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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Aoloniscition

vermehrten Vodenerzeugnisse würden daher hauptsächlich in den Städten des
Landes oder in den nördlichen Provinzen Brasiliens Absatz suchen müssen,
was dann diese Provinzen wirtschaftlich eben dorthin und nicht auf Deutsch¬
land wiese.

So fassen wir unser Urteil über Südbrasilien dahin zusammen, daß vor¬
läufig zwar eine in der Zahl geringe Auswanderung vom nationalen Gesichts¬
punkte aus zulässig erscheint; die Auswandrer haben Aussicht, sich nach einer
Reihe von Jahren harter und schwerer Arbeit eine selbständige, aber wesentlich
uaturalwirtschaftliche Existenz zu erringen. Aber für eine organisirte Aus¬
wanderung großer" Stils ist das Land in jeder Weise ungeeignet, und dort
einen deutschen Kolouicilstaat zu gründen, hat die gewichtigsten Bedenken gegen
sich. Die Entfernung vom Mutterlande wäre eben zu groß, die Verbindung
zu vielen Störungen ausgesetzt, seine Bedeutung im Weltverkehr diesen Nach¬
teilen gegenüber aber zu gering.

Wenden wir unsre Blicke von Amerika auf Australien und Südafrika, so
müssen wir hier schweigend verzichten. Australien ist völlig unter englischer
Herrschaft, und soweit es andre Wünsche hegt, gehen sie in keiner Weise dahin,
die englische Oberhoheit etwa mit der deutschen zu vertauschen. Der Besitz
von Südafrika böte in jeder Hinsicht größere Vorteile als der von Süd¬
brasilien; bei der Betrachtung der Karte sehen die deutschen Kolonien aus wie
ganz gute Angriffsstellungen. Wenn sie sich aus- und zusammenwüchsen, so
würden wir uns darüber sehr freuen, aber darauf rechnen dürfen wir wohl
kaum. Das sind also Phantasien, und wir begeben uns so schleunig wie
möglich wieder auf den Boden realer Verhältnisse.

Unsre Brautschau hat bis jetzt nur negative Ergebnisse gehabt; wenn es
in Europa und Asien nicht besser aussieht, so stehen unsre Aussichten schlecht.
Glücklicherweise bietet sich hier der Betrachtung und Prüfung ein Land dar,
das fast in idealer Weise allen unserm Anforderungen entspricht, das wie
Dornröschen aus glänzenden Verhältnissen stammt und heute uach tausend¬
jährigem Schlummer nur eines kühnen Retters und Erweckers harrt, um ihn
in den Besitz aller seiner Schätze zu setzen. Jeder Deutsche, der in Vorderasien
gewesen ist, ist im Innersten bewegt worden von dem Gefühl der Trauer über
die Verödung dieser herrlichen Landstriche, von dem Gedanken, zu welcher
Blüte sie unter der Hand fleißiger Anbauer wieder erstehen könnten, und von
dem Wunsche, daß deutsche Ansiedler berufen sein möchten, diese Länder dem
Weltverkehr wieder zu eröffnen. Freilich auf englischen Beifall dürfen wir bei
diesem Unternehmen gewiß nicht rechnen.

Was in Südbrasilien durch die Umstände ausgeschlossen ist, die Massen-
einwanderung und eine Unternehmung im großen, das ist in Syrien und
Assyrien die Grundbedingung des Erfolgs; an einer solchen Aufgabe können wir
unser elendes Parteigezänk vergessen und unsern alten Nationalcharakter völlig


Deutsche Aoloniscition

vermehrten Vodenerzeugnisse würden daher hauptsächlich in den Städten des
Landes oder in den nördlichen Provinzen Brasiliens Absatz suchen müssen,
was dann diese Provinzen wirtschaftlich eben dorthin und nicht auf Deutsch¬
land wiese.

So fassen wir unser Urteil über Südbrasilien dahin zusammen, daß vor¬
läufig zwar eine in der Zahl geringe Auswanderung vom nationalen Gesichts¬
punkte aus zulässig erscheint; die Auswandrer haben Aussicht, sich nach einer
Reihe von Jahren harter und schwerer Arbeit eine selbständige, aber wesentlich
uaturalwirtschaftliche Existenz zu erringen. Aber für eine organisirte Aus¬
wanderung großer» Stils ist das Land in jeder Weise ungeeignet, und dort
einen deutschen Kolouicilstaat zu gründen, hat die gewichtigsten Bedenken gegen
sich. Die Entfernung vom Mutterlande wäre eben zu groß, die Verbindung
zu vielen Störungen ausgesetzt, seine Bedeutung im Weltverkehr diesen Nach¬
teilen gegenüber aber zu gering.

Wenden wir unsre Blicke von Amerika auf Australien und Südafrika, so
müssen wir hier schweigend verzichten. Australien ist völlig unter englischer
Herrschaft, und soweit es andre Wünsche hegt, gehen sie in keiner Weise dahin,
die englische Oberhoheit etwa mit der deutschen zu vertauschen. Der Besitz
von Südafrika böte in jeder Hinsicht größere Vorteile als der von Süd¬
brasilien; bei der Betrachtung der Karte sehen die deutschen Kolonien aus wie
ganz gute Angriffsstellungen. Wenn sie sich aus- und zusammenwüchsen, so
würden wir uns darüber sehr freuen, aber darauf rechnen dürfen wir wohl
kaum. Das sind also Phantasien, und wir begeben uns so schleunig wie
möglich wieder auf den Boden realer Verhältnisse.

Unsre Brautschau hat bis jetzt nur negative Ergebnisse gehabt; wenn es
in Europa und Asien nicht besser aussieht, so stehen unsre Aussichten schlecht.
Glücklicherweise bietet sich hier der Betrachtung und Prüfung ein Land dar,
das fast in idealer Weise allen unserm Anforderungen entspricht, das wie
Dornröschen aus glänzenden Verhältnissen stammt und heute uach tausend¬
jährigem Schlummer nur eines kühnen Retters und Erweckers harrt, um ihn
in den Besitz aller seiner Schätze zu setzen. Jeder Deutsche, der in Vorderasien
gewesen ist, ist im Innersten bewegt worden von dem Gefühl der Trauer über
die Verödung dieser herrlichen Landstriche, von dem Gedanken, zu welcher
Blüte sie unter der Hand fleißiger Anbauer wieder erstehen könnten, und von
dem Wunsche, daß deutsche Ansiedler berufen sein möchten, diese Länder dem
Weltverkehr wieder zu eröffnen. Freilich auf englischen Beifall dürfen wir bei
diesem Unternehmen gewiß nicht rechnen.

Was in Südbrasilien durch die Umstände ausgeschlossen ist, die Massen-
einwanderung und eine Unternehmung im großen, das ist in Syrien und
Assyrien die Grundbedingung des Erfolgs; an einer solchen Aufgabe können wir
unser elendes Parteigezänk vergessen und unsern alten Nationalcharakter völlig


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[0075] Deutsche Aoloniscition vermehrten Vodenerzeugnisse würden daher hauptsächlich in den Städten des Landes oder in den nördlichen Provinzen Brasiliens Absatz suchen müssen, was dann diese Provinzen wirtschaftlich eben dorthin und nicht auf Deutsch¬ land wiese. So fassen wir unser Urteil über Südbrasilien dahin zusammen, daß vor¬ läufig zwar eine in der Zahl geringe Auswanderung vom nationalen Gesichts¬ punkte aus zulässig erscheint; die Auswandrer haben Aussicht, sich nach einer Reihe von Jahren harter und schwerer Arbeit eine selbständige, aber wesentlich uaturalwirtschaftliche Existenz zu erringen. Aber für eine organisirte Aus¬ wanderung großer» Stils ist das Land in jeder Weise ungeeignet, und dort einen deutschen Kolouicilstaat zu gründen, hat die gewichtigsten Bedenken gegen sich. Die Entfernung vom Mutterlande wäre eben zu groß, die Verbindung zu vielen Störungen ausgesetzt, seine Bedeutung im Weltverkehr diesen Nach¬ teilen gegenüber aber zu gering. Wenden wir unsre Blicke von Amerika auf Australien und Südafrika, so müssen wir hier schweigend verzichten. Australien ist völlig unter englischer Herrschaft, und soweit es andre Wünsche hegt, gehen sie in keiner Weise dahin, die englische Oberhoheit etwa mit der deutschen zu vertauschen. Der Besitz von Südafrika böte in jeder Hinsicht größere Vorteile als der von Süd¬ brasilien; bei der Betrachtung der Karte sehen die deutschen Kolonien aus wie ganz gute Angriffsstellungen. Wenn sie sich aus- und zusammenwüchsen, so würden wir uns darüber sehr freuen, aber darauf rechnen dürfen wir wohl kaum. Das sind also Phantasien, und wir begeben uns so schleunig wie möglich wieder auf den Boden realer Verhältnisse. Unsre Brautschau hat bis jetzt nur negative Ergebnisse gehabt; wenn es in Europa und Asien nicht besser aussieht, so stehen unsre Aussichten schlecht. Glücklicherweise bietet sich hier der Betrachtung und Prüfung ein Land dar, das fast in idealer Weise allen unserm Anforderungen entspricht, das wie Dornröschen aus glänzenden Verhältnissen stammt und heute uach tausend¬ jährigem Schlummer nur eines kühnen Retters und Erweckers harrt, um ihn in den Besitz aller seiner Schätze zu setzen. Jeder Deutsche, der in Vorderasien gewesen ist, ist im Innersten bewegt worden von dem Gefühl der Trauer über die Verödung dieser herrlichen Landstriche, von dem Gedanken, zu welcher Blüte sie unter der Hand fleißiger Anbauer wieder erstehen könnten, und von dem Wunsche, daß deutsche Ansiedler berufen sein möchten, diese Länder dem Weltverkehr wieder zu eröffnen. Freilich auf englischen Beifall dürfen wir bei diesem Unternehmen gewiß nicht rechnen. Was in Südbrasilien durch die Umstände ausgeschlossen ist, die Massen- einwanderung und eine Unternehmung im großen, das ist in Syrien und Assyrien die Grundbedingung des Erfolgs; an einer solchen Aufgabe können wir unser elendes Parteigezänk vergessen und unsern alten Nationalcharakter völlig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/75>, abgerufen am 23.07.2024.