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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zu den diesjährigen Aaisennanövern

ist das Werkzeug, womit die Politik gemacht wird. Uns allen ist ja bekannt,
welche ernsten Gedanken unsern größten, noch unter uns weilenden Staats¬
mann 1866 in Böhmen beschäftigten für den Fall, daß das Heer versagt
hätte. Darum verfolgt man auch in Deutschland wie anderwärts die Herbst¬
manöver, die den Schluß eines militärischen Ausbildungs- und Übungsjahres
bilden, mit größerer Aufmerksamkeit, und selbst die armeefeindlichsten Blätter
haben dann ein warmes Wort für das "Volk in Waffen." In diesem Jahre
wenden sich die Blicke gespannt den Kaisermanövern zu, die zum erstenmale, auf
Grund einer freien Vereinbarung zwischen den obersten Kriegsherren Preußens
und Baierns, preußische und bairische Truppen in einer Gesamtzahl von
100000 Mann mit 18000 Pferden zu kriegerischer Übung vereinigen werden.
Es ist nicht die hohe, bisher niemals erreichte Truppenhöhe, die hierbei zunächst
in Betracht kommt, obwohl das militärische Interesse daran nicht zu unter¬
schätzen ist; viel höher ist die politische Seite anzuschlagen, denn sie hat wahr¬
scheinlich eine größere Tragweite für die deutsche Einheit, als sie das allgemeine
bürgerliche Gesetzbuch haben wird.

Die Sonderstellung der bairischen Armee ist den doktrinären "Unitariern"
von jeher ein Stein des Anstoßes gewesen, oft freilich nur so behandelt worden,
um dem Schöpfer der Reichsverfassung, dem Fürsten Bismarck, einen Vorwurf
damit machen zu können. Der Zustand ist nun aber einmal geschichtlich und
verfassungsmäßig begründet, und im Ernst wird niemand behaupten wollen, daß
es zur Zeit der Entstehung der Reichsverfassung während der Belagerung
von Paris passend oder auch nur möglich gewesen wäre, einen Druck auf
Baiern auszuüben. Das wesentlichste wurde erreicht, und daß das gut und
hinreichend war, wird am besten durch die diesjährigen Kaisermanöver be¬
wiesen. Wäre es nötig, dem Lobe des Staatsmanns Bismarck noch etwas
hinzuzufügen, so müßte es jetzt geschehen.

Nach der Verfassung steht dem Kaiser in Kriegszeiten der Oberbefehl über
die bairische Armee zu, während des Friedens hat er das Recht der Inspektion.
Kaiser Wilhelm I. hat nie persönlich von diesem Rechte Gebrauch gemacht,
und das geschah aus besondrer Rücksicht auf die Gemütsverfassung und Stim¬
mung König Ludwigs II. So entschlossen sich dieser 1870 bei Ausbruch
des Kriegs an die Seite Preußens gestellt hatte, so schwer empfand er per¬
sönlich die Opfer, die er dem "Reich" hatte bringen müssen, und von Berlin
aus wußte man diesen Gefühlen Rechnung zu tragen. So wurde immer
Kronprinz Friedrich Wilhelm, der als Führer und Sieger bei Weißenburg und
Wörth den bairischen Truppen nahe gestanden hatte, zur Jnspizirung entsandt,
und nach ihm sein ehemaliger Generalstabschef, Feldmarschall Graf Blumen¬
thal. König Ludwig II. war niemals bei diesen Besichtigungen anwesend,
zum Teil allerdings, weil er überhaupt keine Neigung für das Heerwesen hatte.
Zu seiner Vertretung erschien schon damals Prinz Luitpold. Nachdem dieser


Zu den diesjährigen Aaisennanövern

ist das Werkzeug, womit die Politik gemacht wird. Uns allen ist ja bekannt,
welche ernsten Gedanken unsern größten, noch unter uns weilenden Staats¬
mann 1866 in Böhmen beschäftigten für den Fall, daß das Heer versagt
hätte. Darum verfolgt man auch in Deutschland wie anderwärts die Herbst¬
manöver, die den Schluß eines militärischen Ausbildungs- und Übungsjahres
bilden, mit größerer Aufmerksamkeit, und selbst die armeefeindlichsten Blätter
haben dann ein warmes Wort für das „Volk in Waffen." In diesem Jahre
wenden sich die Blicke gespannt den Kaisermanövern zu, die zum erstenmale, auf
Grund einer freien Vereinbarung zwischen den obersten Kriegsherren Preußens
und Baierns, preußische und bairische Truppen in einer Gesamtzahl von
100000 Mann mit 18000 Pferden zu kriegerischer Übung vereinigen werden.
Es ist nicht die hohe, bisher niemals erreichte Truppenhöhe, die hierbei zunächst
in Betracht kommt, obwohl das militärische Interesse daran nicht zu unter¬
schätzen ist; viel höher ist die politische Seite anzuschlagen, denn sie hat wahr¬
scheinlich eine größere Tragweite für die deutsche Einheit, als sie das allgemeine
bürgerliche Gesetzbuch haben wird.

Die Sonderstellung der bairischen Armee ist den doktrinären „Unitariern"
von jeher ein Stein des Anstoßes gewesen, oft freilich nur so behandelt worden,
um dem Schöpfer der Reichsverfassung, dem Fürsten Bismarck, einen Vorwurf
damit machen zu können. Der Zustand ist nun aber einmal geschichtlich und
verfassungsmäßig begründet, und im Ernst wird niemand behaupten wollen, daß
es zur Zeit der Entstehung der Reichsverfassung während der Belagerung
von Paris passend oder auch nur möglich gewesen wäre, einen Druck auf
Baiern auszuüben. Das wesentlichste wurde erreicht, und daß das gut und
hinreichend war, wird am besten durch die diesjährigen Kaisermanöver be¬
wiesen. Wäre es nötig, dem Lobe des Staatsmanns Bismarck noch etwas
hinzuzufügen, so müßte es jetzt geschehen.

Nach der Verfassung steht dem Kaiser in Kriegszeiten der Oberbefehl über
die bairische Armee zu, während des Friedens hat er das Recht der Inspektion.
Kaiser Wilhelm I. hat nie persönlich von diesem Rechte Gebrauch gemacht,
und das geschah aus besondrer Rücksicht auf die Gemütsverfassung und Stim¬
mung König Ludwigs II. So entschlossen sich dieser 1870 bei Ausbruch
des Kriegs an die Seite Preußens gestellt hatte, so schwer empfand er per¬
sönlich die Opfer, die er dem „Reich" hatte bringen müssen, und von Berlin
aus wußte man diesen Gefühlen Rechnung zu tragen. So wurde immer
Kronprinz Friedrich Wilhelm, der als Führer und Sieger bei Weißenburg und
Wörth den bairischen Truppen nahe gestanden hatte, zur Jnspizirung entsandt,
und nach ihm sein ehemaliger Generalstabschef, Feldmarschall Graf Blumen¬
thal. König Ludwig II. war niemals bei diesen Besichtigungen anwesend,
zum Teil allerdings, weil er überhaupt keine Neigung für das Heerwesen hatte.
Zu seiner Vertretung erschien schon damals Prinz Luitpold. Nachdem dieser


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[0107] Zu den diesjährigen Aaisennanövern ist das Werkzeug, womit die Politik gemacht wird. Uns allen ist ja bekannt, welche ernsten Gedanken unsern größten, noch unter uns weilenden Staats¬ mann 1866 in Böhmen beschäftigten für den Fall, daß das Heer versagt hätte. Darum verfolgt man auch in Deutschland wie anderwärts die Herbst¬ manöver, die den Schluß eines militärischen Ausbildungs- und Übungsjahres bilden, mit größerer Aufmerksamkeit, und selbst die armeefeindlichsten Blätter haben dann ein warmes Wort für das „Volk in Waffen." In diesem Jahre wenden sich die Blicke gespannt den Kaisermanövern zu, die zum erstenmale, auf Grund einer freien Vereinbarung zwischen den obersten Kriegsherren Preußens und Baierns, preußische und bairische Truppen in einer Gesamtzahl von 100000 Mann mit 18000 Pferden zu kriegerischer Übung vereinigen werden. Es ist nicht die hohe, bisher niemals erreichte Truppenhöhe, die hierbei zunächst in Betracht kommt, obwohl das militärische Interesse daran nicht zu unter¬ schätzen ist; viel höher ist die politische Seite anzuschlagen, denn sie hat wahr¬ scheinlich eine größere Tragweite für die deutsche Einheit, als sie das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch haben wird. Die Sonderstellung der bairischen Armee ist den doktrinären „Unitariern" von jeher ein Stein des Anstoßes gewesen, oft freilich nur so behandelt worden, um dem Schöpfer der Reichsverfassung, dem Fürsten Bismarck, einen Vorwurf damit machen zu können. Der Zustand ist nun aber einmal geschichtlich und verfassungsmäßig begründet, und im Ernst wird niemand behaupten wollen, daß es zur Zeit der Entstehung der Reichsverfassung während der Belagerung von Paris passend oder auch nur möglich gewesen wäre, einen Druck auf Baiern auszuüben. Das wesentlichste wurde erreicht, und daß das gut und hinreichend war, wird am besten durch die diesjährigen Kaisermanöver be¬ wiesen. Wäre es nötig, dem Lobe des Staatsmanns Bismarck noch etwas hinzuzufügen, so müßte es jetzt geschehen. Nach der Verfassung steht dem Kaiser in Kriegszeiten der Oberbefehl über die bairische Armee zu, während des Friedens hat er das Recht der Inspektion. Kaiser Wilhelm I. hat nie persönlich von diesem Rechte Gebrauch gemacht, und das geschah aus besondrer Rücksicht auf die Gemütsverfassung und Stim¬ mung König Ludwigs II. So entschlossen sich dieser 1870 bei Ausbruch des Kriegs an die Seite Preußens gestellt hatte, so schwer empfand er per¬ sönlich die Opfer, die er dem „Reich" hatte bringen müssen, und von Berlin aus wußte man diesen Gefühlen Rechnung zu tragen. So wurde immer Kronprinz Friedrich Wilhelm, der als Führer und Sieger bei Weißenburg und Wörth den bairischen Truppen nahe gestanden hatte, zur Jnspizirung entsandt, und nach ihm sein ehemaliger Generalstabschef, Feldmarschall Graf Blumen¬ thal. König Ludwig II. war niemals bei diesen Besichtigungen anwesend, zum Teil allerdings, weil er überhaupt keine Neigung für das Heerwesen hatte. Zu seiner Vertretung erschien schon damals Prinz Luitpold. Nachdem dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/107>, abgerufen am 24.07.2024.