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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Die Poesie des Sternenhimmels

und mit dem Schrecken der Finsternis erfüllt, während das Auge, indem es
sich gegen den Himmel hebt, Licht empfängt."

Auch der schlichte, nicht reflektirende Mensch, bei dem die Vernunft ihre
geheimen Winke nur wenig in die sinnliche Auffassung hineinmischt, wird von
einem Doppelten, das in solchem Grade nirgends wiederkehrt, ergriffen und
zur Bewunderung hingerissen. Das ist die erhabne Weite und Unermeßlichkeit
des Raumes, den der blaue Himmelsdom einnimmt, und dann die Fülle von
Lichtpunkten, die die große Ausdehnung, die sonst tot, leer und unfaßbar wäre,
beleben. Und wie sanft wirkt zugleich das milde Licht, das aus der Höhe
herabströmt, auf das Auge, wie besänftigend und beseligend in der feierlichen
Stille, die gleichsam nur durch das Blitzen der Sterne unterbrochen wird!
Und das führt von der sinnlichen Lichtfreude, von dem schlichten Staunen
über die unermeßliche Weite zu tieferer Betrachtung, zur psychologischen Ver-
innerlichung des optischen Eindrucks.

Diese Lichtpunkte da oben verbürgen uns das Dasein von Welten in den
fernsten Himmelsräumen, zu denen wir uns emporgehoben fühlen wie in eine
reinere, idealere Welt. Und vor der Empfindung des Kontrastes zu der
Dunkelheit der uns umgebenden, uns bannender Erde verschwindet die Erde
mit ihren kleinlichen Verhältnissen, mit den Schranken alles Irdischen, mit
den Jämmerlichkeiten des Alltagslebens, mit dem Elend und der Not, dem
Kummer und dem Leid, mit all den flatternden Wünschen, den unerfüllbaren
Hoffnungen und dem unstillbaren Sehnen, kurz mit alledem, was unser kleines
Menschendasein erfüllt. Da erhebt sich die Seele zu freieren Schwunge und fühlt
sich ausgeweidet und gestärkt in dem Anblick einer höhern, großer", minder ver¬
gänglichen Welt. In unermessene Räume trägt uns der Fittich der Sehnsucht
empor, und der ahnungsreiche Sinn überträgt alles, was hier unten die Seele
in ihrem Langen und Bangen vergebens sucht, alles, was sie, gleichsam los¬
gelöst durch die Dunkelheit der Erde von dem alltäglichen Leben, an Hohem
und Edeln ersehnt, auf jene milde, leuchtende, aber nicht blendende Sternen-
welt. Sie wird oben suchen, was nicht unten ist, sie wird in der fernen Höhe
Licht und Leben, Glückseligkeit und Zufriedenheit sehen, hier unten Dunkelheit,
Schrecken, Tod. Und den Resonanzboden aller dieser Empfindungen bildet das
Schweigen um uns her; durch kein Geräusch, durch keinen Laut, wie sie sonst
an unser Ohr schlagen, wird die Aufmerksamkeit wachgerufen oder an die
niedre Welt erinnert; d.ich Schweigen wirkt besänftigend -- im Gegensatz zu
dem Tageslärm --, die Stille legt sich lind wie eine weiche Welle ums Herz.
Es liegt also in der unmittelbaren, sinnlichen Einwirkung begründet, daß sich
die Seele, hinweggezogen von der irdischen Schwere und Not, zu den Höhen
eines reinen Lichtes erhoben fühlt, daß die Ruhe des Abends, der Friede der
Nacht die stillsten Freuden, die reinsten und tiefsten Schmerzen erweckt, daß
die Stimmen des Innern ertönen, wenn die Welt ringsum verstummt.


Die Poesie des Sternenhimmels

und mit dem Schrecken der Finsternis erfüllt, während das Auge, indem es
sich gegen den Himmel hebt, Licht empfängt."

Auch der schlichte, nicht reflektirende Mensch, bei dem die Vernunft ihre
geheimen Winke nur wenig in die sinnliche Auffassung hineinmischt, wird von
einem Doppelten, das in solchem Grade nirgends wiederkehrt, ergriffen und
zur Bewunderung hingerissen. Das ist die erhabne Weite und Unermeßlichkeit
des Raumes, den der blaue Himmelsdom einnimmt, und dann die Fülle von
Lichtpunkten, die die große Ausdehnung, die sonst tot, leer und unfaßbar wäre,
beleben. Und wie sanft wirkt zugleich das milde Licht, das aus der Höhe
herabströmt, auf das Auge, wie besänftigend und beseligend in der feierlichen
Stille, die gleichsam nur durch das Blitzen der Sterne unterbrochen wird!
Und das führt von der sinnlichen Lichtfreude, von dem schlichten Staunen
über die unermeßliche Weite zu tieferer Betrachtung, zur psychologischen Ver-
innerlichung des optischen Eindrucks.

Diese Lichtpunkte da oben verbürgen uns das Dasein von Welten in den
fernsten Himmelsräumen, zu denen wir uns emporgehoben fühlen wie in eine
reinere, idealere Welt. Und vor der Empfindung des Kontrastes zu der
Dunkelheit der uns umgebenden, uns bannender Erde verschwindet die Erde
mit ihren kleinlichen Verhältnissen, mit den Schranken alles Irdischen, mit
den Jämmerlichkeiten des Alltagslebens, mit dem Elend und der Not, dem
Kummer und dem Leid, mit all den flatternden Wünschen, den unerfüllbaren
Hoffnungen und dem unstillbaren Sehnen, kurz mit alledem, was unser kleines
Menschendasein erfüllt. Da erhebt sich die Seele zu freieren Schwunge und fühlt
sich ausgeweidet und gestärkt in dem Anblick einer höhern, großer», minder ver¬
gänglichen Welt. In unermessene Räume trägt uns der Fittich der Sehnsucht
empor, und der ahnungsreiche Sinn überträgt alles, was hier unten die Seele
in ihrem Langen und Bangen vergebens sucht, alles, was sie, gleichsam los¬
gelöst durch die Dunkelheit der Erde von dem alltäglichen Leben, an Hohem
und Edeln ersehnt, auf jene milde, leuchtende, aber nicht blendende Sternen-
welt. Sie wird oben suchen, was nicht unten ist, sie wird in der fernen Höhe
Licht und Leben, Glückseligkeit und Zufriedenheit sehen, hier unten Dunkelheit,
Schrecken, Tod. Und den Resonanzboden aller dieser Empfindungen bildet das
Schweigen um uns her; durch kein Geräusch, durch keinen Laut, wie sie sonst
an unser Ohr schlagen, wird die Aufmerksamkeit wachgerufen oder an die
niedre Welt erinnert; d.ich Schweigen wirkt besänftigend — im Gegensatz zu
dem Tageslärm —, die Stille legt sich lind wie eine weiche Welle ums Herz.
Es liegt also in der unmittelbaren, sinnlichen Einwirkung begründet, daß sich
die Seele, hinweggezogen von der irdischen Schwere und Not, zu den Höhen
eines reinen Lichtes erhoben fühlt, daß die Ruhe des Abends, der Friede der
Nacht die stillsten Freuden, die reinsten und tiefsten Schmerzen erweckt, daß
die Stimmen des Innern ertönen, wenn die Welt ringsum verstummt.


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[0171] Die Poesie des Sternenhimmels und mit dem Schrecken der Finsternis erfüllt, während das Auge, indem es sich gegen den Himmel hebt, Licht empfängt." Auch der schlichte, nicht reflektirende Mensch, bei dem die Vernunft ihre geheimen Winke nur wenig in die sinnliche Auffassung hineinmischt, wird von einem Doppelten, das in solchem Grade nirgends wiederkehrt, ergriffen und zur Bewunderung hingerissen. Das ist die erhabne Weite und Unermeßlichkeit des Raumes, den der blaue Himmelsdom einnimmt, und dann die Fülle von Lichtpunkten, die die große Ausdehnung, die sonst tot, leer und unfaßbar wäre, beleben. Und wie sanft wirkt zugleich das milde Licht, das aus der Höhe herabströmt, auf das Auge, wie besänftigend und beseligend in der feierlichen Stille, die gleichsam nur durch das Blitzen der Sterne unterbrochen wird! Und das führt von der sinnlichen Lichtfreude, von dem schlichten Staunen über die unermeßliche Weite zu tieferer Betrachtung, zur psychologischen Ver- innerlichung des optischen Eindrucks. Diese Lichtpunkte da oben verbürgen uns das Dasein von Welten in den fernsten Himmelsräumen, zu denen wir uns emporgehoben fühlen wie in eine reinere, idealere Welt. Und vor der Empfindung des Kontrastes zu der Dunkelheit der uns umgebenden, uns bannender Erde verschwindet die Erde mit ihren kleinlichen Verhältnissen, mit den Schranken alles Irdischen, mit den Jämmerlichkeiten des Alltagslebens, mit dem Elend und der Not, dem Kummer und dem Leid, mit all den flatternden Wünschen, den unerfüllbaren Hoffnungen und dem unstillbaren Sehnen, kurz mit alledem, was unser kleines Menschendasein erfüllt. Da erhebt sich die Seele zu freieren Schwunge und fühlt sich ausgeweidet und gestärkt in dem Anblick einer höhern, großer», minder ver¬ gänglichen Welt. In unermessene Räume trägt uns der Fittich der Sehnsucht empor, und der ahnungsreiche Sinn überträgt alles, was hier unten die Seele in ihrem Langen und Bangen vergebens sucht, alles, was sie, gleichsam los¬ gelöst durch die Dunkelheit der Erde von dem alltäglichen Leben, an Hohem und Edeln ersehnt, auf jene milde, leuchtende, aber nicht blendende Sternen- welt. Sie wird oben suchen, was nicht unten ist, sie wird in der fernen Höhe Licht und Leben, Glückseligkeit und Zufriedenheit sehen, hier unten Dunkelheit, Schrecken, Tod. Und den Resonanzboden aller dieser Empfindungen bildet das Schweigen um uns her; durch kein Geräusch, durch keinen Laut, wie sie sonst an unser Ohr schlagen, wird die Aufmerksamkeit wachgerufen oder an die niedre Welt erinnert; d.ich Schweigen wirkt besänftigend — im Gegensatz zu dem Tageslärm —, die Stille legt sich lind wie eine weiche Welle ums Herz. Es liegt also in der unmittelbaren, sinnlichen Einwirkung begründet, daß sich die Seele, hinweggezogen von der irdischen Schwere und Not, zu den Höhen eines reinen Lichtes erhoben fühlt, daß die Ruhe des Abends, der Friede der Nacht die stillsten Freuden, die reinsten und tiefsten Schmerzen erweckt, daß die Stimmen des Innern ertönen, wenn die Welt ringsum verstummt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/171>, abgerufen am 24.07.2024.