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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarivinismus

Um Gott kommen wir -- das gestehen, wie wir gesehen haben, auch die
Besonnenen unter den Darwinianern zu -- auf keinen Fall herum, wir haben
nur die Wahl, ob wir ihn durch die Villardkugelhypothese streng auf den
Uranfang beschränken oder in der Welt allezeit leben, in jedem Punkte gegen¬
wärtig sein und wirken lassen Wollen. Bei jeder dieser beiden Hypothesen
wird die Fülle der Schöpfungswunder auf ein einziges zurückgeführt, das Gott
heißt; aber die zweite, wonach die im Entwicklungsprozeß allezeit gegenwärtige
Grundursache die Geschöpfe sozusagen jedesmal hinaushebt, wenn eine höhere
Stufe erklommen werden soll, macht unsern Kopf nicht in dem Maße schwindeln
wie die Annahme, daß aus einem rein mechanischen Atomenspiel nicht bloß
die Figuren des Sternhimmels, sondern auch die Geschlechter der Tiere, die
bewußten Gehirne und die Ite der Arbeitsbienen hervorgegangen seien. Zudem
spielt der in Ruhestand versetzte Gott, den sich ein kindliches Gemüt doch wohl
nur als einen Großpapa vorstellen könnte, der abseits vom Weltgetümmel
sitzend sein Pfeifchen schmaucht, eine lächerliche Rolle, und wo soll er nun
eigentlich sitzen, wenn er nicht drin steckt in der Welt? Oder die Welt in
ihm, wie es sich Paulus vorstellt: in ihm leben, weben und sind wir. Nach¬
dem Anaxcigvms einmal den i^vL als die weltbildende Kraft erkannt hat, muß
jeder Versuch, ohne ihn mit blind wirkenden Kräften auszukommen, als ein
Rückschritt angesehen werden. Über Hartmann, bei dem wir nur die eine
Vorstellung vom unbewußten vo5g absurd finden, urteilt Weismann (Studien II,
284): "Mit Recht wird er zu denjenigen Philosophen gezählt, die mit einer
vielseitigen naturwissenschaftlichen Ausrüstung an diese Fragen herantreten.
Dennoch läßt sich gerade an seinem Beispiel erkennen, wie schwierig, ja
geradezu unmöglich es ist, die von der Naturforschung gelieferten Thatsachen
in ihrem wahren Werte zu erkennen, wenn man eben nur die Resultate in sich
aufzunehmen strebt, ohne die Methode ihrer Erlangung selbst ausgeübt zu haben,
ohne also auf einem der berührten naturwissenschaftlichen Gebiete durch eigne
Forschung vollständig zu Hause zu sein." Aber die Anstrengungen, die
Weismann macht, Hartmann einen Irrtum oder wenigstens eine falsche oder
auch nur schiefe Auffassung naturwissenschaftlicher Thatsachen nachzuweisen,
scheinen uns gänzlich mißlungen zu sein, und daß jeder Mechanismus einen
Mechanikus voraussetzt, wie Hartmann bewiesen hat, sieht er sich gezwungen,
anzuerkennen. Aus scheint es vielmehr, als ob die anhaltende Vertiefung in
naturwissenschaftliche Einzelheiten die Fähigkeit schwächte, den Zusammenhang
der Dinge im großen wahrzunehmen, und als ob die Freude über eine kleine
Veränderung, die man durch Einwirkung auf Tiere hervorgebracht hat (wie
denn Weismann z. V. eine Sommerbrut saisondimorpher Schmetterlinge durch
Kälte in die Wiuterform verwandelt hat), dazu verführte, den Wert solcher
Einwirkungen zu überschätzen. Und was könnte es der Naturwissenschaft helfen,
wenn nicht einmal ein scharfsinniger Philosoph imstande wäre, ihre Ergebnisse


vom Neudarivinismus

Um Gott kommen wir — das gestehen, wie wir gesehen haben, auch die
Besonnenen unter den Darwinianern zu — auf keinen Fall herum, wir haben
nur die Wahl, ob wir ihn durch die Villardkugelhypothese streng auf den
Uranfang beschränken oder in der Welt allezeit leben, in jedem Punkte gegen¬
wärtig sein und wirken lassen Wollen. Bei jeder dieser beiden Hypothesen
wird die Fülle der Schöpfungswunder auf ein einziges zurückgeführt, das Gott
heißt; aber die zweite, wonach die im Entwicklungsprozeß allezeit gegenwärtige
Grundursache die Geschöpfe sozusagen jedesmal hinaushebt, wenn eine höhere
Stufe erklommen werden soll, macht unsern Kopf nicht in dem Maße schwindeln
wie die Annahme, daß aus einem rein mechanischen Atomenspiel nicht bloß
die Figuren des Sternhimmels, sondern auch die Geschlechter der Tiere, die
bewußten Gehirne und die Ite der Arbeitsbienen hervorgegangen seien. Zudem
spielt der in Ruhestand versetzte Gott, den sich ein kindliches Gemüt doch wohl
nur als einen Großpapa vorstellen könnte, der abseits vom Weltgetümmel
sitzend sein Pfeifchen schmaucht, eine lächerliche Rolle, und wo soll er nun
eigentlich sitzen, wenn er nicht drin steckt in der Welt? Oder die Welt in
ihm, wie es sich Paulus vorstellt: in ihm leben, weben und sind wir. Nach¬
dem Anaxcigvms einmal den i^vL als die weltbildende Kraft erkannt hat, muß
jeder Versuch, ohne ihn mit blind wirkenden Kräften auszukommen, als ein
Rückschritt angesehen werden. Über Hartmann, bei dem wir nur die eine
Vorstellung vom unbewußten vo5g absurd finden, urteilt Weismann (Studien II,
284): „Mit Recht wird er zu denjenigen Philosophen gezählt, die mit einer
vielseitigen naturwissenschaftlichen Ausrüstung an diese Fragen herantreten.
Dennoch läßt sich gerade an seinem Beispiel erkennen, wie schwierig, ja
geradezu unmöglich es ist, die von der Naturforschung gelieferten Thatsachen
in ihrem wahren Werte zu erkennen, wenn man eben nur die Resultate in sich
aufzunehmen strebt, ohne die Methode ihrer Erlangung selbst ausgeübt zu haben,
ohne also auf einem der berührten naturwissenschaftlichen Gebiete durch eigne
Forschung vollständig zu Hause zu sein." Aber die Anstrengungen, die
Weismann macht, Hartmann einen Irrtum oder wenigstens eine falsche oder
auch nur schiefe Auffassung naturwissenschaftlicher Thatsachen nachzuweisen,
scheinen uns gänzlich mißlungen zu sein, und daß jeder Mechanismus einen
Mechanikus voraussetzt, wie Hartmann bewiesen hat, sieht er sich gezwungen,
anzuerkennen. Aus scheint es vielmehr, als ob die anhaltende Vertiefung in
naturwissenschaftliche Einzelheiten die Fähigkeit schwächte, den Zusammenhang
der Dinge im großen wahrzunehmen, und als ob die Freude über eine kleine
Veränderung, die man durch Einwirkung auf Tiere hervorgebracht hat (wie
denn Weismann z. V. eine Sommerbrut saisondimorpher Schmetterlinge durch
Kälte in die Wiuterform verwandelt hat), dazu verführte, den Wert solcher
Einwirkungen zu überschätzen. Und was könnte es der Naturwissenschaft helfen,
wenn nicht einmal ein scharfsinniger Philosoph imstande wäre, ihre Ergebnisse


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[0620] vom Neudarivinismus Um Gott kommen wir — das gestehen, wie wir gesehen haben, auch die Besonnenen unter den Darwinianern zu — auf keinen Fall herum, wir haben nur die Wahl, ob wir ihn durch die Villardkugelhypothese streng auf den Uranfang beschränken oder in der Welt allezeit leben, in jedem Punkte gegen¬ wärtig sein und wirken lassen Wollen. Bei jeder dieser beiden Hypothesen wird die Fülle der Schöpfungswunder auf ein einziges zurückgeführt, das Gott heißt; aber die zweite, wonach die im Entwicklungsprozeß allezeit gegenwärtige Grundursache die Geschöpfe sozusagen jedesmal hinaushebt, wenn eine höhere Stufe erklommen werden soll, macht unsern Kopf nicht in dem Maße schwindeln wie die Annahme, daß aus einem rein mechanischen Atomenspiel nicht bloß die Figuren des Sternhimmels, sondern auch die Geschlechter der Tiere, die bewußten Gehirne und die Ite der Arbeitsbienen hervorgegangen seien. Zudem spielt der in Ruhestand versetzte Gott, den sich ein kindliches Gemüt doch wohl nur als einen Großpapa vorstellen könnte, der abseits vom Weltgetümmel sitzend sein Pfeifchen schmaucht, eine lächerliche Rolle, und wo soll er nun eigentlich sitzen, wenn er nicht drin steckt in der Welt? Oder die Welt in ihm, wie es sich Paulus vorstellt: in ihm leben, weben und sind wir. Nach¬ dem Anaxcigvms einmal den i^vL als die weltbildende Kraft erkannt hat, muß jeder Versuch, ohne ihn mit blind wirkenden Kräften auszukommen, als ein Rückschritt angesehen werden. Über Hartmann, bei dem wir nur die eine Vorstellung vom unbewußten vo5g absurd finden, urteilt Weismann (Studien II, 284): „Mit Recht wird er zu denjenigen Philosophen gezählt, die mit einer vielseitigen naturwissenschaftlichen Ausrüstung an diese Fragen herantreten. Dennoch läßt sich gerade an seinem Beispiel erkennen, wie schwierig, ja geradezu unmöglich es ist, die von der Naturforschung gelieferten Thatsachen in ihrem wahren Werte zu erkennen, wenn man eben nur die Resultate in sich aufzunehmen strebt, ohne die Methode ihrer Erlangung selbst ausgeübt zu haben, ohne also auf einem der berührten naturwissenschaftlichen Gebiete durch eigne Forschung vollständig zu Hause zu sein." Aber die Anstrengungen, die Weismann macht, Hartmann einen Irrtum oder wenigstens eine falsche oder auch nur schiefe Auffassung naturwissenschaftlicher Thatsachen nachzuweisen, scheinen uns gänzlich mißlungen zu sein, und daß jeder Mechanismus einen Mechanikus voraussetzt, wie Hartmann bewiesen hat, sieht er sich gezwungen, anzuerkennen. Aus scheint es vielmehr, als ob die anhaltende Vertiefung in naturwissenschaftliche Einzelheiten die Fähigkeit schwächte, den Zusammenhang der Dinge im großen wahrzunehmen, und als ob die Freude über eine kleine Veränderung, die man durch Einwirkung auf Tiere hervorgebracht hat (wie denn Weismann z. V. eine Sommerbrut saisondimorpher Schmetterlinge durch Kälte in die Wiuterform verwandelt hat), dazu verführte, den Wert solcher Einwirkungen zu überschätzen. Und was könnte es der Naturwissenschaft helfen, wenn nicht einmal ein scharfsinniger Philosoph imstande wäre, ihre Ergebnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/620>, abgerufen am 23.07.2024.