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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beförderung und Verabschiedung der Offiziere

Sache ungefähr so: da, wo jetzt ein Linienregiment steht, kann noch ein Rescrve-
regiment, ein Landwehrregiment und ein Landwehrregimeut zweiten Aufgebots
aufgestellt werden." Er wollte natürlich damit den Mobilisirungsplan nicht
verraten, der ihm jedenfalls ebenso unbekannt war, wie den übrigen Anwesenden,
aber seine Bemerkung giebt doch ungefähr ein Bild von dein, was geschehen
kann. Wie viel davon im Mobilisirungsfall verwirklicht werden wird, das
hängt von den Umständen ab. Bei einem Koalitionskriege gegen Deutschland
wird aber nicht nur das, sondern vielleicht noch mehr geschehen. Die Mann¬
schaften dafür, auch für alle notwendigen Ersatzformationen, sind vorhanden,
wie jedermann leicht nachrechnen kann, wenn er sich die Mühe nehmen will.
Für die alten Regimenter trifft die Annahme sicher zu, und nach einem Jahr-
Zehnt auch für die neuen.

Bleiben wir bei diesem anschaulichen Bilde, so ergiebt sich ohne weiteres,
daß für so zahlreiche Neubildungen eine ungeheure Menge von Offizieren not¬
wendig ist. Bismarck sagte in seiner berühmten Rede zur Reaktiviruug der
Landwehr zweiten Aufgebots am 6. Februar 1888: "Und was uns kein Volk
in der Welt nachmachen kann: wir haben das Material an Offizieren und
Unteroffizieren, um diese ungeheure Armee zu kommandiren." Selbstverständlich
hatte Bismarck Recht, wir haben das "Material," auch an Offizieren, aber nur,
wenn man bei dem bisherigen Beförderungssystem bleibt. Unstreitig werden
unsre Linien-, Reserve- und Landwehroffiziere, die zur Disposition gestellten
und zeitweilig zur Erholung und Erhaltung ihrer geschwächten Kraft bei den
Bezirkskommandos, Beklcidungsümtern usw. beschäftigten Offiziere, freiwillig
verabschiedete und wieder eintretende wie auch pensionirte und sich wieder
meldende Offiziere und die Feldwebelleutnants einen kostbaren Rahmen sür die
gewaltige Armee abgeben, und die untersten Lücken werden wieder wie 1870/71
durch intelligente Unteroffiziere in ersprießlichster Weise ausgefüllt werden.
Alle werden an der Stelle, wohin sie nach ihrer Fähigkeit berufen werden, in
Linie, Reserve und Landwehr, im Ersatz-, Garnison-, Etappen- und Bureau¬
dienst ihre beste und unter Umstünden letzte Kraft einsetzen sür das Vaterland;
darüber besteht kein Zweifel. Aber man merke Wohl: für alle die zahlreichen
Neubildungen aus Reserve und Landwehr mangelt es an höhern Offizieren,
diese müssen fast sämtlich der Linie entnommen werden. Und dann steht die
Sache so, daß eigentlich jeder Premierleutnant eine Kompagnie, jeder ältere
Hauptmann ein Bataillon, jeder Brigndegeneral eine Division bekommen und
zu führen verstehen muß. Man denke nur diesen Gedanken aus, und sofort
wird es verständlich sein, daß es gegenüber dieser Möglichkeit -- nein Not¬
wendigkeit sür den Kriegsfall -- widersinnig ist, zu verlangen, daß ein Offizier
der Linie in seiner Stelle bis zur äußersten Erschöpfung seiner Leistungs-
fähigkeit oder gar vielleicht noch darüber hinaus behalten werden könne.
Das wäre höchstens in dem einen Falle möglich, wenn man für die beabsich-


Zur Beförderung und Verabschiedung der Offiziere

Sache ungefähr so: da, wo jetzt ein Linienregiment steht, kann noch ein Rescrve-
regiment, ein Landwehrregiment und ein Landwehrregimeut zweiten Aufgebots
aufgestellt werden." Er wollte natürlich damit den Mobilisirungsplan nicht
verraten, der ihm jedenfalls ebenso unbekannt war, wie den übrigen Anwesenden,
aber seine Bemerkung giebt doch ungefähr ein Bild von dein, was geschehen
kann. Wie viel davon im Mobilisirungsfall verwirklicht werden wird, das
hängt von den Umständen ab. Bei einem Koalitionskriege gegen Deutschland
wird aber nicht nur das, sondern vielleicht noch mehr geschehen. Die Mann¬
schaften dafür, auch für alle notwendigen Ersatzformationen, sind vorhanden,
wie jedermann leicht nachrechnen kann, wenn er sich die Mühe nehmen will.
Für die alten Regimenter trifft die Annahme sicher zu, und nach einem Jahr-
Zehnt auch für die neuen.

Bleiben wir bei diesem anschaulichen Bilde, so ergiebt sich ohne weiteres,
daß für so zahlreiche Neubildungen eine ungeheure Menge von Offizieren not¬
wendig ist. Bismarck sagte in seiner berühmten Rede zur Reaktiviruug der
Landwehr zweiten Aufgebots am 6. Februar 1888: „Und was uns kein Volk
in der Welt nachmachen kann: wir haben das Material an Offizieren und
Unteroffizieren, um diese ungeheure Armee zu kommandiren." Selbstverständlich
hatte Bismarck Recht, wir haben das „Material," auch an Offizieren, aber nur,
wenn man bei dem bisherigen Beförderungssystem bleibt. Unstreitig werden
unsre Linien-, Reserve- und Landwehroffiziere, die zur Disposition gestellten
und zeitweilig zur Erholung und Erhaltung ihrer geschwächten Kraft bei den
Bezirkskommandos, Beklcidungsümtern usw. beschäftigten Offiziere, freiwillig
verabschiedete und wieder eintretende wie auch pensionirte und sich wieder
meldende Offiziere und die Feldwebelleutnants einen kostbaren Rahmen sür die
gewaltige Armee abgeben, und die untersten Lücken werden wieder wie 1870/71
durch intelligente Unteroffiziere in ersprießlichster Weise ausgefüllt werden.
Alle werden an der Stelle, wohin sie nach ihrer Fähigkeit berufen werden, in
Linie, Reserve und Landwehr, im Ersatz-, Garnison-, Etappen- und Bureau¬
dienst ihre beste und unter Umstünden letzte Kraft einsetzen sür das Vaterland;
darüber besteht kein Zweifel. Aber man merke Wohl: für alle die zahlreichen
Neubildungen aus Reserve und Landwehr mangelt es an höhern Offizieren,
diese müssen fast sämtlich der Linie entnommen werden. Und dann steht die
Sache so, daß eigentlich jeder Premierleutnant eine Kompagnie, jeder ältere
Hauptmann ein Bataillon, jeder Brigndegeneral eine Division bekommen und
zu führen verstehen muß. Man denke nur diesen Gedanken aus, und sofort
wird es verständlich sein, daß es gegenüber dieser Möglichkeit — nein Not¬
wendigkeit sür den Kriegsfall — widersinnig ist, zu verlangen, daß ein Offizier
der Linie in seiner Stelle bis zur äußersten Erschöpfung seiner Leistungs-
fähigkeit oder gar vielleicht noch darüber hinaus behalten werden könne.
Das wäre höchstens in dem einen Falle möglich, wenn man für die beabsich-


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[0309] Zur Beförderung und Verabschiedung der Offiziere Sache ungefähr so: da, wo jetzt ein Linienregiment steht, kann noch ein Rescrve- regiment, ein Landwehrregiment und ein Landwehrregimeut zweiten Aufgebots aufgestellt werden." Er wollte natürlich damit den Mobilisirungsplan nicht verraten, der ihm jedenfalls ebenso unbekannt war, wie den übrigen Anwesenden, aber seine Bemerkung giebt doch ungefähr ein Bild von dein, was geschehen kann. Wie viel davon im Mobilisirungsfall verwirklicht werden wird, das hängt von den Umständen ab. Bei einem Koalitionskriege gegen Deutschland wird aber nicht nur das, sondern vielleicht noch mehr geschehen. Die Mann¬ schaften dafür, auch für alle notwendigen Ersatzformationen, sind vorhanden, wie jedermann leicht nachrechnen kann, wenn er sich die Mühe nehmen will. Für die alten Regimenter trifft die Annahme sicher zu, und nach einem Jahr- Zehnt auch für die neuen. Bleiben wir bei diesem anschaulichen Bilde, so ergiebt sich ohne weiteres, daß für so zahlreiche Neubildungen eine ungeheure Menge von Offizieren not¬ wendig ist. Bismarck sagte in seiner berühmten Rede zur Reaktiviruug der Landwehr zweiten Aufgebots am 6. Februar 1888: „Und was uns kein Volk in der Welt nachmachen kann: wir haben das Material an Offizieren und Unteroffizieren, um diese ungeheure Armee zu kommandiren." Selbstverständlich hatte Bismarck Recht, wir haben das „Material," auch an Offizieren, aber nur, wenn man bei dem bisherigen Beförderungssystem bleibt. Unstreitig werden unsre Linien-, Reserve- und Landwehroffiziere, die zur Disposition gestellten und zeitweilig zur Erholung und Erhaltung ihrer geschwächten Kraft bei den Bezirkskommandos, Beklcidungsümtern usw. beschäftigten Offiziere, freiwillig verabschiedete und wieder eintretende wie auch pensionirte und sich wieder meldende Offiziere und die Feldwebelleutnants einen kostbaren Rahmen sür die gewaltige Armee abgeben, und die untersten Lücken werden wieder wie 1870/71 durch intelligente Unteroffiziere in ersprießlichster Weise ausgefüllt werden. Alle werden an der Stelle, wohin sie nach ihrer Fähigkeit berufen werden, in Linie, Reserve und Landwehr, im Ersatz-, Garnison-, Etappen- und Bureau¬ dienst ihre beste und unter Umstünden letzte Kraft einsetzen sür das Vaterland; darüber besteht kein Zweifel. Aber man merke Wohl: für alle die zahlreichen Neubildungen aus Reserve und Landwehr mangelt es an höhern Offizieren, diese müssen fast sämtlich der Linie entnommen werden. Und dann steht die Sache so, daß eigentlich jeder Premierleutnant eine Kompagnie, jeder ältere Hauptmann ein Bataillon, jeder Brigndegeneral eine Division bekommen und zu führen verstehen muß. Man denke nur diesen Gedanken aus, und sofort wird es verständlich sein, daß es gegenüber dieser Möglichkeit — nein Not¬ wendigkeit sür den Kriegsfall — widersinnig ist, zu verlangen, daß ein Offizier der Linie in seiner Stelle bis zur äußersten Erschöpfung seiner Leistungs- fähigkeit oder gar vielleicht noch darüber hinaus behalten werden könne. Das wäre höchstens in dem einen Falle möglich, wenn man für die beabsich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/309>, abgerufen am 01.07.2024.