Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Miquel und Bennigsen zukam. -- Ach Gott, mit dem Liberalismus, nicht mit dem, wie er im Wörter¬ Die Klage der Nationalliberalen über die Ungunst der Zeiten ist ja sehr Die Geschichte aller Völker und aller Zeiten beweist, daß sich diese Not¬ Miquel und Bennigsen zukam. — Ach Gott, mit dem Liberalismus, nicht mit dem, wie er im Wörter¬ Die Klage der Nationalliberalen über die Ungunst der Zeiten ist ja sehr Die Geschichte aller Völker und aller Zeiten beweist, daß sich diese Not¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0349" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225935"/> <fw type="header" place="top"> Miquel und Bennigsen</fw><lb/> <p xml:id="ID_854" prev="#ID_853"> zukam. — Ach Gott, mit dem Liberalismus, nicht mit dem, wie er im Wörter¬<lb/> buche der Partei steht, sondern in seiner ursprünglichen wahren Bedeutung<lb/> sieht es überhaupt bei den nationalen recht wasserblau aus. Die tiefere,<lb/> sattere Farbe wird erst dann wieder hervortreten, wenn eine reinere Sonne<lb/> durch die Dinge hindnrchscheint. eine Sonne, deren Wärme das Eis der<lb/> Selbstsucht in den Herzen zum Schmelzen bringt und das Wasser von den<lb/> eignen Mühlen auch°auf die Räder der andern treibt. Auf das Gesetzemachen,<lb/> worauf man sich besonders in der nationalliberalen Partei so viel zu gute<lb/> thut, kommt es wahrhaftig nicht bloß an. Die beste Gesetzgebung taugt nichts,<lb/> wenn der treibende Geist fehlt, der allein die Worte zur Wahrheit macht.<lb/> Ohne diesen Geist ist sie ein übertünchtes Grab, ein Gehege, das zwar dem<lb/> Auge wohlgefällig, aber innerlich vom Wurm zerfressen ist, der Fußtritt des<lb/> ersten besten Gewaltmenschen wirft es zu Boden.</p><lb/> <p xml:id="ID_855"> Die Klage der Nationalliberalen über die Ungunst der Zeiten ist ja sehr<lb/> beweglich, aber nicht andre, vor allem nicht die Negierung sollten sie beschul¬<lb/> digen, sondern auch hier gilt es, an die eigne Brust zu greifen. Versucht erst<lb/> einmal wieder, im besten Sinne des Wortes liberal zu werden, und wenn ihr<lb/> es geworden seid, so wird es euch wie Schuppen von den Augen fallen, und<lb/> die Erkenntnis wird vor euch stehen, daß auch euerm nationalen Geiste die<lb/> wahre treibende Kraft fehlt. Die nationalen Güter werden nicht nach einer<lb/> vorher aufgestellten und für alle Zeit giltigen Schablone gewahrt, sondern nach<lb/> den Voraussetzungen, die die stets wechselnde Zeit dem Leben einer Nation<lb/> bringt. Wohl dem Volke, das sein Dasein für solche Voraussetzungen offen<lb/> hält! Selbst China läßt seine Mauer in den Stand sinken, um wieder in<lb/> Zusammenhang mit dem Leben zu gelangen, von dem es umflutet wird, und<lb/> wenn es klug ist, so beklagt es die vou Japan empfangne Niederlage nicht,<lb/> sondern zieht die ihm dienliche Lehre daraus. Die Einheit und der Bestand<lb/> einer Nation beruht oft auf ihrer Ausdehnungsfähigkeit. Es kann niemand<lb/> einfallen, einer wilden Eroberungssucht das Wort reden zu wollen, aber ein<lb/> Volk kann in die Lage kommen, erobern zu müssen; thöricht wäre es, nicht jede<lb/> Gelegenheit des Zugreifens mit aller Kraft zu benutzen. Moralische Faseleien<lb/> sind hier so wenig am Platze wie im Sturm der Schlacht die Hoffnung des<lb/> Soldaten, der ihm gegenüberstehende Feind werde ihn aus Mitleiden schonen.<lb/> Selbst wenn eine naheliegende Möglichkeit da wäre, daß er es thäte, so<lb/> würde es doch sicherer sein, die drohende Gesahr mit Gewalt aus dem Wege<lb/> zu räumen.</p><lb/> <p xml:id="ID_856" next="#ID_857"> Die Geschichte aller Völker und aller Zeiten beweist, daß sich diese Not¬<lb/> wendigkeit niemals zwingender ans das Leben der Völker legt, als wenn sie<lb/> aus dem engen Kreise bloß kontinentaler Wirksamkeit an die Grenze treten,<lb/> auf der sie mit der Woge des Meeres in Verbindung mit aller Welt gezogen<lb/> werden. In gewissem Sinne leichter würde ja das Dasein für sie fein, wenn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0349]
Miquel und Bennigsen
zukam. — Ach Gott, mit dem Liberalismus, nicht mit dem, wie er im Wörter¬
buche der Partei steht, sondern in seiner ursprünglichen wahren Bedeutung
sieht es überhaupt bei den nationalen recht wasserblau aus. Die tiefere,
sattere Farbe wird erst dann wieder hervortreten, wenn eine reinere Sonne
durch die Dinge hindnrchscheint. eine Sonne, deren Wärme das Eis der
Selbstsucht in den Herzen zum Schmelzen bringt und das Wasser von den
eignen Mühlen auch°auf die Räder der andern treibt. Auf das Gesetzemachen,
worauf man sich besonders in der nationalliberalen Partei so viel zu gute
thut, kommt es wahrhaftig nicht bloß an. Die beste Gesetzgebung taugt nichts,
wenn der treibende Geist fehlt, der allein die Worte zur Wahrheit macht.
Ohne diesen Geist ist sie ein übertünchtes Grab, ein Gehege, das zwar dem
Auge wohlgefällig, aber innerlich vom Wurm zerfressen ist, der Fußtritt des
ersten besten Gewaltmenschen wirft es zu Boden.
Die Klage der Nationalliberalen über die Ungunst der Zeiten ist ja sehr
beweglich, aber nicht andre, vor allem nicht die Negierung sollten sie beschul¬
digen, sondern auch hier gilt es, an die eigne Brust zu greifen. Versucht erst
einmal wieder, im besten Sinne des Wortes liberal zu werden, und wenn ihr
es geworden seid, so wird es euch wie Schuppen von den Augen fallen, und
die Erkenntnis wird vor euch stehen, daß auch euerm nationalen Geiste die
wahre treibende Kraft fehlt. Die nationalen Güter werden nicht nach einer
vorher aufgestellten und für alle Zeit giltigen Schablone gewahrt, sondern nach
den Voraussetzungen, die die stets wechselnde Zeit dem Leben einer Nation
bringt. Wohl dem Volke, das sein Dasein für solche Voraussetzungen offen
hält! Selbst China läßt seine Mauer in den Stand sinken, um wieder in
Zusammenhang mit dem Leben zu gelangen, von dem es umflutet wird, und
wenn es klug ist, so beklagt es die vou Japan empfangne Niederlage nicht,
sondern zieht die ihm dienliche Lehre daraus. Die Einheit und der Bestand
einer Nation beruht oft auf ihrer Ausdehnungsfähigkeit. Es kann niemand
einfallen, einer wilden Eroberungssucht das Wort reden zu wollen, aber ein
Volk kann in die Lage kommen, erobern zu müssen; thöricht wäre es, nicht jede
Gelegenheit des Zugreifens mit aller Kraft zu benutzen. Moralische Faseleien
sind hier so wenig am Platze wie im Sturm der Schlacht die Hoffnung des
Soldaten, der ihm gegenüberstehende Feind werde ihn aus Mitleiden schonen.
Selbst wenn eine naheliegende Möglichkeit da wäre, daß er es thäte, so
würde es doch sicherer sein, die drohende Gesahr mit Gewalt aus dem Wege
zu räumen.
Die Geschichte aller Völker und aller Zeiten beweist, daß sich diese Not¬
wendigkeit niemals zwingender ans das Leben der Völker legt, als wenn sie
aus dem engen Kreise bloß kontinentaler Wirksamkeit an die Grenze treten,
auf der sie mit der Woge des Meeres in Verbindung mit aller Welt gezogen
werden. In gewissem Sinne leichter würde ja das Dasein für sie fein, wenn
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