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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

zu bekannt, als daß es nötig wäre, Aktenstücke anzuführen. Nicht allgemein
bekannt dürfte es sein, daß auch der Karlsruher Oberkirchenrat, der aus
Männern liberaler Richtung besteht, im Jahre 1879 erklärt hat: bei an¬
gestrengtem, opferwilligen Zusammenwirken der Geistlichen und Lehrer könne
den Schülern in den Simultanschulen allenfalls noch das notwendige Maß
von Religionskenntnissen beigebracht werden, aber von einem "erziehlichen"
Einflüsse des Religionsunterrichts in den Elementarschulen könne nicht die
Rede sein. Was die Herren mit dem "erziehlichen" Einflüsse eigentlich gemeint
haben, wird ihnen wohl selber nicht besonders klar gewesen sein. Nur so viel
ist klar, daß die Geistlichen aller Länder, Konfessionen und Parteien blutwenig
Vertrauen zu der Wirkung des göttlichen Wortes haben, das sie in der Schule
verkündigen, daß sie mit dem Erfolg ihres Religionsunterrichts herzlich schlecht
zufrieden sind, und daß sie, um den Erfolg zu sichern, einen ganzen Apparat
von Hilfsmitteln, vor allem mehr Macht fordern. Sie möchten eben das ganze
Leben des Schülers umspinnen, beherrschen und durchdringen, weil sie wohl
wissen, daß es nicht ein paar Unterrichtsstunden, sondern die gesamten Ein¬
flüsse der Umgebung sind, was den Menschen religiös oder irreligiös macht.

Und mit religiös meinen sie natürlich in neun von zehn Fällen kirchlich;
vielleicht hat auch der badische Oberkirchenrat mit dem "erziehlichen" Einflüsse
nichts andres gemeint als Erzeugung kirchlicher Gesinnung. Und wie denn
niedrigere Ziele im allgemeinen leichter zu erreichen sind als hohe, so kann
man es den Praktikern unter den Geistlichen nicht übel nehmen, wenn sie es
zunächst oder vielleicht überhaupt nur auf Kirchlichkeit abgesehen haben, denn
die ist wirklich nicht gar so schwer zu erzeugen. Ist doch der Herdentrieb sehr
stark im Durchschnittsmenschen. Weil der einzelne für sich allein ohnmächtig
und freudlos ist, darum erweitert sich einem jeden der persönliche Egoismus
zum Gemeinschaftsegoismus, zum Familien-, Klassen-, Kirchen- und National¬
geiste. Sich auf die Familie zu beschränken, ist nur den wenigsten gegönnt;
die meisten werden durch äußere Umstände, die dem innern Trieb entgegen¬
kommen, zum Anschluß an größere Gemeinschaften gedrängt, soweit sie sich
nicht durch Staatseinrichtungen und durch die geschichtliche Entwicklung, schon
ehe sie selbst wählen können, als Mitglieder solcher finden. Wer möchte nicht
gern entweder zu einer auserlesenen oder zu einer mächtigen Gesellschaft ge¬
hören! Vornehmere Geister sührt so ihr Wunsch nach etwas Besondern: und
Höheren in kleine Sekten, Klubs und Logen, der Durchschnittsmensch dagegen
fühlt sich am wohlsten bei dem Gedanken, daß er trotz seiner persönlichen Ohn¬
macht, Kleinheit und Bedeutungslosigkeit durch die gewaltige organisirte Masse,
der er angehört, stark, groß und bedeutend, jedenfalls aber in ihrem Schutz
sicher geborgen sei. Geistliche und weltliche Gemeinschaften gehen dabei bald
die mannichfachsten Verbindungen ein, bald treten sie in Gegensatz zu einander.
Sehr einfach war das Verhältnis z. B. im alten Athen, wo der Kultus der


Religionsunterricht

zu bekannt, als daß es nötig wäre, Aktenstücke anzuführen. Nicht allgemein
bekannt dürfte es sein, daß auch der Karlsruher Oberkirchenrat, der aus
Männern liberaler Richtung besteht, im Jahre 1879 erklärt hat: bei an¬
gestrengtem, opferwilligen Zusammenwirken der Geistlichen und Lehrer könne
den Schülern in den Simultanschulen allenfalls noch das notwendige Maß
von Religionskenntnissen beigebracht werden, aber von einem „erziehlichen"
Einflüsse des Religionsunterrichts in den Elementarschulen könne nicht die
Rede sein. Was die Herren mit dem „erziehlichen" Einflüsse eigentlich gemeint
haben, wird ihnen wohl selber nicht besonders klar gewesen sein. Nur so viel
ist klar, daß die Geistlichen aller Länder, Konfessionen und Parteien blutwenig
Vertrauen zu der Wirkung des göttlichen Wortes haben, das sie in der Schule
verkündigen, daß sie mit dem Erfolg ihres Religionsunterrichts herzlich schlecht
zufrieden sind, und daß sie, um den Erfolg zu sichern, einen ganzen Apparat
von Hilfsmitteln, vor allem mehr Macht fordern. Sie möchten eben das ganze
Leben des Schülers umspinnen, beherrschen und durchdringen, weil sie wohl
wissen, daß es nicht ein paar Unterrichtsstunden, sondern die gesamten Ein¬
flüsse der Umgebung sind, was den Menschen religiös oder irreligiös macht.

Und mit religiös meinen sie natürlich in neun von zehn Fällen kirchlich;
vielleicht hat auch der badische Oberkirchenrat mit dem „erziehlichen" Einflüsse
nichts andres gemeint als Erzeugung kirchlicher Gesinnung. Und wie denn
niedrigere Ziele im allgemeinen leichter zu erreichen sind als hohe, so kann
man es den Praktikern unter den Geistlichen nicht übel nehmen, wenn sie es
zunächst oder vielleicht überhaupt nur auf Kirchlichkeit abgesehen haben, denn
die ist wirklich nicht gar so schwer zu erzeugen. Ist doch der Herdentrieb sehr
stark im Durchschnittsmenschen. Weil der einzelne für sich allein ohnmächtig
und freudlos ist, darum erweitert sich einem jeden der persönliche Egoismus
zum Gemeinschaftsegoismus, zum Familien-, Klassen-, Kirchen- und National¬
geiste. Sich auf die Familie zu beschränken, ist nur den wenigsten gegönnt;
die meisten werden durch äußere Umstände, die dem innern Trieb entgegen¬
kommen, zum Anschluß an größere Gemeinschaften gedrängt, soweit sie sich
nicht durch Staatseinrichtungen und durch die geschichtliche Entwicklung, schon
ehe sie selbst wählen können, als Mitglieder solcher finden. Wer möchte nicht
gern entweder zu einer auserlesenen oder zu einer mächtigen Gesellschaft ge¬
hören! Vornehmere Geister sührt so ihr Wunsch nach etwas Besondern: und
Höheren in kleine Sekten, Klubs und Logen, der Durchschnittsmensch dagegen
fühlt sich am wohlsten bei dem Gedanken, daß er trotz seiner persönlichen Ohn¬
macht, Kleinheit und Bedeutungslosigkeit durch die gewaltige organisirte Masse,
der er angehört, stark, groß und bedeutend, jedenfalls aber in ihrem Schutz
sicher geborgen sei. Geistliche und weltliche Gemeinschaften gehen dabei bald
die mannichfachsten Verbindungen ein, bald treten sie in Gegensatz zu einander.
Sehr einfach war das Verhältnis z. B. im alten Athen, wo der Kultus der


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[0211] Religionsunterricht zu bekannt, als daß es nötig wäre, Aktenstücke anzuführen. Nicht allgemein bekannt dürfte es sein, daß auch der Karlsruher Oberkirchenrat, der aus Männern liberaler Richtung besteht, im Jahre 1879 erklärt hat: bei an¬ gestrengtem, opferwilligen Zusammenwirken der Geistlichen und Lehrer könne den Schülern in den Simultanschulen allenfalls noch das notwendige Maß von Religionskenntnissen beigebracht werden, aber von einem „erziehlichen" Einflüsse des Religionsunterrichts in den Elementarschulen könne nicht die Rede sein. Was die Herren mit dem „erziehlichen" Einflüsse eigentlich gemeint haben, wird ihnen wohl selber nicht besonders klar gewesen sein. Nur so viel ist klar, daß die Geistlichen aller Länder, Konfessionen und Parteien blutwenig Vertrauen zu der Wirkung des göttlichen Wortes haben, das sie in der Schule verkündigen, daß sie mit dem Erfolg ihres Religionsunterrichts herzlich schlecht zufrieden sind, und daß sie, um den Erfolg zu sichern, einen ganzen Apparat von Hilfsmitteln, vor allem mehr Macht fordern. Sie möchten eben das ganze Leben des Schülers umspinnen, beherrschen und durchdringen, weil sie wohl wissen, daß es nicht ein paar Unterrichtsstunden, sondern die gesamten Ein¬ flüsse der Umgebung sind, was den Menschen religiös oder irreligiös macht. Und mit religiös meinen sie natürlich in neun von zehn Fällen kirchlich; vielleicht hat auch der badische Oberkirchenrat mit dem „erziehlichen" Einflüsse nichts andres gemeint als Erzeugung kirchlicher Gesinnung. Und wie denn niedrigere Ziele im allgemeinen leichter zu erreichen sind als hohe, so kann man es den Praktikern unter den Geistlichen nicht übel nehmen, wenn sie es zunächst oder vielleicht überhaupt nur auf Kirchlichkeit abgesehen haben, denn die ist wirklich nicht gar so schwer zu erzeugen. Ist doch der Herdentrieb sehr stark im Durchschnittsmenschen. Weil der einzelne für sich allein ohnmächtig und freudlos ist, darum erweitert sich einem jeden der persönliche Egoismus zum Gemeinschaftsegoismus, zum Familien-, Klassen-, Kirchen- und National¬ geiste. Sich auf die Familie zu beschränken, ist nur den wenigsten gegönnt; die meisten werden durch äußere Umstände, die dem innern Trieb entgegen¬ kommen, zum Anschluß an größere Gemeinschaften gedrängt, soweit sie sich nicht durch Staatseinrichtungen und durch die geschichtliche Entwicklung, schon ehe sie selbst wählen können, als Mitglieder solcher finden. Wer möchte nicht gern entweder zu einer auserlesenen oder zu einer mächtigen Gesellschaft ge¬ hören! Vornehmere Geister sührt so ihr Wunsch nach etwas Besondern: und Höheren in kleine Sekten, Klubs und Logen, der Durchschnittsmensch dagegen fühlt sich am wohlsten bei dem Gedanken, daß er trotz seiner persönlichen Ohn¬ macht, Kleinheit und Bedeutungslosigkeit durch die gewaltige organisirte Masse, der er angehört, stark, groß und bedeutend, jedenfalls aber in ihrem Schutz sicher geborgen sei. Geistliche und weltliche Gemeinschaften gehen dabei bald die mannichfachsten Verbindungen ein, bald treten sie in Gegensatz zu einander. Sehr einfach war das Verhältnis z. B. im alten Athen, wo der Kultus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/211>, abgerufen am 24.07.2024.