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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die belgische Frage

zurück, die Deutschen aber haben den Vorteil davon: die Erzeugnisse aus dem
Reiche überschwemmen nachgerade das Land. Die Belgier sind aber noch so
zurück, daß sie nicht einmal gelernt haben, sich leidlich deutsch auszudrücken.
So kommt es vor, daß Kaufleute, die mit Deutschen Handel treiben, nicht
einmal die Briefe lesen können, die sie von ihren Geschäftsfreunden bekommen.
Eine ähnliche Unwissenheit zeigt die Presse. Trotzdem unterliegt es nicht dem
geringsten Zweifel, daß die Deutschen einen ähnlichen Einfluß gewinnen werden
wie in den Tagen der Hanse. Sie sollten nur mehr zusammenhalten und sich
eine gewisse Organisation geben. In jeder größern Stadt müßte ein deutsches
Klubhaus sein, als Sammelpunkt für alle Landsleute. Sie sollten deutsche
Bibliotheken gründen, an denen dann auch die Einheimischen teilnehmen könnten.
Wenn der altdeutsche Verband und jeder, der für deutschen Einfluß in den
Niederlanden ist, auf diese Weise vorginge, würde das von großem Nutzen
sein. In Deutschland aber sollte man endlich anfangen, niederländisch zu
lernen und die niederländische Litteratur zu verfolgen. Erst das Verständnis
für Land und Leute würde die geistige Annäherung geben, die im Interesse
beider Völker nötig ist. Die altdeutsche Bewegung hat eine große Zukunft,
wenn sie diese gegenseitige Verständigung anbahnt. Aber im Sturm kann man
heute keine Festung mehr erobern; man muß planmäßig zu Werke gehen und
Ausdauer und Geduld haben.

Möchten sich die Belgier klar werden über die Gefahren ihrer Lage.
Möchten sie nicht in thörichtem Größenwahn befangen ihre Schwäche für
Stärke halten. Es ist nicht unbemerkt geblieben, wie in dem Prozeß Lothairc-
Stokes das deutsche Reich in unverschämtester Weise öffentlich beschimpft worden
ist, es bleibt auch nicht unbekannt, wie belgische Zeitungen in namenloser Ver¬
blendung die Deutschen schmähen und verspotten. Das könnte sich eines Tages
rächen. Runden könnte sich auch die Kurzsichtigkeit der Großniederländer, die
meinen, ohne eine starke Armee eine neue Nation gründen zu können, und nicht
begreifen, daß sie auf Deutschland angewiesen sind. Die materiellen Interessen
weisen die Niederländer auf das Reich hin. Die ungeheure wirtschaftliche
Konkurrenz, die Mitteleuropa gegen Amerika, England und Nußland zu bestehen
haben wird, zwingt gebieterisch zur Gründung eines Zollvereins. Die Nieder¬
lande sind der natürliche Ausfuhrhafen für das Reich. Sie sind auch der
natürliche Wall gegen das Franzosentum. Der beste Beweis dafür sind die
Schlachtfelder auf belgischen Boden. Wenn es noch einmal zum Entscheidungs-
kampfe kommt zwischen Germanentum und dem von den Slawen unterstützten
Galliertnm, dann müssen sich auch die Niederländer entscheiden, ob sie für
oder gegen die Deutschen streiten wollen. Bleiben sie aber nach der Weise
des alten Titus Tatius zwischen beiden Heeren abwartend stehen, um
sich später dem Sieger anzuschließen, dann werden sie sich nicht wundern
dürfen, wenn er sie rauh behandelt. Sie werden auch in diesem Falle das


Die belgische Frage

zurück, die Deutschen aber haben den Vorteil davon: die Erzeugnisse aus dem
Reiche überschwemmen nachgerade das Land. Die Belgier sind aber noch so
zurück, daß sie nicht einmal gelernt haben, sich leidlich deutsch auszudrücken.
So kommt es vor, daß Kaufleute, die mit Deutschen Handel treiben, nicht
einmal die Briefe lesen können, die sie von ihren Geschäftsfreunden bekommen.
Eine ähnliche Unwissenheit zeigt die Presse. Trotzdem unterliegt es nicht dem
geringsten Zweifel, daß die Deutschen einen ähnlichen Einfluß gewinnen werden
wie in den Tagen der Hanse. Sie sollten nur mehr zusammenhalten und sich
eine gewisse Organisation geben. In jeder größern Stadt müßte ein deutsches
Klubhaus sein, als Sammelpunkt für alle Landsleute. Sie sollten deutsche
Bibliotheken gründen, an denen dann auch die Einheimischen teilnehmen könnten.
Wenn der altdeutsche Verband und jeder, der für deutschen Einfluß in den
Niederlanden ist, auf diese Weise vorginge, würde das von großem Nutzen
sein. In Deutschland aber sollte man endlich anfangen, niederländisch zu
lernen und die niederländische Litteratur zu verfolgen. Erst das Verständnis
für Land und Leute würde die geistige Annäherung geben, die im Interesse
beider Völker nötig ist. Die altdeutsche Bewegung hat eine große Zukunft,
wenn sie diese gegenseitige Verständigung anbahnt. Aber im Sturm kann man
heute keine Festung mehr erobern; man muß planmäßig zu Werke gehen und
Ausdauer und Geduld haben.

Möchten sich die Belgier klar werden über die Gefahren ihrer Lage.
Möchten sie nicht in thörichtem Größenwahn befangen ihre Schwäche für
Stärke halten. Es ist nicht unbemerkt geblieben, wie in dem Prozeß Lothairc-
Stokes das deutsche Reich in unverschämtester Weise öffentlich beschimpft worden
ist, es bleibt auch nicht unbekannt, wie belgische Zeitungen in namenloser Ver¬
blendung die Deutschen schmähen und verspotten. Das könnte sich eines Tages
rächen. Runden könnte sich auch die Kurzsichtigkeit der Großniederländer, die
meinen, ohne eine starke Armee eine neue Nation gründen zu können, und nicht
begreifen, daß sie auf Deutschland angewiesen sind. Die materiellen Interessen
weisen die Niederländer auf das Reich hin. Die ungeheure wirtschaftliche
Konkurrenz, die Mitteleuropa gegen Amerika, England und Nußland zu bestehen
haben wird, zwingt gebieterisch zur Gründung eines Zollvereins. Die Nieder¬
lande sind der natürliche Ausfuhrhafen für das Reich. Sie sind auch der
natürliche Wall gegen das Franzosentum. Der beste Beweis dafür sind die
Schlachtfelder auf belgischen Boden. Wenn es noch einmal zum Entscheidungs-
kampfe kommt zwischen Germanentum und dem von den Slawen unterstützten
Galliertnm, dann müssen sich auch die Niederländer entscheiden, ob sie für
oder gegen die Deutschen streiten wollen. Bleiben sie aber nach der Weise
des alten Titus Tatius zwischen beiden Heeren abwartend stehen, um
sich später dem Sieger anzuschließen, dann werden sie sich nicht wundern
dürfen, wenn er sie rauh behandelt. Sie werden auch in diesem Falle das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/208>, abgerufen am 24.07.2024.