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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kolonisation

afier und aus dem Sprengerschen Buch^) über Syrien und die Euphrat-
lünder. Über Kleinasien faßt Roß sein Urteil dahin zusammen: "Da ist
ein gemäßigter, dem deutschen Klima nicht zu fern stehender Himmelsstrich,
vielleicht der edelste Himmelsstrich aller Zonen; da sind ländergroße Strecken
des ergiebigsten Bodens entvölkert und unbebaut; da sind herrliche Häfen,
schiffbare Flüsse, große Landseen im Innern; da sind Gebirge mit Wald
bedeckt, mit Alpentriften auf ihren Abhängen und mit reichen Metall-
adern, mit Marmor und andern Steinbrüchen in ihrem Schoße; da gedeiht
das Pferd und das Rind, das Kamel und die Wollherde; da wächst der
Weizen wie der Reis, der Wein wie das Öl, die Baumwolle wie der Hanf
und Flachs, dort Krapp und Weihrauch, die Palme wie der Maulbeerbaum,
dort die Citrone und Orange im Thale, der Apfel und die Kastanie auf den
kühlern Bergrücken. Dort ist die Schutzmauer gegen das Übergreifen des
Zars zu Lande, dort die Schranke gegen das Weltmonopol der handelnden
Briten. Persien, Arabien, Indien senden der Halbinsel ihre Schätze zu und
empfangen von dort, was sie von den Kunsterzeugnisseu Europas bedürfen.
Und dies gesegnete Land, diese uralte Wiege der Menschheit -- es ist von
Deutschland nur wenige Wochen entfernt. Ein Schiff, in Ulm oder Regens¬
burg gezimmert, kaun hinübergleiten in seine Häfen, und von Trieft erreicht
ein Dampfer in sieben Tagen die Küste von Jonien."

Das Sprengersche kleine Buch beschäftigt sich eingehend mit der Schil¬
derung der Landschaften, die das Becken des Orontes und das Euphrat-Tigris-
becken umfassen. Diese Landschaften sind ein reiches Alluvium von der Aus¬
dehnung etwa des Königreichs Italien. Der Boden besteht aus der uns aus
Rußland bekannten "schwarzen Erde/' es ist reiner Humus, der überall, wo
er ein entsprechendes Maß Wasser hat und bebaut wird, die reichsten Früchte
trägt. Das Klima gehört zu den trocknen, d. h. es fehlen die tropischen Sommer¬
regeu, infolgedessen ist eine künstliche Bewässerung überall notwendig, wo die
Natur das Wasser nicht selber hingeleitet hat. Auf künstlicher Bewässerung
haben alle alten Kulturen jenes Landes beruht, die Namen Ninive und Ba¬
bylon, Seleucia, Ktesiphon und Bagdad bezeichnen ebenso viele jahrhunderte¬
lange Vlütenzeiten, und noch Plinius bezeichnet diese Gegenden als törtili88iruus
ÄMr todos ol'iöutis. Die Natur erdrückt den Menschen nicht durch ihre Mächtig¬
keit, aber sie belohnt seine Mühen aufs reichste. Der Orientale sagt, um die
Art des Landes zu bezeichnen: Es gedeiht die Rede und die Dattelpalme. Das
heißt in das Occidentalische übersetzt: Das Land bietet zwei Ernten, die eine



Babulonien, das reichste Land in der Vorzeit und das lohnendste Kolonisationsfeld für
die Gegenwart. Ein Vorschlag zur Kolonisation des Orients von Dr. U. Sprenger, Professor
und früherem Vorsteher der mohammedanischen Hochschule von Kalkutta. Heidelberg, C. Winters
Universitätübuchhandlung, l 88<Z.
Deutsche Kolonisation

afier und aus dem Sprengerschen Buch^) über Syrien und die Euphrat-
lünder. Über Kleinasien faßt Roß sein Urteil dahin zusammen: „Da ist
ein gemäßigter, dem deutschen Klima nicht zu fern stehender Himmelsstrich,
vielleicht der edelste Himmelsstrich aller Zonen; da sind ländergroße Strecken
des ergiebigsten Bodens entvölkert und unbebaut; da sind herrliche Häfen,
schiffbare Flüsse, große Landseen im Innern; da sind Gebirge mit Wald
bedeckt, mit Alpentriften auf ihren Abhängen und mit reichen Metall-
adern, mit Marmor und andern Steinbrüchen in ihrem Schoße; da gedeiht
das Pferd und das Rind, das Kamel und die Wollherde; da wächst der
Weizen wie der Reis, der Wein wie das Öl, die Baumwolle wie der Hanf
und Flachs, dort Krapp und Weihrauch, die Palme wie der Maulbeerbaum,
dort die Citrone und Orange im Thale, der Apfel und die Kastanie auf den
kühlern Bergrücken. Dort ist die Schutzmauer gegen das Übergreifen des
Zars zu Lande, dort die Schranke gegen das Weltmonopol der handelnden
Briten. Persien, Arabien, Indien senden der Halbinsel ihre Schätze zu und
empfangen von dort, was sie von den Kunsterzeugnisseu Europas bedürfen.
Und dies gesegnete Land, diese uralte Wiege der Menschheit — es ist von
Deutschland nur wenige Wochen entfernt. Ein Schiff, in Ulm oder Regens¬
burg gezimmert, kaun hinübergleiten in seine Häfen, und von Trieft erreicht
ein Dampfer in sieben Tagen die Küste von Jonien."

Das Sprengersche kleine Buch beschäftigt sich eingehend mit der Schil¬
derung der Landschaften, die das Becken des Orontes und das Euphrat-Tigris-
becken umfassen. Diese Landschaften sind ein reiches Alluvium von der Aus¬
dehnung etwa des Königreichs Italien. Der Boden besteht aus der uns aus
Rußland bekannten „schwarzen Erde/' es ist reiner Humus, der überall, wo
er ein entsprechendes Maß Wasser hat und bebaut wird, die reichsten Früchte
trägt. Das Klima gehört zu den trocknen, d. h. es fehlen die tropischen Sommer¬
regeu, infolgedessen ist eine künstliche Bewässerung überall notwendig, wo die
Natur das Wasser nicht selber hingeleitet hat. Auf künstlicher Bewässerung
haben alle alten Kulturen jenes Landes beruht, die Namen Ninive und Ba¬
bylon, Seleucia, Ktesiphon und Bagdad bezeichnen ebenso viele jahrhunderte¬
lange Vlütenzeiten, und noch Plinius bezeichnet diese Gegenden als törtili88iruus
ÄMr todos ol'iöutis. Die Natur erdrückt den Menschen nicht durch ihre Mächtig¬
keit, aber sie belohnt seine Mühen aufs reichste. Der Orientale sagt, um die
Art des Landes zu bezeichnen: Es gedeiht die Rede und die Dattelpalme. Das
heißt in das Occidentalische übersetzt: Das Land bietet zwei Ernten, die eine



Babulonien, das reichste Land in der Vorzeit und das lohnendste Kolonisationsfeld für
die Gegenwart. Ein Vorschlag zur Kolonisation des Orients von Dr. U. Sprenger, Professor
und früherem Vorsteher der mohammedanischen Hochschule von Kalkutta. Heidelberg, C. Winters
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[0077] Deutsche Kolonisation afier und aus dem Sprengerschen Buch^) über Syrien und die Euphrat- lünder. Über Kleinasien faßt Roß sein Urteil dahin zusammen: „Da ist ein gemäßigter, dem deutschen Klima nicht zu fern stehender Himmelsstrich, vielleicht der edelste Himmelsstrich aller Zonen; da sind ländergroße Strecken des ergiebigsten Bodens entvölkert und unbebaut; da sind herrliche Häfen, schiffbare Flüsse, große Landseen im Innern; da sind Gebirge mit Wald bedeckt, mit Alpentriften auf ihren Abhängen und mit reichen Metall- adern, mit Marmor und andern Steinbrüchen in ihrem Schoße; da gedeiht das Pferd und das Rind, das Kamel und die Wollherde; da wächst der Weizen wie der Reis, der Wein wie das Öl, die Baumwolle wie der Hanf und Flachs, dort Krapp und Weihrauch, die Palme wie der Maulbeerbaum, dort die Citrone und Orange im Thale, der Apfel und die Kastanie auf den kühlern Bergrücken. Dort ist die Schutzmauer gegen das Übergreifen des Zars zu Lande, dort die Schranke gegen das Weltmonopol der handelnden Briten. Persien, Arabien, Indien senden der Halbinsel ihre Schätze zu und empfangen von dort, was sie von den Kunsterzeugnisseu Europas bedürfen. Und dies gesegnete Land, diese uralte Wiege der Menschheit — es ist von Deutschland nur wenige Wochen entfernt. Ein Schiff, in Ulm oder Regens¬ burg gezimmert, kaun hinübergleiten in seine Häfen, und von Trieft erreicht ein Dampfer in sieben Tagen die Küste von Jonien." Das Sprengersche kleine Buch beschäftigt sich eingehend mit der Schil¬ derung der Landschaften, die das Becken des Orontes und das Euphrat-Tigris- becken umfassen. Diese Landschaften sind ein reiches Alluvium von der Aus¬ dehnung etwa des Königreichs Italien. Der Boden besteht aus der uns aus Rußland bekannten „schwarzen Erde/' es ist reiner Humus, der überall, wo er ein entsprechendes Maß Wasser hat und bebaut wird, die reichsten Früchte trägt. Das Klima gehört zu den trocknen, d. h. es fehlen die tropischen Sommer¬ regeu, infolgedessen ist eine künstliche Bewässerung überall notwendig, wo die Natur das Wasser nicht selber hingeleitet hat. Auf künstlicher Bewässerung haben alle alten Kulturen jenes Landes beruht, die Namen Ninive und Ba¬ bylon, Seleucia, Ktesiphon und Bagdad bezeichnen ebenso viele jahrhunderte¬ lange Vlütenzeiten, und noch Plinius bezeichnet diese Gegenden als törtili88iruus ÄMr todos ol'iöutis. Die Natur erdrückt den Menschen nicht durch ihre Mächtig¬ keit, aber sie belohnt seine Mühen aufs reichste. Der Orientale sagt, um die Art des Landes zu bezeichnen: Es gedeiht die Rede und die Dattelpalme. Das heißt in das Occidentalische übersetzt: Das Land bietet zwei Ernten, die eine Babulonien, das reichste Land in der Vorzeit und das lohnendste Kolonisationsfeld für die Gegenwart. Ein Vorschlag zur Kolonisation des Orients von Dr. U. Sprenger, Professor und früherem Vorsteher der mohammedanischen Hochschule von Kalkutta. Heidelberg, C. Winters Universitätübuchhandlung, l 88<Z.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/77>, abgerufen am 23.07.2024.