sich die Agrarier mit
dem Minister streiten, gar nichts zu thun hat, und ist es doch überdies das Organ
des den Agrariern so freundlichen Finanzministers, das, zum Erstaune» aller
Parteien, die aus dem großen Unglück entspringenden Ansprüche an den Staat
möglichst abzuwehren sucht.
Wir sagen nicht zu viel, wenn wir die politische Wirkung dieser Übertreibungen
großartig nennen. Ist doch auch schon die Wirkung der Vereinsgesetzvorlage auf
den wachsenden Widerstand gegen die Agrarier zurückzuführen, denn was die
Nationalliberalen bestimmt hat, das war natürlich nicht die Liebe zu den Arbeitern
— so arbciterfreuudlich auch ihre Herzen sein mögen — oder gar zur Sozial¬
demokratie, auch nicht die zu deu Freisinnigen und zum Baueruvereiu Nordost,
soudern die Besorgnis, eine ganz agrarisch gewordne Regierung könne die geplanten
Freiheitsbeschränkungen auch gegen ihre eigne Partei und gegen die von dieser ver-
tretnen gewerblichen und Hcindelsiutcresseu ausnutzen. Auf diese Weise sind nicht
allein die Nationalliberalen in die Oppositionsstellung gedrängt worden, sondern der
gemeinsame Widerstand gegen die Ostelbier hat sogar das Wunder einer Annäherung
des Zentrums an die Natioualliberalen bewirkt; von Organen beider Parteien wird
ein Zusammengehen von Fall zu Fall empfohlen. Die Germania und die Zentrnms-
korrespondenzen bringen scharfe Artikel gegen die „ostelbischen Junker," und es nützt
den Agrariern, mit wie großer Genugthuung sie es auch verzeichnen, sehr wenig,
daß die Rheinische Volksstimme Aussprüche Windthorsts zu Gunsten der ostelbischen
adlichen Gutsbesitzer anführt, und daß dieses Blatt, unterstützt vom „Westfalen," die
Germania heftig angreift. Die Germania erklärt, daß die beiden agrarierfreund¬
lichen Blätter keine Organe der Zentrumspartei mehr seien, daß sie selbst grund¬
sätzlich alles unterschreibe, was Windthorst zum Lobe des altpreußischen Adels ge¬
sagt habe, daß aber neue Thatsachen vorlagen, die zum Kampfe gegen einen Teil dieses
Adels nötigten, und daß sie durch heftige Augriffe der Agrarier auf die Zentrums-
partei herausgefordert worden sei.
Und noch drei andre Wunder sind geschehen. Die Berliner Politischen Nach¬
richten haben agrarische Forderungen wiederholt so entschieden zurückgewiesen, daß
jüngst die Vermutung auftauchen konnte, Miquel habe in seiner berühmten Rede
gar nicht das alte Kartell, sondern eine Sammlung aller andern Parteien gegen
die Agrarier gemeint.*) Dann hat sich sogar die „Post" mißbilligend über deu Bund
der Landwirte ausgesprochen, was zu beweisen scheint, daß die Abneigung des
Westens gegen die Agrarier bis in die Kreise Stumms hinaufreicht. Und noch
*) In einer der letzten Nummer» nimmt sei» Blatt wieder die Ostelbier gegen die Köl¬
nische Zeitung i» Schutz. Was er eigentlich gemeint hat, mag wohl eine Sammlung aller
Parteien mit Einschluß der Agrarier sein. Damit würde freilich der Begriff der Partei selbst
aufgehoben. Eine Sammlung aller Parteien, ohne daß diese, und damit die Interessen¬
vertretungen, sich selbst aufgeben, ist nur in einzelnen Punkten möglich, z, B. wenn es sich um
die Rettung des Vaterlandes aus augenblicklicher Gefahr handelt.
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