Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zu den diesjährigen Kaisermanövern

wird. Und dabei wissen Sigl und andre Parteigänger sehr wohl, daß der
Naupenhelm weder eine altbajuvcirische Einrichtung, noch je als zweckmäßig
befunden und im Heere beliebt gewesen ist. Der "nationale" bairische Helm
stammt ursprünglich aus England, wurde laut "Churpfalz-Vayerischer Militär¬
verordnung vom 1. Januar 1792" durch den Ritter Benjamin Thomson,
spätern Grafen Rumford, der bairischer Kriegsminister war, eingeführt, und
zwar in Gestalt englischer Armeelieferungen. Auf englischen Schlachtenbildern
vom Ende des vorigen Jahrhunderts ist das Urbild des Raupenhelms oft zu
finden. Außer seinem Reichskontingent hatte Baiern gegen Frankreich damals
auch sein übriges Militär ins Feld rücken lassen, und zwar sür englische
Unterstützungsgelder; die praktischen Engländer zahlten aber einen Teil davon
-- wie noch 1813 an Preußen -- in abgelegten Uniformstücken. Der neue
Kopfschmuck erwies sich als unpraktisch und blieb unbeliebt, wurde wegen Geld¬
mangels nicht allgemein eingeführt, dann abgeschafft, aber später mit einigen Ver¬
änderungen und Verbesserungen wieder befohlen. Die dadurch hervorgerufne
Ungleichmäßigkeit der Kopfbedeckungen hatte in den folgenden Feldzügen bis 1805
unnötige Verluste, namentlich an Offizieren, zur Folge, und ein Machtspruch
Napoleons machte dem unhaltbar gewordnen Zustande ein Ende. Das ist der
"nationale" Ursprung des Naupenhelms, der trotz aller Verbesserungen und
Verzierungen niemals beliebt gewesen ist und darum bei der Mobilisirung im
Jahre 1859 wie im Feldzuge von 1866 zu Hause gelassen wurde. Eine
höchst ehrenvolle kriegerische Stellung erwarb er sich erst im Feldzuge von
1870/71 neben dem preußischen Helm, das ist ja aber gerade ein Umstand, von
dem Sigl und Genossen nichts wissen wollen.

Wie schon aus dem Zeitpunkte der Abschaffung des Naupenhelms hervorgeht,
war damit keineswegs ein Entgegenkommen gegen Preußen oder das "Reich"
beabsichtigt; man entsprach einfach der militärischen Notwendigkeit. Es ist ja
kein Geheimnis, wenn auch in bciirischen Volkskreisen ziemlich unbekannt, daß
im Feldzug an der Loire der Raupenhelm das erste bairische Armeekorps
beinahe der Vernichtung ausgesetzt hat. Ein militärisch ganz richtiger Gedanke
veranlaßte die Franzosen, beständig die Raupenhelme anzugreifen. Unter den
Pickelhauben konnte frischer norddeutscher Truppenzuwachs eingetroffen sein,
an der Raupe aber erkannte man die Baiern und hoffte, das tagtäglich von
neuem angegriffne und schon stark gelichtete Häuflein endlich mürbe zu machen.
Vielleicht zogen die Franzosen auch in Berechnung, daß die bairischen Armee¬
korps von Haus aus etwas schwächer waren als die preußischen. Sie ließen
sich ja auch in Metz von ähnlichen Annahmen leiten und richteten ihre letzten
Ausfälle alle gegen die Landwehr, die sie an der Kopfbedeckung erkannten, und
von der sie wußten, daß ihre Bataillone schwächer waren als die der Linie,
Freilich täuschten sich die Franzosen darin, daß sie die Landwehr für weniger
feldtüchtig hielten, und ihre Enttäuschung wurde noch größer, wenn sie, durch


Zu den diesjährigen Kaisermanövern

wird. Und dabei wissen Sigl und andre Parteigänger sehr wohl, daß der
Naupenhelm weder eine altbajuvcirische Einrichtung, noch je als zweckmäßig
befunden und im Heere beliebt gewesen ist. Der „nationale" bairische Helm
stammt ursprünglich aus England, wurde laut „Churpfalz-Vayerischer Militär¬
verordnung vom 1. Januar 1792" durch den Ritter Benjamin Thomson,
spätern Grafen Rumford, der bairischer Kriegsminister war, eingeführt, und
zwar in Gestalt englischer Armeelieferungen. Auf englischen Schlachtenbildern
vom Ende des vorigen Jahrhunderts ist das Urbild des Raupenhelms oft zu
finden. Außer seinem Reichskontingent hatte Baiern gegen Frankreich damals
auch sein übriges Militär ins Feld rücken lassen, und zwar sür englische
Unterstützungsgelder; die praktischen Engländer zahlten aber einen Teil davon
— wie noch 1813 an Preußen — in abgelegten Uniformstücken. Der neue
Kopfschmuck erwies sich als unpraktisch und blieb unbeliebt, wurde wegen Geld¬
mangels nicht allgemein eingeführt, dann abgeschafft, aber später mit einigen Ver¬
änderungen und Verbesserungen wieder befohlen. Die dadurch hervorgerufne
Ungleichmäßigkeit der Kopfbedeckungen hatte in den folgenden Feldzügen bis 1805
unnötige Verluste, namentlich an Offizieren, zur Folge, und ein Machtspruch
Napoleons machte dem unhaltbar gewordnen Zustande ein Ende. Das ist der
„nationale" Ursprung des Naupenhelms, der trotz aller Verbesserungen und
Verzierungen niemals beliebt gewesen ist und darum bei der Mobilisirung im
Jahre 1859 wie im Feldzuge von 1866 zu Hause gelassen wurde. Eine
höchst ehrenvolle kriegerische Stellung erwarb er sich erst im Feldzuge von
1870/71 neben dem preußischen Helm, das ist ja aber gerade ein Umstand, von
dem Sigl und Genossen nichts wissen wollen.

Wie schon aus dem Zeitpunkte der Abschaffung des Naupenhelms hervorgeht,
war damit keineswegs ein Entgegenkommen gegen Preußen oder das „Reich"
beabsichtigt; man entsprach einfach der militärischen Notwendigkeit. Es ist ja
kein Geheimnis, wenn auch in bciirischen Volkskreisen ziemlich unbekannt, daß
im Feldzug an der Loire der Raupenhelm das erste bairische Armeekorps
beinahe der Vernichtung ausgesetzt hat. Ein militärisch ganz richtiger Gedanke
veranlaßte die Franzosen, beständig die Raupenhelme anzugreifen. Unter den
Pickelhauben konnte frischer norddeutscher Truppenzuwachs eingetroffen sein,
an der Raupe aber erkannte man die Baiern und hoffte, das tagtäglich von
neuem angegriffne und schon stark gelichtete Häuflein endlich mürbe zu machen.
Vielleicht zogen die Franzosen auch in Berechnung, daß die bairischen Armee¬
korps von Haus aus etwas schwächer waren als die preußischen. Sie ließen
sich ja auch in Metz von ähnlichen Annahmen leiten und richteten ihre letzten
Ausfälle alle gegen die Landwehr, die sie an der Kopfbedeckung erkannten, und
von der sie wußten, daß ihre Bataillone schwächer waren als die der Linie,
Freilich täuschten sich die Franzosen darin, daß sie die Landwehr für weniger
feldtüchtig hielten, und ihre Enttäuschung wurde noch größer, wenn sie, durch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225698"/>
          <fw type="header" place="top"> Zu den diesjährigen Kaisermanövern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_266" prev="#ID_265"> wird. Und dabei wissen Sigl und andre Parteigänger sehr wohl, daß der<lb/>
Naupenhelm weder eine altbajuvcirische Einrichtung, noch je als zweckmäßig<lb/>
befunden und im Heere beliebt gewesen ist. Der &#x201E;nationale" bairische Helm<lb/>
stammt ursprünglich aus England, wurde laut &#x201E;Churpfalz-Vayerischer Militär¬<lb/>
verordnung vom 1. Januar 1792" durch den Ritter Benjamin Thomson,<lb/>
spätern Grafen Rumford, der bairischer Kriegsminister war, eingeführt, und<lb/>
zwar in Gestalt englischer Armeelieferungen. Auf englischen Schlachtenbildern<lb/>
vom Ende des vorigen Jahrhunderts ist das Urbild des Raupenhelms oft zu<lb/>
finden. Außer seinem Reichskontingent hatte Baiern gegen Frankreich damals<lb/>
auch sein übriges Militär ins Feld rücken lassen, und zwar sür englische<lb/>
Unterstützungsgelder; die praktischen Engländer zahlten aber einen Teil davon<lb/>
&#x2014; wie noch 1813 an Preußen &#x2014; in abgelegten Uniformstücken. Der neue<lb/>
Kopfschmuck erwies sich als unpraktisch und blieb unbeliebt, wurde wegen Geld¬<lb/>
mangels nicht allgemein eingeführt, dann abgeschafft, aber später mit einigen Ver¬<lb/>
änderungen und Verbesserungen wieder befohlen. Die dadurch hervorgerufne<lb/>
Ungleichmäßigkeit der Kopfbedeckungen hatte in den folgenden Feldzügen bis 1805<lb/>
unnötige Verluste, namentlich an Offizieren, zur Folge, und ein Machtspruch<lb/>
Napoleons machte dem unhaltbar gewordnen Zustande ein Ende. Das ist der<lb/>
&#x201E;nationale" Ursprung des Naupenhelms, der trotz aller Verbesserungen und<lb/>
Verzierungen niemals beliebt gewesen ist und darum bei der Mobilisirung im<lb/>
Jahre 1859 wie im Feldzuge von 1866 zu Hause gelassen wurde. Eine<lb/>
höchst ehrenvolle kriegerische Stellung erwarb er sich erst im Feldzuge von<lb/>
1870/71 neben dem preußischen Helm, das ist ja aber gerade ein Umstand, von<lb/>
dem Sigl und Genossen nichts wissen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267" next="#ID_268"> Wie schon aus dem Zeitpunkte der Abschaffung des Naupenhelms hervorgeht,<lb/>
war damit keineswegs ein Entgegenkommen gegen Preußen oder das &#x201E;Reich"<lb/>
beabsichtigt; man entsprach einfach der militärischen Notwendigkeit. Es ist ja<lb/>
kein Geheimnis, wenn auch in bciirischen Volkskreisen ziemlich unbekannt, daß<lb/>
im Feldzug an der Loire der Raupenhelm das erste bairische Armeekorps<lb/>
beinahe der Vernichtung ausgesetzt hat. Ein militärisch ganz richtiger Gedanke<lb/>
veranlaßte die Franzosen, beständig die Raupenhelme anzugreifen. Unter den<lb/>
Pickelhauben konnte frischer norddeutscher Truppenzuwachs eingetroffen sein,<lb/>
an der Raupe aber erkannte man die Baiern und hoffte, das tagtäglich von<lb/>
neuem angegriffne und schon stark gelichtete Häuflein endlich mürbe zu machen.<lb/>
Vielleicht zogen die Franzosen auch in Berechnung, daß die bairischen Armee¬<lb/>
korps von Haus aus etwas schwächer waren als die preußischen. Sie ließen<lb/>
sich ja auch in Metz von ähnlichen Annahmen leiten und richteten ihre letzten<lb/>
Ausfälle alle gegen die Landwehr, die sie an der Kopfbedeckung erkannten, und<lb/>
von der sie wußten, daß ihre Bataillone schwächer waren als die der Linie,<lb/>
Freilich täuschten sich die Franzosen darin, daß sie die Landwehr für weniger<lb/>
feldtüchtig hielten, und ihre Enttäuschung wurde noch größer, wenn sie, durch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Zu den diesjährigen Kaisermanövern wird. Und dabei wissen Sigl und andre Parteigänger sehr wohl, daß der Naupenhelm weder eine altbajuvcirische Einrichtung, noch je als zweckmäßig befunden und im Heere beliebt gewesen ist. Der „nationale" bairische Helm stammt ursprünglich aus England, wurde laut „Churpfalz-Vayerischer Militär¬ verordnung vom 1. Januar 1792" durch den Ritter Benjamin Thomson, spätern Grafen Rumford, der bairischer Kriegsminister war, eingeführt, und zwar in Gestalt englischer Armeelieferungen. Auf englischen Schlachtenbildern vom Ende des vorigen Jahrhunderts ist das Urbild des Raupenhelms oft zu finden. Außer seinem Reichskontingent hatte Baiern gegen Frankreich damals auch sein übriges Militär ins Feld rücken lassen, und zwar sür englische Unterstützungsgelder; die praktischen Engländer zahlten aber einen Teil davon — wie noch 1813 an Preußen — in abgelegten Uniformstücken. Der neue Kopfschmuck erwies sich als unpraktisch und blieb unbeliebt, wurde wegen Geld¬ mangels nicht allgemein eingeführt, dann abgeschafft, aber später mit einigen Ver¬ änderungen und Verbesserungen wieder befohlen. Die dadurch hervorgerufne Ungleichmäßigkeit der Kopfbedeckungen hatte in den folgenden Feldzügen bis 1805 unnötige Verluste, namentlich an Offizieren, zur Folge, und ein Machtspruch Napoleons machte dem unhaltbar gewordnen Zustande ein Ende. Das ist der „nationale" Ursprung des Naupenhelms, der trotz aller Verbesserungen und Verzierungen niemals beliebt gewesen ist und darum bei der Mobilisirung im Jahre 1859 wie im Feldzuge von 1866 zu Hause gelassen wurde. Eine höchst ehrenvolle kriegerische Stellung erwarb er sich erst im Feldzuge von 1870/71 neben dem preußischen Helm, das ist ja aber gerade ein Umstand, von dem Sigl und Genossen nichts wissen wollen. Wie schon aus dem Zeitpunkte der Abschaffung des Naupenhelms hervorgeht, war damit keineswegs ein Entgegenkommen gegen Preußen oder das „Reich" beabsichtigt; man entsprach einfach der militärischen Notwendigkeit. Es ist ja kein Geheimnis, wenn auch in bciirischen Volkskreisen ziemlich unbekannt, daß im Feldzug an der Loire der Raupenhelm das erste bairische Armeekorps beinahe der Vernichtung ausgesetzt hat. Ein militärisch ganz richtiger Gedanke veranlaßte die Franzosen, beständig die Raupenhelme anzugreifen. Unter den Pickelhauben konnte frischer norddeutscher Truppenzuwachs eingetroffen sein, an der Raupe aber erkannte man die Baiern und hoffte, das tagtäglich von neuem angegriffne und schon stark gelichtete Häuflein endlich mürbe zu machen. Vielleicht zogen die Franzosen auch in Berechnung, daß die bairischen Armee¬ korps von Haus aus etwas schwächer waren als die preußischen. Sie ließen sich ja auch in Metz von ähnlichen Annahmen leiten und richteten ihre letzten Ausfälle alle gegen die Landwehr, die sie an der Kopfbedeckung erkannten, und von der sie wußten, daß ihre Bataillone schwächer waren als die der Linie, Freilich täuschten sich die Franzosen darin, daß sie die Landwehr für weniger feldtüchtig hielten, und ihre Enttäuschung wurde noch größer, wenn sie, durch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/112>, abgerufen am 24.07.2024.