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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Polenfrage

denn wo sie im Winter Arbeit haben, da haben sie im Sommer erst recht
welche und werden sich hüten, zu wechseln. Die Folge ist, daß die Herren auf
dem Lande nicht würden ernten können und ihre Wirtschaft anders einrichten
müßten, wenn nicht glücklicherweise der Agent wäre. Der Agent ist der wohl¬
thätige Mann, der den fruchtbaren Strom der lebendigen Arbeitskraft von da
aus, wo er im Überfluß ist, dahin lenkt, wo er zu versiegen droht. Nebenbei
ist er auch Geschäftsmann und nimmt seine Ware daher, wo er sie am billigsten
und bequemsten erhalten kann, nämlich aus den polnischen Dörfern diesseits
und jenseits unsrer Ostgrenze.

Was ist nun dagegen zu machen? Am nächsten läge es ja, den Zuzug
der russischen Arbeiter zu verbieten. Dieser geht erstens in großen Trupps
und auf weite Entfernungen vor sich, und zweitens tritt er wie eine breite
kurze Welle vom Jenseits auf das Diesseits unsrer östlichen Grenze. Über
der ersten Bewegung hält schon jetzt die Regierung, wie wir bemerkt zu haben
glauben, aufmerksam Wacht. Die Behörden sorgen dafür, daß diese Leute
nicht länger, als ihr Paß erlaubt, im Lande weilen. Aber die andre Bewegung
läßt sich nicht verhindern. Flüssige Medien gehen nun einmal im Strome
von den Gegenden des höhern nach denen des niedern Druckes. Es würde kost¬
spielig, vielleicht unmöglich sein, einen so breiten Strom abzudämmen.

Die Quelle der slawischen Wanderung sprudelt eben nicht jenseits, sondern
diesseits unsrer Grenzen. Die Polouisirung unsers platten Landes geht schon
länger vor sich, als seitdem russische Arbeiter nach Brandenburg und Sachsen
kommen. Es wäre verdienstlich, aus dem Geburtenüberschuß der polnischen
Landesteile die Mächtigkeit der Wanderung und damit der Nassenverfülschung
in unserm Norden zu berechnen.

Dieser Zug nach dem Westen ist nun sicherlich nicht eine transcendentale
Macht, gegen die nicht anzukämpfen wäre. Könnte man diese Länder durch
eine Binnenlandgrenze vom deutschen Arbeitsmarkte aussperren, so könnten
wir erleben, daß sich der Strom umkehrte und nach Osten zu fließen anfinge.
Aber eine solche Barriere ist leider heute bei uns politisch unmöglich.

Aber müssen es denn gerade die polnischen Landesteile sein, wo die Land¬
wirtschaft ihr großes Pumpwerk anlegt, wo fort und fort ein Minimum der
Bevölkeruugsspannung hergestellt wird, in das die Flut notgedrungen unter
der nahen Grenze Nachquellen muß, wie unter einem schwachen Deiche? Es
mögen Geschäftsrücksichten sein, die den Vermittler veranlassen, gerade dort
seinen Bedarf zu decken. Sollten aber in den Dörfern des Harzes, des
Thüringer Waldes, Schleswigs, Baierns oder in den Tiroler Bergen nicht
ebenso gut Menschen zu finden sein wie in Posen und Westpreußen? Als
Napoleon vor einem seiner großen Feldzüge von seinen Ministern gefragt
wurde, wo er dazu die Menschen herbekommen wollte, antwortete er: I^ö8
5sinuis8 <zu tont plus <Mg ^'<zu use, und er hat Recht gehabt. Denn es wird


Zur Polenfrage

denn wo sie im Winter Arbeit haben, da haben sie im Sommer erst recht
welche und werden sich hüten, zu wechseln. Die Folge ist, daß die Herren auf
dem Lande nicht würden ernten können und ihre Wirtschaft anders einrichten
müßten, wenn nicht glücklicherweise der Agent wäre. Der Agent ist der wohl¬
thätige Mann, der den fruchtbaren Strom der lebendigen Arbeitskraft von da
aus, wo er im Überfluß ist, dahin lenkt, wo er zu versiegen droht. Nebenbei
ist er auch Geschäftsmann und nimmt seine Ware daher, wo er sie am billigsten
und bequemsten erhalten kann, nämlich aus den polnischen Dörfern diesseits
und jenseits unsrer Ostgrenze.

Was ist nun dagegen zu machen? Am nächsten läge es ja, den Zuzug
der russischen Arbeiter zu verbieten. Dieser geht erstens in großen Trupps
und auf weite Entfernungen vor sich, und zweitens tritt er wie eine breite
kurze Welle vom Jenseits auf das Diesseits unsrer östlichen Grenze. Über
der ersten Bewegung hält schon jetzt die Regierung, wie wir bemerkt zu haben
glauben, aufmerksam Wacht. Die Behörden sorgen dafür, daß diese Leute
nicht länger, als ihr Paß erlaubt, im Lande weilen. Aber die andre Bewegung
läßt sich nicht verhindern. Flüssige Medien gehen nun einmal im Strome
von den Gegenden des höhern nach denen des niedern Druckes. Es würde kost¬
spielig, vielleicht unmöglich sein, einen so breiten Strom abzudämmen.

Die Quelle der slawischen Wanderung sprudelt eben nicht jenseits, sondern
diesseits unsrer Grenzen. Die Polouisirung unsers platten Landes geht schon
länger vor sich, als seitdem russische Arbeiter nach Brandenburg und Sachsen
kommen. Es wäre verdienstlich, aus dem Geburtenüberschuß der polnischen
Landesteile die Mächtigkeit der Wanderung und damit der Nassenverfülschung
in unserm Norden zu berechnen.

Dieser Zug nach dem Westen ist nun sicherlich nicht eine transcendentale
Macht, gegen die nicht anzukämpfen wäre. Könnte man diese Länder durch
eine Binnenlandgrenze vom deutschen Arbeitsmarkte aussperren, so könnten
wir erleben, daß sich der Strom umkehrte und nach Osten zu fließen anfinge.
Aber eine solche Barriere ist leider heute bei uns politisch unmöglich.

Aber müssen es denn gerade die polnischen Landesteile sein, wo die Land¬
wirtschaft ihr großes Pumpwerk anlegt, wo fort und fort ein Minimum der
Bevölkeruugsspannung hergestellt wird, in das die Flut notgedrungen unter
der nahen Grenze Nachquellen muß, wie unter einem schwachen Deiche? Es
mögen Geschäftsrücksichten sein, die den Vermittler veranlassen, gerade dort
seinen Bedarf zu decken. Sollten aber in den Dörfern des Harzes, des
Thüringer Waldes, Schleswigs, Baierns oder in den Tiroler Bergen nicht
ebenso gut Menschen zu finden sein wie in Posen und Westpreußen? Als
Napoleon vor einem seiner großen Feldzüge von seinen Ministern gefragt
wurde, wo er dazu die Menschen herbekommen wollte, antwortete er: I^ö8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/18>, abgerufen am 28.12.2024.