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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Personenwechsel in den Reichsämtern

Aber auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht ist es eine beklagenswerte, ge¬
fährliche Verirrung, wenn man, namentlich in kaufmännischen und industriellen
Kreisen, die neuesten Vorgänge so auffaßt und darstellt, als ob der Kaiser
selbst jetzt ins agrarische Fahrwasser eingeschwenkt wäre. Am allerwenigsten
berechtigt der Personenwechsel in den Reichsümtern zu dieser Deutung. Der
Wagen ist auf diesem Gebiet in den Sumpf gefahren bis an die Achsen, das
sieht der Kaiser sicher am besten ein. Wer hilft ihm, ihn herausholen? Wer
sind die Kapazitäten in Handel und Industrie, die von den eignen Standes-
genossen selbst als die "kommenden Männer" für diese Aufgabe anerkannt
würden? Wo sind die Größen der volkswirtschaftlichen Wissenschaft, die der
Nation für fähig gelten, praktisch Hilfe zu leisten? Eine Krisis sondergleichen
ist vorhanden, nicht der Minister, nicht bestimmter Grundsätze und Programme
in der Regierung, eine Krisis der Anschauungen und Grundsätze überhaupt im
ganzen Volke und am allermeisten in der gebildeten Welt. Der Kaiser hat
diesen Prozeß zu bewachen und, soweit möglich, zum guten Ende hin zu leiten.
Das ist eine einfache und unumstößliche Thatsache, nicht etwa die Konsequenz
eines übertriebnen Monarchismus in unserm Kopfe. Man kann diese extrem
monarchische Zuspitzung der Lage grundsätzlich beklagen, aber leugnen kann man
deshalb die Thatsache nicht und ebenso wenig die weitere, daß der Kaiser in
echter Hvheuzvllernart sich dieser Aufgabe voll bewußt ist und alles, er persön¬
lich sein ganzes Ich, einsetzt, um ihr gerecht zu werden, skeptisch uach links
und rechts den sich ihm aufdrängenden widersprechenden Ratschlägen gegenüber.
Nur wer sich diese ganze Lage vor Augen hält, wird die einzelnen Vorgänge
richtig beurteilen können, freilich auch oft genug sich des Urteils vorläufig zu
enthalten haben, was heute dem gebildeten Deutschen besonders schwer fällt,
aber gerade von dem Gebildeten vor allem verlangt werden muß. Es ist überaus
traurig, daß wir auch hier, in den wirtschaftlichen Fragen, den gebildeten
Mittelstand, Kaufleute und Industrielle, blind den Feldzeichen einer grund¬
sätzlichen Opposition gegen die Staatsgewalt zuströmen sehen, statt mit dem
Kaiser den Kampf gegen die Zerfahrenheit und Verworrenheit, die Einseitig¬
keiten und Übertreibungen in allen praktischen Fragen aufzunehmen.

Wir denke" nicht daran, uns damit des Rechts der Opposition gegen
falsche Maßnahmen der Regierung, auch gegen unrichtige Entscheidungen des
Kaisers selbst und der Verbündeten Fürsten zu begeben. Aber das verlangen
wir von jedem gebildeten Manne, daß er, wenn er opponire, sich den Stand-
Punkt und die Lage des Gegenteils gewissenhaft klar macht. Würde dieser
Pflicht von den sozial- und wirtschaftspolitischen Nörglern und Lärmmachern
von heute entsprochen, man würde zu dem Schlüsse kommen, daß wir nach allem,
was in der Gegenwart einen Anhalt zur Beurteilung der Lage bietet, auch heute
noch zu der Politik des Kaisers Vertraue" haben können und Vertrauen haben
müssen. Ohne dieses Vertrauen sehen wir keinen Ausweg aus der Krisis, und


Der Personenwechsel in den Reichsämtern

Aber auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht ist es eine beklagenswerte, ge¬
fährliche Verirrung, wenn man, namentlich in kaufmännischen und industriellen
Kreisen, die neuesten Vorgänge so auffaßt und darstellt, als ob der Kaiser
selbst jetzt ins agrarische Fahrwasser eingeschwenkt wäre. Am allerwenigsten
berechtigt der Personenwechsel in den Reichsümtern zu dieser Deutung. Der
Wagen ist auf diesem Gebiet in den Sumpf gefahren bis an die Achsen, das
sieht der Kaiser sicher am besten ein. Wer hilft ihm, ihn herausholen? Wer
sind die Kapazitäten in Handel und Industrie, die von den eignen Standes-
genossen selbst als die „kommenden Männer" für diese Aufgabe anerkannt
würden? Wo sind die Größen der volkswirtschaftlichen Wissenschaft, die der
Nation für fähig gelten, praktisch Hilfe zu leisten? Eine Krisis sondergleichen
ist vorhanden, nicht der Minister, nicht bestimmter Grundsätze und Programme
in der Regierung, eine Krisis der Anschauungen und Grundsätze überhaupt im
ganzen Volke und am allermeisten in der gebildeten Welt. Der Kaiser hat
diesen Prozeß zu bewachen und, soweit möglich, zum guten Ende hin zu leiten.
Das ist eine einfache und unumstößliche Thatsache, nicht etwa die Konsequenz
eines übertriebnen Monarchismus in unserm Kopfe. Man kann diese extrem
monarchische Zuspitzung der Lage grundsätzlich beklagen, aber leugnen kann man
deshalb die Thatsache nicht und ebenso wenig die weitere, daß der Kaiser in
echter Hvheuzvllernart sich dieser Aufgabe voll bewußt ist und alles, er persön¬
lich sein ganzes Ich, einsetzt, um ihr gerecht zu werden, skeptisch uach links
und rechts den sich ihm aufdrängenden widersprechenden Ratschlägen gegenüber.
Nur wer sich diese ganze Lage vor Augen hält, wird die einzelnen Vorgänge
richtig beurteilen können, freilich auch oft genug sich des Urteils vorläufig zu
enthalten haben, was heute dem gebildeten Deutschen besonders schwer fällt,
aber gerade von dem Gebildeten vor allem verlangt werden muß. Es ist überaus
traurig, daß wir auch hier, in den wirtschaftlichen Fragen, den gebildeten
Mittelstand, Kaufleute und Industrielle, blind den Feldzeichen einer grund¬
sätzlichen Opposition gegen die Staatsgewalt zuströmen sehen, statt mit dem
Kaiser den Kampf gegen die Zerfahrenheit und Verworrenheit, die Einseitig¬
keiten und Übertreibungen in allen praktischen Fragen aufzunehmen.

Wir denke» nicht daran, uns damit des Rechts der Opposition gegen
falsche Maßnahmen der Regierung, auch gegen unrichtige Entscheidungen des
Kaisers selbst und der Verbündeten Fürsten zu begeben. Aber das verlangen
wir von jedem gebildeten Manne, daß er, wenn er opponire, sich den Stand-
Punkt und die Lage des Gegenteils gewissenhaft klar macht. Würde dieser
Pflicht von den sozial- und wirtschaftspolitischen Nörglern und Lärmmachern
von heute entsprochen, man würde zu dem Schlüsse kommen, daß wir nach allem,
was in der Gegenwart einen Anhalt zur Beurteilung der Lage bietet, auch heute
noch zu der Politik des Kaisers Vertraue» haben können und Vertrauen haben
müssen. Ohne dieses Vertrauen sehen wir keinen Ausweg aus der Krisis, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/13>, abgerufen am 24.07.2024.