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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ästhetisches

sichtig und anempfindend auf Umwegen zu nähern suchten, ist, was die Modernen
dasür bieten, "sichrer Kraftverlust gegen unsichern Lichtgewinn." Denn das
Licht an sich übt nur einen ganz allgemeinen Sinnenreiz aus, erst wenn es
sich mit Farbe und Form verbindet, bedeutet es etwas in der Malerei.
"Ästhetisch hat die Erkenntnis des Weißlichts nicht mehr Wert als jeder
nüchterne Vernunftschluß überhaupt, und aus der Wahrnehmung, daß die
überreiche Natur sich den Luxus flcinirender Luftlichter gestatten darf, erwächst
für den Maler noch kein Recht, diesen Luxus nachzustümpern." Der schmale
Weg der Freilichtmaler schließt jede Steigerung oder Umgestaltung durch die
Phantasie aus und führt nicht einmal in der Landschaft zur Wirkung eines
schlichten Naturbildes. Vollends aber versagt das Verfahren bei der Historien¬
malerei. Das empfinde, meint Knille, sogar das Volk in seinen breitern
Schichten. "Biele ihm eine trivial täuschende und eine im Schönen gereinigte
Wiedergabe; es greift sicher nach der letztern. Manchmal kommt mir der Gedanke,
ob es nicht besser wäre, das Schicksal der Kunst auf den trotz aller lastenden
Materie immer wieder vorbrechendeu Höhensinn der Masse zu stellen, als auf
die launische Gourmandise von wenigen Tausend. Die Freilichtschule hat das
Unglück, in ihrem Prinzip, dem Publikum wenigstens, langweilig zu sein,
daher sie sich nicht einmal eines fröhlichen Modeerfolgs rühmen kann."

Der "Impressionismus" der Modernen wirkt mit Einzelheiten und beruht
auf der Skizze. Der Einfall soll das Fertiggemachte ersetzen. Das "Können"
und die Schule sind dazu nicht mehr nötig. Darum ist die Tradition lästig,
außer wo man ihre Erfindungen plündern und für eigne Ware aufbieten kann.
Das Ich des Impressionisten und der Betrachter, der den Eindruck willig auf¬
nehmen soll, die zwei genügen. Das dritte ist nur störend, nämlich die Natur,
die nach Gestaltung verlangt, oder das Kunstschöne, an dessen Beschaffenheit
die Menschen sich im Laufe der Geschichte gewöhnt haben. Die Kritik hat
hier ohne Frage leichteres Spiel, denn der Unsinn des Prinzips liegt zu
deutlich auf der Hand. Die Wahl zwischen diesen Thorheiten und den
Leistungen der vergangnen Zeit kann nicht schwer sein. Aber Knille giebt zu
der Frage schöne und belehrende Beispiele.

Wir wenden uns noch mit einigen Bemerkungen zu der dritten Seite der
modernen Malerei, die Knille als Phantastik bezeichnet. Scharf läßt sich diese
freilich nicht von dem Impressionismus unterscheiden. Der Verfasser stellt
hier die Frage nach dem Gedanken- oder Erfindungsinhalt der Modernen, die
sich z. B. als "Sezession" für etwas besondres erklärten, er giebt zu, daß
mancherlei tüchtiges unter dieser Flagge fahre, daß mit Ansprüchen solcher
Art an einen gewissen Jdealgehalt immerhin mehr ausgedrückt sei, als mit dem
Freilicht oder der Wirkung durch wunderliche Farbentöne. Aber, so fragt er
mit Recht weiter, war denn hier Grund genug, sich gegen das Alte aufzulehnen
und sich als etwas besseres zu geberden? Mit andern Worten: was haben


Ästhetisches

sichtig und anempfindend auf Umwegen zu nähern suchten, ist, was die Modernen
dasür bieten, „sichrer Kraftverlust gegen unsichern Lichtgewinn." Denn das
Licht an sich übt nur einen ganz allgemeinen Sinnenreiz aus, erst wenn es
sich mit Farbe und Form verbindet, bedeutet es etwas in der Malerei.
„Ästhetisch hat die Erkenntnis des Weißlichts nicht mehr Wert als jeder
nüchterne Vernunftschluß überhaupt, und aus der Wahrnehmung, daß die
überreiche Natur sich den Luxus flcinirender Luftlichter gestatten darf, erwächst
für den Maler noch kein Recht, diesen Luxus nachzustümpern." Der schmale
Weg der Freilichtmaler schließt jede Steigerung oder Umgestaltung durch die
Phantasie aus und führt nicht einmal in der Landschaft zur Wirkung eines
schlichten Naturbildes. Vollends aber versagt das Verfahren bei der Historien¬
malerei. Das empfinde, meint Knille, sogar das Volk in seinen breitern
Schichten. „Biele ihm eine trivial täuschende und eine im Schönen gereinigte
Wiedergabe; es greift sicher nach der letztern. Manchmal kommt mir der Gedanke,
ob es nicht besser wäre, das Schicksal der Kunst auf den trotz aller lastenden
Materie immer wieder vorbrechendeu Höhensinn der Masse zu stellen, als auf
die launische Gourmandise von wenigen Tausend. Die Freilichtschule hat das
Unglück, in ihrem Prinzip, dem Publikum wenigstens, langweilig zu sein,
daher sie sich nicht einmal eines fröhlichen Modeerfolgs rühmen kann."

Der „Impressionismus" der Modernen wirkt mit Einzelheiten und beruht
auf der Skizze. Der Einfall soll das Fertiggemachte ersetzen. Das „Können"
und die Schule sind dazu nicht mehr nötig. Darum ist die Tradition lästig,
außer wo man ihre Erfindungen plündern und für eigne Ware aufbieten kann.
Das Ich des Impressionisten und der Betrachter, der den Eindruck willig auf¬
nehmen soll, die zwei genügen. Das dritte ist nur störend, nämlich die Natur,
die nach Gestaltung verlangt, oder das Kunstschöne, an dessen Beschaffenheit
die Menschen sich im Laufe der Geschichte gewöhnt haben. Die Kritik hat
hier ohne Frage leichteres Spiel, denn der Unsinn des Prinzips liegt zu
deutlich auf der Hand. Die Wahl zwischen diesen Thorheiten und den
Leistungen der vergangnen Zeit kann nicht schwer sein. Aber Knille giebt zu
der Frage schöne und belehrende Beispiele.

Wir wenden uns noch mit einigen Bemerkungen zu der dritten Seite der
modernen Malerei, die Knille als Phantastik bezeichnet. Scharf läßt sich diese
freilich nicht von dem Impressionismus unterscheiden. Der Verfasser stellt
hier die Frage nach dem Gedanken- oder Erfindungsinhalt der Modernen, die
sich z. B. als „Sezession" für etwas besondres erklärten, er giebt zu, daß
mancherlei tüchtiges unter dieser Flagge fahre, daß mit Ansprüchen solcher
Art an einen gewissen Jdealgehalt immerhin mehr ausgedrückt sei, als mit dem
Freilicht oder der Wirkung durch wunderliche Farbentöne. Aber, so fragt er
mit Recht weiter, war denn hier Grund genug, sich gegen das Alte aufzulehnen
und sich als etwas besseres zu geberden? Mit andern Worten: was haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/188>, abgerufen am 29.12.2024.