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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage

Die Notwendigkeit einer starken Flotte hat man denn auch von jeher ein¬
gesehen. Schon vor dreißig Jahren hat das alte Geschlecht, dem die Schaffung
der Heeresmacht zu danken ist, ohne ein Wort des Widerspruchs die Grund¬
sätze sür die Schaffung einer starken Marine anerkannt. Sie stehen in den
Motiven zu dem Gesetz über die Erweiterung der Bundeskriegsmarine von 1867
und lauten: "Es wird auch bei dem durchgreifenden Einfluß, den der See¬
handel zumal heutzutage auf das Leben der Völker ausübt, keiner weitern
Darlegung bedürfen, daß es als eine hochwichtige Aufgabe betrachtet werden
muß, dem Seehandel samt der Küste, von der er seinen Ausgang nimmt, den
nötigen Schutz zu gewähren. Wenn hieraus, sowie ans dem Umstände, daß
viele Länder, mit denen wir in Handels- und andern Beziehungen stehen, nur
zur See erreichbar sind, erhellt, wie wesentlich die politische Bedeutung und
der Einfluß eines Staates an Kraft und Ausdehnung gewinnt, wenn er im¬
stande ist, im Falle eines Kriegs, den eignen Handel kräftig schützend, dem
feindlichen Lande eben diese Lebensader zu durchschneiden(!), so giebt es für
Norddeutschland zwei gleich wichtige und zwingende Gründe, nicht länger zu
zögern, in die Reihe der größern Seemächte einzutreten, nämlich erstens, um
den bedeutenden Seehandel Norddeutschlands zu schützen und die vaterländischen
Küsten und Häfen an der Ost- und Nordsee zu verteidigen; zweitens, um für
alle Zukunft seinen Einfluß in europäischen Angelegenheiten, zumal wenn diese
solche Länder betreffen, die nur zur See erreichbar sind, wahren zu können."
Ehre den wackern Alten, die so verstündige Grundsätze aufstellten, und denen,
die sie gut hießen! Sie waren freilich weder Träumer noch meerfremde
Generale. Ans dem Kopf eines genialen Soldaten, aus dem Kopfe Roons
soll die Denkschrift stammen. Und was 1867 nicht bekrittelt wurde, das soll
1897 als "abstrakte Deduktion" gelten? Nein, durch den Hinweis auf unsre
unentbehrliche Heeresmacht ist die Flvttenfrage nicht mehr zu lösen, wir brauchen
gerade auch darum eine starke Flotte, damit das Heer unter allen Umständen
seinen Zweck erfüllen kann.

Mars und wohl noch mancher andre Deutsche unterschätzen die Gefahren,
die uns von feindlichen Seemächten drohen. Nicht bloß die Absperrung der
Lebensmittelzufuhr stünde uns bevor, sondern der gesamte Handelsverkehr,
Einfuhr und Ausfuhr, würde unterbunden werden. Bekamen wir aber während
eines längern Kriegs keine Rohstoffe mehr ins Land, und könnten wir keine
Gewerbeerzeugnisfe mehr ausführen, so müßte die Industrie zum größten Teil
ruhen. Die Arbeitslosigkeit in den Fabriken, die Not von Hunderttausenden
von Arbeitern und ihrer Familien würde sehr schlimme Folgen haben, die durch
eine in Feindesland gewonnene Schlacht nicht sofort gebessert werden würden.
Der völlige Abschluß vom Seeverkehr würde auch unsern Kredit im Auslande
schwer schädigen und unsre wirtschaftliche Existenz stärker bedrohen, als es
ein vorübergehendes Schwanken unsrer Erfolge im Landkriege vermag.


Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage

Die Notwendigkeit einer starken Flotte hat man denn auch von jeher ein¬
gesehen. Schon vor dreißig Jahren hat das alte Geschlecht, dem die Schaffung
der Heeresmacht zu danken ist, ohne ein Wort des Widerspruchs die Grund¬
sätze sür die Schaffung einer starken Marine anerkannt. Sie stehen in den
Motiven zu dem Gesetz über die Erweiterung der Bundeskriegsmarine von 1867
und lauten: „Es wird auch bei dem durchgreifenden Einfluß, den der See¬
handel zumal heutzutage auf das Leben der Völker ausübt, keiner weitern
Darlegung bedürfen, daß es als eine hochwichtige Aufgabe betrachtet werden
muß, dem Seehandel samt der Küste, von der er seinen Ausgang nimmt, den
nötigen Schutz zu gewähren. Wenn hieraus, sowie ans dem Umstände, daß
viele Länder, mit denen wir in Handels- und andern Beziehungen stehen, nur
zur See erreichbar sind, erhellt, wie wesentlich die politische Bedeutung und
der Einfluß eines Staates an Kraft und Ausdehnung gewinnt, wenn er im¬
stande ist, im Falle eines Kriegs, den eignen Handel kräftig schützend, dem
feindlichen Lande eben diese Lebensader zu durchschneiden(!), so giebt es für
Norddeutschland zwei gleich wichtige und zwingende Gründe, nicht länger zu
zögern, in die Reihe der größern Seemächte einzutreten, nämlich erstens, um
den bedeutenden Seehandel Norddeutschlands zu schützen und die vaterländischen
Küsten und Häfen an der Ost- und Nordsee zu verteidigen; zweitens, um für
alle Zukunft seinen Einfluß in europäischen Angelegenheiten, zumal wenn diese
solche Länder betreffen, die nur zur See erreichbar sind, wahren zu können."
Ehre den wackern Alten, die so verstündige Grundsätze aufstellten, und denen,
die sie gut hießen! Sie waren freilich weder Träumer noch meerfremde
Generale. Ans dem Kopf eines genialen Soldaten, aus dem Kopfe Roons
soll die Denkschrift stammen. Und was 1867 nicht bekrittelt wurde, das soll
1897 als „abstrakte Deduktion" gelten? Nein, durch den Hinweis auf unsre
unentbehrliche Heeresmacht ist die Flvttenfrage nicht mehr zu lösen, wir brauchen
gerade auch darum eine starke Flotte, damit das Heer unter allen Umständen
seinen Zweck erfüllen kann.

Mars und wohl noch mancher andre Deutsche unterschätzen die Gefahren,
die uns von feindlichen Seemächten drohen. Nicht bloß die Absperrung der
Lebensmittelzufuhr stünde uns bevor, sondern der gesamte Handelsverkehr,
Einfuhr und Ausfuhr, würde unterbunden werden. Bekamen wir aber während
eines längern Kriegs keine Rohstoffe mehr ins Land, und könnten wir keine
Gewerbeerzeugnisfe mehr ausführen, so müßte die Industrie zum größten Teil
ruhen. Die Arbeitslosigkeit in den Fabriken, die Not von Hunderttausenden
von Arbeitern und ihrer Familien würde sehr schlimme Folgen haben, die durch
eine in Feindesland gewonnene Schlacht nicht sofort gebessert werden würden.
Der völlige Abschluß vom Seeverkehr würde auch unsern Kredit im Auslande
schwer schädigen und unsre wirtschaftliche Existenz stärker bedrohen, als es
ein vorübergehendes Schwanken unsrer Erfolge im Landkriege vermag.


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[0253] Die Alten und die Jungen in der Flottenfrage Die Notwendigkeit einer starken Flotte hat man denn auch von jeher ein¬ gesehen. Schon vor dreißig Jahren hat das alte Geschlecht, dem die Schaffung der Heeresmacht zu danken ist, ohne ein Wort des Widerspruchs die Grund¬ sätze sür die Schaffung einer starken Marine anerkannt. Sie stehen in den Motiven zu dem Gesetz über die Erweiterung der Bundeskriegsmarine von 1867 und lauten: „Es wird auch bei dem durchgreifenden Einfluß, den der See¬ handel zumal heutzutage auf das Leben der Völker ausübt, keiner weitern Darlegung bedürfen, daß es als eine hochwichtige Aufgabe betrachtet werden muß, dem Seehandel samt der Küste, von der er seinen Ausgang nimmt, den nötigen Schutz zu gewähren. Wenn hieraus, sowie ans dem Umstände, daß viele Länder, mit denen wir in Handels- und andern Beziehungen stehen, nur zur See erreichbar sind, erhellt, wie wesentlich die politische Bedeutung und der Einfluß eines Staates an Kraft und Ausdehnung gewinnt, wenn er im¬ stande ist, im Falle eines Kriegs, den eignen Handel kräftig schützend, dem feindlichen Lande eben diese Lebensader zu durchschneiden(!), so giebt es für Norddeutschland zwei gleich wichtige und zwingende Gründe, nicht länger zu zögern, in die Reihe der größern Seemächte einzutreten, nämlich erstens, um den bedeutenden Seehandel Norddeutschlands zu schützen und die vaterländischen Küsten und Häfen an der Ost- und Nordsee zu verteidigen; zweitens, um für alle Zukunft seinen Einfluß in europäischen Angelegenheiten, zumal wenn diese solche Länder betreffen, die nur zur See erreichbar sind, wahren zu können." Ehre den wackern Alten, die so verstündige Grundsätze aufstellten, und denen, die sie gut hießen! Sie waren freilich weder Träumer noch meerfremde Generale. Ans dem Kopf eines genialen Soldaten, aus dem Kopfe Roons soll die Denkschrift stammen. Und was 1867 nicht bekrittelt wurde, das soll 1897 als „abstrakte Deduktion" gelten? Nein, durch den Hinweis auf unsre unentbehrliche Heeresmacht ist die Flvttenfrage nicht mehr zu lösen, wir brauchen gerade auch darum eine starke Flotte, damit das Heer unter allen Umständen seinen Zweck erfüllen kann. Mars und wohl noch mancher andre Deutsche unterschätzen die Gefahren, die uns von feindlichen Seemächten drohen. Nicht bloß die Absperrung der Lebensmittelzufuhr stünde uns bevor, sondern der gesamte Handelsverkehr, Einfuhr und Ausfuhr, würde unterbunden werden. Bekamen wir aber während eines längern Kriegs keine Rohstoffe mehr ins Land, und könnten wir keine Gewerbeerzeugnisfe mehr ausführen, so müßte die Industrie zum größten Teil ruhen. Die Arbeitslosigkeit in den Fabriken, die Not von Hunderttausenden von Arbeitern und ihrer Familien würde sehr schlimme Folgen haben, die durch eine in Feindesland gewonnene Schlacht nicht sofort gebessert werden würden. Der völlige Abschluß vom Seeverkehr würde auch unsern Kredit im Auslande schwer schädigen und unsre wirtschaftliche Existenz stärker bedrohen, als es ein vorübergehendes Schwanken unsrer Erfolge im Landkriege vermag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/253>, abgerufen am 23.07.2024.