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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Ästhetisches

kommner Form, wie sie nur ein klarer Kopf und ein Meister des Worts
hervorbringt, das muß gleichwohl überraschen- Wer zu einem richtigen und
selbständigen Urteil über die neueste Malerei angeleitet sein will, der lese das
zierliche Büchlein: Wollen und Können in der Malerei (Berlin, Fontane).
Er wird sich, wenn er es aus der Hemd legt, einige Stunden mit einem geist¬
reichen Mann unterhalten und dabei sehr viel gelernt haben. Was wir dem
Leser darüber mitteilen, schließt sich an die letzte von drei Abhandlungen an,
in der die moderne Malerei fachmännisch beleuchtet wird. Ihre drei Trümpfe
sind das Freilicht, eine besondre Wirkung auf den Anschauenden (Impressio¬
nismus) und die angeblich wiederum besondre Erfindung oder Phantastik. Am
meisten tritt das erste hervor, weil es auf die Menge am verblüffendsten
wirkte und etwas ganz neues zu sein schien.

Wenn man meint, das Problem der Freilichtmalerei sei etwas neues, so
irrt man gewaltig. Schon Lionardo da Vinci weist in seinem Malerbuche
hin auf den Unterschied der Erscheinung eines Gegenstandes, jenachdem er
unter freiem Himmel oder innerhalb geschlossener Wände gesehen wird; es sei
unrichtig, im Zimmer gemalte Körper ohne weiteres auf ein Gemälde zu über¬
tragen, das einen Vorgang im Freien vorstellen solle. Der Künstler habe
draußen zu beobachten, was er als draußen vor sich gehend im Bilde geben
wolle; er müsse diese Eindrücke zu Rate ziehen, wenn er nachher das Bild im
Atelier fertig mache. Die einen, heißt es bei ihm, halten Zimmerbeleuchtung
für richtig, die andern Freilicht, und jede Partei findet die andre lächerlich.
Was hier der tiefste Kenner der malerischen Erscheinungen mit großer Klarheit
ausgesprochen hat, das haben auch die andern alten Meister empfunden und
durch Beobachtung gezeigt, und auf vielen alten Bildern kann man sehen, daß
sie die Bedeutung des Freilichts kannten und nicht etwa immer künstliche und
konventionelle Beleuchtungen geben. Aber sie waren nicht so armselig, daß
sie, wie die neuesten, auf das bischen Freilicht eine neue Schule gründen
wollten und in dem Weißgrau und den Lichtreflexen, die zufällig auf die Gegen¬
stände fallen und oft deren Formen beeinträchtigen, das Wertvolle und Wesent¬
liche sahen, was nun dem Bilde seinen Charakter geben müßte. Sie hatten
Freude an der Lokalfarbe, am Körper und an seinen Linien und setzten ihre
Gegenstände in das Licht, das ihnen am vorteilhaftester schien. Die Natur¬
wahrheit, die die heutigen Frcilichtler zu geben meinen, ist ja etwas, worüber
sich verhandeln läßt, es kann auch zugegeben werden, daß ein Anhänger dieser
Richtung auf einzelne objektive Werte trifft, die sich durch die Kunst festhalten
lassen, daß ihm manches offenbar wird, was der "Dreiwändemalerei" ver¬
schlossen blieb. Aber das Verfahren ist nicht neu, die holländischen Landschafter
haben ebenfalls im Freien beobachtet, sich aber dadurch die Freude an der
Farbigkeit des Lebens nicht zerstört und auf ihren Bildern noch etwas besseres
gegeben -als Luft- und Lichtstudieu, und zum Hauptpriuzip erhoben schafft


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kommner Form, wie sie nur ein klarer Kopf und ein Meister des Worts
hervorbringt, das muß gleichwohl überraschen- Wer zu einem richtigen und
selbständigen Urteil über die neueste Malerei angeleitet sein will, der lese das
zierliche Büchlein: Wollen und Können in der Malerei (Berlin, Fontane).
Er wird sich, wenn er es aus der Hemd legt, einige Stunden mit einem geist¬
reichen Mann unterhalten und dabei sehr viel gelernt haben. Was wir dem
Leser darüber mitteilen, schließt sich an die letzte von drei Abhandlungen an,
in der die moderne Malerei fachmännisch beleuchtet wird. Ihre drei Trümpfe
sind das Freilicht, eine besondre Wirkung auf den Anschauenden (Impressio¬
nismus) und die angeblich wiederum besondre Erfindung oder Phantastik. Am
meisten tritt das erste hervor, weil es auf die Menge am verblüffendsten
wirkte und etwas ganz neues zu sein schien.

Wenn man meint, das Problem der Freilichtmalerei sei etwas neues, so
irrt man gewaltig. Schon Lionardo da Vinci weist in seinem Malerbuche
hin auf den Unterschied der Erscheinung eines Gegenstandes, jenachdem er
unter freiem Himmel oder innerhalb geschlossener Wände gesehen wird; es sei
unrichtig, im Zimmer gemalte Körper ohne weiteres auf ein Gemälde zu über¬
tragen, das einen Vorgang im Freien vorstellen solle. Der Künstler habe
draußen zu beobachten, was er als draußen vor sich gehend im Bilde geben
wolle; er müsse diese Eindrücke zu Rate ziehen, wenn er nachher das Bild im
Atelier fertig mache. Die einen, heißt es bei ihm, halten Zimmerbeleuchtung
für richtig, die andern Freilicht, und jede Partei findet die andre lächerlich.
Was hier der tiefste Kenner der malerischen Erscheinungen mit großer Klarheit
ausgesprochen hat, das haben auch die andern alten Meister empfunden und
durch Beobachtung gezeigt, und auf vielen alten Bildern kann man sehen, daß
sie die Bedeutung des Freilichts kannten und nicht etwa immer künstliche und
konventionelle Beleuchtungen geben. Aber sie waren nicht so armselig, daß
sie, wie die neuesten, auf das bischen Freilicht eine neue Schule gründen
wollten und in dem Weißgrau und den Lichtreflexen, die zufällig auf die Gegen¬
stände fallen und oft deren Formen beeinträchtigen, das Wertvolle und Wesent¬
liche sahen, was nun dem Bilde seinen Charakter geben müßte. Sie hatten
Freude an der Lokalfarbe, am Körper und an seinen Linien und setzten ihre
Gegenstände in das Licht, das ihnen am vorteilhaftester schien. Die Natur¬
wahrheit, die die heutigen Frcilichtler zu geben meinen, ist ja etwas, worüber
sich verhandeln läßt, es kann auch zugegeben werden, daß ein Anhänger dieser
Richtung auf einzelne objektive Werte trifft, die sich durch die Kunst festhalten
lassen, daß ihm manches offenbar wird, was der „Dreiwändemalerei" ver¬
schlossen blieb. Aber das Verfahren ist nicht neu, die holländischen Landschafter
haben ebenfalls im Freien beobachtet, sich aber dadurch die Freude an der
Farbigkeit des Lebens nicht zerstört und auf ihren Bildern noch etwas besseres
gegeben -als Luft- und Lichtstudieu, und zum Hauptpriuzip erhoben schafft


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[0186] Ästhetisches kommner Form, wie sie nur ein klarer Kopf und ein Meister des Worts hervorbringt, das muß gleichwohl überraschen- Wer zu einem richtigen und selbständigen Urteil über die neueste Malerei angeleitet sein will, der lese das zierliche Büchlein: Wollen und Können in der Malerei (Berlin, Fontane). Er wird sich, wenn er es aus der Hemd legt, einige Stunden mit einem geist¬ reichen Mann unterhalten und dabei sehr viel gelernt haben. Was wir dem Leser darüber mitteilen, schließt sich an die letzte von drei Abhandlungen an, in der die moderne Malerei fachmännisch beleuchtet wird. Ihre drei Trümpfe sind das Freilicht, eine besondre Wirkung auf den Anschauenden (Impressio¬ nismus) und die angeblich wiederum besondre Erfindung oder Phantastik. Am meisten tritt das erste hervor, weil es auf die Menge am verblüffendsten wirkte und etwas ganz neues zu sein schien. Wenn man meint, das Problem der Freilichtmalerei sei etwas neues, so irrt man gewaltig. Schon Lionardo da Vinci weist in seinem Malerbuche hin auf den Unterschied der Erscheinung eines Gegenstandes, jenachdem er unter freiem Himmel oder innerhalb geschlossener Wände gesehen wird; es sei unrichtig, im Zimmer gemalte Körper ohne weiteres auf ein Gemälde zu über¬ tragen, das einen Vorgang im Freien vorstellen solle. Der Künstler habe draußen zu beobachten, was er als draußen vor sich gehend im Bilde geben wolle; er müsse diese Eindrücke zu Rate ziehen, wenn er nachher das Bild im Atelier fertig mache. Die einen, heißt es bei ihm, halten Zimmerbeleuchtung für richtig, die andern Freilicht, und jede Partei findet die andre lächerlich. Was hier der tiefste Kenner der malerischen Erscheinungen mit großer Klarheit ausgesprochen hat, das haben auch die andern alten Meister empfunden und durch Beobachtung gezeigt, und auf vielen alten Bildern kann man sehen, daß sie die Bedeutung des Freilichts kannten und nicht etwa immer künstliche und konventionelle Beleuchtungen geben. Aber sie waren nicht so armselig, daß sie, wie die neuesten, auf das bischen Freilicht eine neue Schule gründen wollten und in dem Weißgrau und den Lichtreflexen, die zufällig auf die Gegen¬ stände fallen und oft deren Formen beeinträchtigen, das Wertvolle und Wesent¬ liche sahen, was nun dem Bilde seinen Charakter geben müßte. Sie hatten Freude an der Lokalfarbe, am Körper und an seinen Linien und setzten ihre Gegenstände in das Licht, das ihnen am vorteilhaftester schien. Die Natur¬ wahrheit, die die heutigen Frcilichtler zu geben meinen, ist ja etwas, worüber sich verhandeln läßt, es kann auch zugegeben werden, daß ein Anhänger dieser Richtung auf einzelne objektive Werte trifft, die sich durch die Kunst festhalten lassen, daß ihm manches offenbar wird, was der „Dreiwändemalerei" ver¬ schlossen blieb. Aber das Verfahren ist nicht neu, die holländischen Landschafter haben ebenfalls im Freien beobachtet, sich aber dadurch die Freude an der Farbigkeit des Lebens nicht zerstört und auf ihren Bildern noch etwas besseres gegeben -als Luft- und Lichtstudieu, und zum Hauptpriuzip erhoben schafft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/186>, abgerufen am 29.12.2024.