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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ästhetisches

die Modernen fertiggebracht, und was hatten die aufzuweisen, von denen sie
sich trennten? Bis in die neuere Zeit, meint Knille, war niemals, bei keiner
Bewegung, keiner Auflehnung gegen früheres, die Absage an die Tradition so
schroff ausgesprochen worden wie von den Modernen. In allen frühern
Zeiten kann man sehen, woran angeknüpft werden soll; hier thut man, als ob
man keinen Vorgänger mehr brauchte. War denn vielleicht die Belastung
durch die Tradition gerade jetzt so groß, daß man es begreift, wenn das Joch
nicht mehr zu ertragen schien? Sehr gut wird zunächst von Knille geschildert,
daß in unserm Jahrhundert die Kunst ganz erstaunliche Fortschritte im Zeichnen,
Jllustriren, Charakterisiren durch Andeutung gemacht habe. Vieles, was früher
nur die Sprache ausdrücken zu können schien, führt uns jetzt der Stift vor,
unser ganzes Leben enthüllt sich vor uns in den Zeichnungen der Tagesblätter.
Unsre Gelegenhcitsbilder sind als Ausdruck ihrer Zeit viel schärfer als die
Holzschnitte und Kupferstiche unsrer Vorfahren. Das, meint Knille, teilte sich
auch den eigentlichen Bildern, den Gemälden mit: den Künstlern, die am
meisten gefielen, gelang das nicht infolge ihrer Farben, sondern durch das
Zeichnerische, durch die Formen, die einem oft ebenfalls interessirenden Inhalt
Gestalt gaben, die Farbe ging nur nebenher. Die Leute "konnten" etwas
mit dem Zeichenstift, mit der Feder, sie hatten vorher scharf beobachtet und
hatten auch Gedanken, kurz an "Erfindung" fehlte es ihnen nicht, aber in
Bezug auf das Kolorit sahen anch die besten beschämt rückwärts in die großen
Zeiten der Malerei, von denen sie zu lernen suchten. Dieses Verhältnis, das
sich an Künstlern wahrnehmen läßt, die unter einander sehr verschieden sind
-- der Verfasser nennt z. B. Nethel, Menzel, Kraus, Lenbach --, sei doch
auch natürlich und gesund. Denn aller wirkliche Fortschritt sei doch stets mit
Formenstudium verbunden gewesen, mit Lichtgeflunker und Farbengetupfe allein
habe sich noch keine neue Zeit in der Kunstgeschichte aufgethan, es gäbe darum
auch leine ausschließliche Farbenschule, weil der Farbensinn kaum disziplinarisch
auszubilden wäre -- "mau hat ihn, oder man hat ihn nicht" --, und durch Linien
und Form in der Malerei werde der wünschenswerte Zusammenhang mit den
beiden andern Künsten erhalten. Daß ein Historienmaler wie Knille von
diesen Voraussetzungen bei der Beurteilung der Modernen ausgeht, ist sür uns
selbstverständlich. Für die, denen das anders erscheinen sollte, mag darauf
hingewiesen werden, daß er in verschiednen hübschen Beobachtungen seine Wert¬
schätzung für das Malerische in seiner anspruchslosesten Erscheinung, für das
einfachste Motiv oder die Stimmung eines Holländers niederlegt hat. Er
findet ferner mit vielen andern, daß die Malerei der neuern Zeit (worunter
aber nicht die "Modernen" verstanden sind) zuviel Erzählung, Gedanken, Neben-
bcziehungen, kurz: nicht bildmäßiges in sich aufgenommen habe, weswegen eine
durch sie veranlaßte Ermüdung und Übersättigung und das Verlangen nach
einfacheren Inhalt und einer leichter zu verstehenden Erfindung wohl zu be-


Ästhetisches

die Modernen fertiggebracht, und was hatten die aufzuweisen, von denen sie
sich trennten? Bis in die neuere Zeit, meint Knille, war niemals, bei keiner
Bewegung, keiner Auflehnung gegen früheres, die Absage an die Tradition so
schroff ausgesprochen worden wie von den Modernen. In allen frühern
Zeiten kann man sehen, woran angeknüpft werden soll; hier thut man, als ob
man keinen Vorgänger mehr brauchte. War denn vielleicht die Belastung
durch die Tradition gerade jetzt so groß, daß man es begreift, wenn das Joch
nicht mehr zu ertragen schien? Sehr gut wird zunächst von Knille geschildert,
daß in unserm Jahrhundert die Kunst ganz erstaunliche Fortschritte im Zeichnen,
Jllustriren, Charakterisiren durch Andeutung gemacht habe. Vieles, was früher
nur die Sprache ausdrücken zu können schien, führt uns jetzt der Stift vor,
unser ganzes Leben enthüllt sich vor uns in den Zeichnungen der Tagesblätter.
Unsre Gelegenhcitsbilder sind als Ausdruck ihrer Zeit viel schärfer als die
Holzschnitte und Kupferstiche unsrer Vorfahren. Das, meint Knille, teilte sich
auch den eigentlichen Bildern, den Gemälden mit: den Künstlern, die am
meisten gefielen, gelang das nicht infolge ihrer Farben, sondern durch das
Zeichnerische, durch die Formen, die einem oft ebenfalls interessirenden Inhalt
Gestalt gaben, die Farbe ging nur nebenher. Die Leute „konnten" etwas
mit dem Zeichenstift, mit der Feder, sie hatten vorher scharf beobachtet und
hatten auch Gedanken, kurz an „Erfindung" fehlte es ihnen nicht, aber in
Bezug auf das Kolorit sahen anch die besten beschämt rückwärts in die großen
Zeiten der Malerei, von denen sie zu lernen suchten. Dieses Verhältnis, das
sich an Künstlern wahrnehmen läßt, die unter einander sehr verschieden sind
— der Verfasser nennt z. B. Nethel, Menzel, Kraus, Lenbach —, sei doch
auch natürlich und gesund. Denn aller wirkliche Fortschritt sei doch stets mit
Formenstudium verbunden gewesen, mit Lichtgeflunker und Farbengetupfe allein
habe sich noch keine neue Zeit in der Kunstgeschichte aufgethan, es gäbe darum
auch leine ausschließliche Farbenschule, weil der Farbensinn kaum disziplinarisch
auszubilden wäre — „mau hat ihn, oder man hat ihn nicht" —, und durch Linien
und Form in der Malerei werde der wünschenswerte Zusammenhang mit den
beiden andern Künsten erhalten. Daß ein Historienmaler wie Knille von
diesen Voraussetzungen bei der Beurteilung der Modernen ausgeht, ist sür uns
selbstverständlich. Für die, denen das anders erscheinen sollte, mag darauf
hingewiesen werden, daß er in verschiednen hübschen Beobachtungen seine Wert¬
schätzung für das Malerische in seiner anspruchslosesten Erscheinung, für das
einfachste Motiv oder die Stimmung eines Holländers niederlegt hat. Er
findet ferner mit vielen andern, daß die Malerei der neuern Zeit (worunter
aber nicht die „Modernen" verstanden sind) zuviel Erzählung, Gedanken, Neben-
bcziehungen, kurz: nicht bildmäßiges in sich aufgenommen habe, weswegen eine
durch sie veranlaßte Ermüdung und Übersättigung und das Verlangen nach
einfacheren Inhalt und einer leichter zu verstehenden Erfindung wohl zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/189>, abgerufen am 04.07.2024.