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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Volk und Jugend

in Schmerz zergehen wollte, folgt das Löcher der Glückseligkeit, dem auf¬
ziehenden moralischen Katzenjammer des lebensfroher Jünglings die volle
Lustigkeit unter Kameraden, und beim Volke -- wie viel rasches Vergessen,
damit überhaupt das Leben mit seinen Mühen und Engen lebenswert bleibe!
Wie viel gute Kameradschaft auch wieder zwischen und neben und nach all dem
derben Schelten und Beseinden!

So schließt denn auch diese Beweglichkeit doch eine eigenartige Stetigkeit
nicht aus. Es fehlt den naiven doch auch vieles, was unser Inneres unsicher
macht: das Entgegendringen schätzbarer fremder Überzeugungen, der Umsturz
der Gedanken durch eignes Studium, die Wandlung der Sympathie durch
vermehrte Beobachtung, die Einwirkung mannichfacher Anziehungskräfte, die
Fähigkeit zur Selbstumgestaltung, die Offenheit für Einwirkungen überhaupt,
die doch eben ein Stück der Bildung ausmacht. Bei der Jugend wird sich
diese größere Stetigkeit idie hier natürlich nnr verhältnismäßig da sein kann,
aber doch da sein kann) namentlich in festen Abneigungen und Zuneigungen
bezeigen, und sie kann uns als rührend dauernde Anhänglichkeit an Personen,
wie etwa auch an den Haushund, entgegentreten. Auch beim Volke ist dieses
Gebiet der anhänglichen Treue jedenfalls die schönste Erscheinungsform jener
natürlichen Stetigkeit, doch nicht die einzige: am Ende giebt es dort doch
ebenso viel ehrenfeste Handwerksmeister, ebenso viel kreuzbrave Hausmütter,
deren ganzes Leben die Bewährung eines unwandelbaren Sinnes ist, wie es
wirklich charaktervolle Persönlichkeiten in den gebildeten Ständen giebt. Und
das ist ja auch insofern kein Wunder, als sich die einfachere innere Organisation
umso eher fest erhalten kann: das Instrument mit wenig Saiten giebt seinen
einfachen Zusammenklang sicherer ohne störende Verstimmung oder falschen
Anschlag, als das künstliche mit zahllosen Saiten oder Tasten seinen reichen
Vollklang.

Die gesamte natürliche Begabung, die leiblichen und seelischen Kräfte und
Triebe kommen zur freiesten und harmonischsten Verwendung beim Spiel.
Spielen -- das gehört zur Jugend und namentlich zur Kindheit, das scheidet
diese Stufe von der der Erwachsenen, sür die das Spiel aufgehört hat und
das Gegenteil vom Spiel, der Ernst, herrscht. Und der Ernst -- der Ernst
der thatsächlichen Verhältnisse namentlich -- fehlt wahrlich dem Leben des
Volkes nicht, das sich doch immer wesentlich aus denen zusammensetzt, für die
sozusagen das Leben an sich, die bloße Aufrechterhaltung des Daseins, das
Ziel des Lebens ist. Sonach müßten hier Jugend und Volk recht gründlich
bon einander verschieden sein; ja der Jugend des Volkes, so scheint es, ist
uicht einmal das Sichausspielen, wozu die Natur treibt, in rechtem Maße
vergönnt, sie muß so vielfach schon vor der Zeit an dem Ernst der Arbeit
teilnehmen! Und doch sind beide auch hier nicht so ganz geschieden, wie man
denken sollte. Das Spiel bedeutet für die Spielenden Erhöhung des Lebens-


Grenzboten III 1897 4g
Volk und Jugend

in Schmerz zergehen wollte, folgt das Löcher der Glückseligkeit, dem auf¬
ziehenden moralischen Katzenjammer des lebensfroher Jünglings die volle
Lustigkeit unter Kameraden, und beim Volke — wie viel rasches Vergessen,
damit überhaupt das Leben mit seinen Mühen und Engen lebenswert bleibe!
Wie viel gute Kameradschaft auch wieder zwischen und neben und nach all dem
derben Schelten und Beseinden!

So schließt denn auch diese Beweglichkeit doch eine eigenartige Stetigkeit
nicht aus. Es fehlt den naiven doch auch vieles, was unser Inneres unsicher
macht: das Entgegendringen schätzbarer fremder Überzeugungen, der Umsturz
der Gedanken durch eignes Studium, die Wandlung der Sympathie durch
vermehrte Beobachtung, die Einwirkung mannichfacher Anziehungskräfte, die
Fähigkeit zur Selbstumgestaltung, die Offenheit für Einwirkungen überhaupt,
die doch eben ein Stück der Bildung ausmacht. Bei der Jugend wird sich
diese größere Stetigkeit idie hier natürlich nnr verhältnismäßig da sein kann,
aber doch da sein kann) namentlich in festen Abneigungen und Zuneigungen
bezeigen, und sie kann uns als rührend dauernde Anhänglichkeit an Personen,
wie etwa auch an den Haushund, entgegentreten. Auch beim Volke ist dieses
Gebiet der anhänglichen Treue jedenfalls die schönste Erscheinungsform jener
natürlichen Stetigkeit, doch nicht die einzige: am Ende giebt es dort doch
ebenso viel ehrenfeste Handwerksmeister, ebenso viel kreuzbrave Hausmütter,
deren ganzes Leben die Bewährung eines unwandelbaren Sinnes ist, wie es
wirklich charaktervolle Persönlichkeiten in den gebildeten Ständen giebt. Und
das ist ja auch insofern kein Wunder, als sich die einfachere innere Organisation
umso eher fest erhalten kann: das Instrument mit wenig Saiten giebt seinen
einfachen Zusammenklang sicherer ohne störende Verstimmung oder falschen
Anschlag, als das künstliche mit zahllosen Saiten oder Tasten seinen reichen
Vollklang.

Die gesamte natürliche Begabung, die leiblichen und seelischen Kräfte und
Triebe kommen zur freiesten und harmonischsten Verwendung beim Spiel.
Spielen — das gehört zur Jugend und namentlich zur Kindheit, das scheidet
diese Stufe von der der Erwachsenen, sür die das Spiel aufgehört hat und
das Gegenteil vom Spiel, der Ernst, herrscht. Und der Ernst — der Ernst
der thatsächlichen Verhältnisse namentlich — fehlt wahrlich dem Leben des
Volkes nicht, das sich doch immer wesentlich aus denen zusammensetzt, für die
sozusagen das Leben an sich, die bloße Aufrechterhaltung des Daseins, das
Ziel des Lebens ist. Sonach müßten hier Jugend und Volk recht gründlich
bon einander verschieden sein; ja der Jugend des Volkes, so scheint es, ist
uicht einmal das Sichausspielen, wozu die Natur treibt, in rechtem Maße
vergönnt, sie muß so vielfach schon vor der Zeit an dem Ernst der Arbeit
teilnehmen! Und doch sind beide auch hier nicht so ganz geschieden, wie man
denken sollte. Das Spiel bedeutet für die Spielenden Erhöhung des Lebens-


Grenzboten III 1897 4g
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[0369] Volk und Jugend in Schmerz zergehen wollte, folgt das Löcher der Glückseligkeit, dem auf¬ ziehenden moralischen Katzenjammer des lebensfroher Jünglings die volle Lustigkeit unter Kameraden, und beim Volke — wie viel rasches Vergessen, damit überhaupt das Leben mit seinen Mühen und Engen lebenswert bleibe! Wie viel gute Kameradschaft auch wieder zwischen und neben und nach all dem derben Schelten und Beseinden! So schließt denn auch diese Beweglichkeit doch eine eigenartige Stetigkeit nicht aus. Es fehlt den naiven doch auch vieles, was unser Inneres unsicher macht: das Entgegendringen schätzbarer fremder Überzeugungen, der Umsturz der Gedanken durch eignes Studium, die Wandlung der Sympathie durch vermehrte Beobachtung, die Einwirkung mannichfacher Anziehungskräfte, die Fähigkeit zur Selbstumgestaltung, die Offenheit für Einwirkungen überhaupt, die doch eben ein Stück der Bildung ausmacht. Bei der Jugend wird sich diese größere Stetigkeit idie hier natürlich nnr verhältnismäßig da sein kann, aber doch da sein kann) namentlich in festen Abneigungen und Zuneigungen bezeigen, und sie kann uns als rührend dauernde Anhänglichkeit an Personen, wie etwa auch an den Haushund, entgegentreten. Auch beim Volke ist dieses Gebiet der anhänglichen Treue jedenfalls die schönste Erscheinungsform jener natürlichen Stetigkeit, doch nicht die einzige: am Ende giebt es dort doch ebenso viel ehrenfeste Handwerksmeister, ebenso viel kreuzbrave Hausmütter, deren ganzes Leben die Bewährung eines unwandelbaren Sinnes ist, wie es wirklich charaktervolle Persönlichkeiten in den gebildeten Ständen giebt. Und das ist ja auch insofern kein Wunder, als sich die einfachere innere Organisation umso eher fest erhalten kann: das Instrument mit wenig Saiten giebt seinen einfachen Zusammenklang sicherer ohne störende Verstimmung oder falschen Anschlag, als das künstliche mit zahllosen Saiten oder Tasten seinen reichen Vollklang. Die gesamte natürliche Begabung, die leiblichen und seelischen Kräfte und Triebe kommen zur freiesten und harmonischsten Verwendung beim Spiel. Spielen — das gehört zur Jugend und namentlich zur Kindheit, das scheidet diese Stufe von der der Erwachsenen, sür die das Spiel aufgehört hat und das Gegenteil vom Spiel, der Ernst, herrscht. Und der Ernst — der Ernst der thatsächlichen Verhältnisse namentlich — fehlt wahrlich dem Leben des Volkes nicht, das sich doch immer wesentlich aus denen zusammensetzt, für die sozusagen das Leben an sich, die bloße Aufrechterhaltung des Daseins, das Ziel des Lebens ist. Sonach müßten hier Jugend und Volk recht gründlich bon einander verschieden sein; ja der Jugend des Volkes, so scheint es, ist uicht einmal das Sichausspielen, wozu die Natur treibt, in rechtem Maße vergönnt, sie muß so vielfach schon vor der Zeit an dem Ernst der Arbeit teilnehmen! Und doch sind beide auch hier nicht so ganz geschieden, wie man denken sollte. Das Spiel bedeutet für die Spielenden Erhöhung des Lebens- Grenzboten III 1897 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/369>, abgerufen am 29.12.2024.