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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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lNiqnel und Bennigsen

Verflossen sind, ist die Wärme seiner Empfindung in der Erinnerung an die
Rede noch ebenso lebhaft wie in jenen erregten Tagen selbst. Welchen Wert
die Auseinandersetzungen Miquels hatten, konnte man am besten aus der
Wirkung ersehen, die seine Worte auf der Seite seiner Gegner hatten. Der
welfische Adel war in großer Anzahl auf der Zuhörertribüne versammelt. Als
der Redner stockend und mit schwerem Atem begann -- es war natürlich, daß
die Wucht des Augenblicks seine Brust beklemmte --. da lag Hohn und
spöttisches Lächeln auf den Gesichtern der vornehmen Herren, aber unter den
Stößen der immer freier hervorquellenden Worte wandelte sich die Gering¬
schätzung in tiefen Ernst; und nichts war anerkennender, als das finstere
Schweigen, womit die Grafen und Barone die Rede ihres Feindes bis zu Ende
anhörten.

Ja, es waren erhebende Tage für den Patrioten, der die Hoffnung auf
die endliche Lösung der deutschen Frage in seiner Brust nicht ersticken konnte,
und hell, eine schöne Zukunft verheißend, glänzte das hannoversche Sternen¬
paar der Morgenröte vorauf, die am östlichen Himmel rotstrahlend herauf¬
gezogen kam. Seitdem haben die beiden in derselben freundschaftlichen Zu¬
sammengehörigkeit ihren glänzenden Weg fortgesetzt; ihr Ruhm vergrößerte sich
von Tage zu Tage, und fast schien es. als ob die Anerkennung, die dem einen
zu teil wurde, nur dazu diente, die Ehre des andern zu mehren. Lange Zeit
ist es so geblieben, und kaum dachte einer, daß es jemals anders werden
könnte. Da hat die Zeit doch allmählich eine Wandlung herbeigeführt. Daß
Bennigsen auf dem Wege, der dem höchsten Ziele zuführte. allmählich Halt
gemacht hat, kann uns zu beweglicher Klage stimmen, aber es ist eine Wahr¬
heit, die deshalb, weil sie uns bekümmert, nicht verschwiegen werden darf.
Auch nach den Gründen zu forschen, dürfte müßig sein. Ob er wie andre
von dem "allzu Menschlichen" niederwärts gezogen worden ist, das zu er¬
örtern ist für den Augenblick nicht minder unwesentlich, als wenn jemand die
Frage auswerfen wollte, ob er in Wirklichkeit die Überzeugung habe, daß mit
den Thaten des Nationalliberalismus die deutsche Welt in den Zustand der
Vollkommenheit gehoben sei, über den hinaus ein weiteres Vordringen aus¬
geschlossen sei. Vielleicht konnte einer der Meinung sein, daß sich Bennigsen
in den Schlamm des Parteizwanges habe hinabziehen lassen; es ist in der
That nur wenigen Menschen gegeben, sich im Drange des Lebens die Freiheit
zu wahren, die nur aus sich selber den Antrieb alles Handelns nimmt. Aber
es nützt uns hier nichts, sagen zu können, daß auch er, während er zu schieben
glaubte, schon seit langem geschoben worden sei. Worauf es ankommt, das
ist, es unumwunden nnszusprechen, daß der Führer der Nationcilliberalcn samt
seiner ganzen Partei schon seit langem nicht mehr auf der Höhe der Zeit steht.
Bei den vielen Fragen von untergeordneter Natur trat das nicht so deutlich
erkennbar zu Tage, auch will sich der Menschengeist an kleinen Dingen nicht


lNiqnel und Bennigsen

Verflossen sind, ist die Wärme seiner Empfindung in der Erinnerung an die
Rede noch ebenso lebhaft wie in jenen erregten Tagen selbst. Welchen Wert
die Auseinandersetzungen Miquels hatten, konnte man am besten aus der
Wirkung ersehen, die seine Worte auf der Seite seiner Gegner hatten. Der
welfische Adel war in großer Anzahl auf der Zuhörertribüne versammelt. Als
der Redner stockend und mit schwerem Atem begann — es war natürlich, daß
die Wucht des Augenblicks seine Brust beklemmte —. da lag Hohn und
spöttisches Lächeln auf den Gesichtern der vornehmen Herren, aber unter den
Stößen der immer freier hervorquellenden Worte wandelte sich die Gering¬
schätzung in tiefen Ernst; und nichts war anerkennender, als das finstere
Schweigen, womit die Grafen und Barone die Rede ihres Feindes bis zu Ende
anhörten.

Ja, es waren erhebende Tage für den Patrioten, der die Hoffnung auf
die endliche Lösung der deutschen Frage in seiner Brust nicht ersticken konnte,
und hell, eine schöne Zukunft verheißend, glänzte das hannoversche Sternen¬
paar der Morgenröte vorauf, die am östlichen Himmel rotstrahlend herauf¬
gezogen kam. Seitdem haben die beiden in derselben freundschaftlichen Zu¬
sammengehörigkeit ihren glänzenden Weg fortgesetzt; ihr Ruhm vergrößerte sich
von Tage zu Tage, und fast schien es. als ob die Anerkennung, die dem einen
zu teil wurde, nur dazu diente, die Ehre des andern zu mehren. Lange Zeit
ist es so geblieben, und kaum dachte einer, daß es jemals anders werden
könnte. Da hat die Zeit doch allmählich eine Wandlung herbeigeführt. Daß
Bennigsen auf dem Wege, der dem höchsten Ziele zuführte. allmählich Halt
gemacht hat, kann uns zu beweglicher Klage stimmen, aber es ist eine Wahr¬
heit, die deshalb, weil sie uns bekümmert, nicht verschwiegen werden darf.
Auch nach den Gründen zu forschen, dürfte müßig sein. Ob er wie andre
von dem „allzu Menschlichen" niederwärts gezogen worden ist, das zu er¬
örtern ist für den Augenblick nicht minder unwesentlich, als wenn jemand die
Frage auswerfen wollte, ob er in Wirklichkeit die Überzeugung habe, daß mit
den Thaten des Nationalliberalismus die deutsche Welt in den Zustand der
Vollkommenheit gehoben sei, über den hinaus ein weiteres Vordringen aus¬
geschlossen sei. Vielleicht konnte einer der Meinung sein, daß sich Bennigsen
in den Schlamm des Parteizwanges habe hinabziehen lassen; es ist in der
That nur wenigen Menschen gegeben, sich im Drange des Lebens die Freiheit
zu wahren, die nur aus sich selber den Antrieb alles Handelns nimmt. Aber
es nützt uns hier nichts, sagen zu können, daß auch er, während er zu schieben
glaubte, schon seit langem geschoben worden sei. Worauf es ankommt, das
ist, es unumwunden nnszusprechen, daß der Führer der Nationcilliberalcn samt
seiner ganzen Partei schon seit langem nicht mehr auf der Höhe der Zeit steht.
Bei den vielen Fragen von untergeordneter Natur trat das nicht so deutlich
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[0347] lNiqnel und Bennigsen Verflossen sind, ist die Wärme seiner Empfindung in der Erinnerung an die Rede noch ebenso lebhaft wie in jenen erregten Tagen selbst. Welchen Wert die Auseinandersetzungen Miquels hatten, konnte man am besten aus der Wirkung ersehen, die seine Worte auf der Seite seiner Gegner hatten. Der welfische Adel war in großer Anzahl auf der Zuhörertribüne versammelt. Als der Redner stockend und mit schwerem Atem begann — es war natürlich, daß die Wucht des Augenblicks seine Brust beklemmte —. da lag Hohn und spöttisches Lächeln auf den Gesichtern der vornehmen Herren, aber unter den Stößen der immer freier hervorquellenden Worte wandelte sich die Gering¬ schätzung in tiefen Ernst; und nichts war anerkennender, als das finstere Schweigen, womit die Grafen und Barone die Rede ihres Feindes bis zu Ende anhörten. Ja, es waren erhebende Tage für den Patrioten, der die Hoffnung auf die endliche Lösung der deutschen Frage in seiner Brust nicht ersticken konnte, und hell, eine schöne Zukunft verheißend, glänzte das hannoversche Sternen¬ paar der Morgenröte vorauf, die am östlichen Himmel rotstrahlend herauf¬ gezogen kam. Seitdem haben die beiden in derselben freundschaftlichen Zu¬ sammengehörigkeit ihren glänzenden Weg fortgesetzt; ihr Ruhm vergrößerte sich von Tage zu Tage, und fast schien es. als ob die Anerkennung, die dem einen zu teil wurde, nur dazu diente, die Ehre des andern zu mehren. Lange Zeit ist es so geblieben, und kaum dachte einer, daß es jemals anders werden könnte. Da hat die Zeit doch allmählich eine Wandlung herbeigeführt. Daß Bennigsen auf dem Wege, der dem höchsten Ziele zuführte. allmählich Halt gemacht hat, kann uns zu beweglicher Klage stimmen, aber es ist eine Wahr¬ heit, die deshalb, weil sie uns bekümmert, nicht verschwiegen werden darf. Auch nach den Gründen zu forschen, dürfte müßig sein. Ob er wie andre von dem „allzu Menschlichen" niederwärts gezogen worden ist, das zu er¬ örtern ist für den Augenblick nicht minder unwesentlich, als wenn jemand die Frage auswerfen wollte, ob er in Wirklichkeit die Überzeugung habe, daß mit den Thaten des Nationalliberalismus die deutsche Welt in den Zustand der Vollkommenheit gehoben sei, über den hinaus ein weiteres Vordringen aus¬ geschlossen sei. Vielleicht konnte einer der Meinung sein, daß sich Bennigsen in den Schlamm des Parteizwanges habe hinabziehen lassen; es ist in der That nur wenigen Menschen gegeben, sich im Drange des Lebens die Freiheit zu wahren, die nur aus sich selber den Antrieb alles Handelns nimmt. Aber es nützt uns hier nichts, sagen zu können, daß auch er, während er zu schieben glaubte, schon seit langem geschoben worden sei. Worauf es ankommt, das ist, es unumwunden nnszusprechen, daß der Führer der Nationcilliberalcn samt seiner ganzen Partei schon seit langem nicht mehr auf der Höhe der Zeit steht. Bei den vielen Fragen von untergeordneter Natur trat das nicht so deutlich erkennbar zu Tage, auch will sich der Menschengeist an kleinen Dingen nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/347>, abgerufen am 29.12.2024.