Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.vom Neudarwinismus unter einander um die Daseinsbedingungen gehandelt haben kann, sondern nur Die mechanische Naturerklärung gewährt den großen Vorteil, daß sie dazu vom Neudarwinismus unter einander um die Daseinsbedingungen gehandelt haben kann, sondern nur Die mechanische Naturerklärung gewährt den großen Vorteil, daß sie dazu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0619" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225547"/> <fw type="header" place="top"> vom Neudarwinismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1931" prev="#ID_1930"> unter einander um die Daseinsbedingungen gehandelt haben kann, sondern nur<lb/> um einen Kampf zwischen Bienenvölkern. Sind die Urahnen der Bienen un¬<lb/> politische Insekten gewesen, so müssen Gesellschaften von solchen, durch uns<lb/> unbekannte Einflüsse genötigt, einen Anfang von Arbeitsteilung gemacht, einzelne<lb/> Weibchen müssen arbeiten gelernt, zwischen den arbeitenden und nicht arbeitenden<lb/> Weibchen müssen sich anatomische und physiologische Unterschiede gebildet haben,<lb/> diese Arbeitsteilung und die Verminderung der nicht arbeitenden Weibchen<lb/> muß den so organisirten Bienenvölkern ein Übergewicht über die einzeln lebenden<lb/> Bienen und über die mit mehrern wirklichen Weibchen behafteten Völker ver¬<lb/> liehen haben, bis endlich dieser heutige wunderbare Bienenstaat herausgekommen<lb/> ist! Erscheint es nicht viel wahrscheinlicher, daß die bienenartigen Insekten<lb/> unter Umständen, die ihr Fortkommen erschwerten, eher untergegangen wären,<lb/> als daß der blinde Drang und Zwang jener Umstände diesen wunder¬<lb/> baren Bienenstaat hervorgebracht hätte, von dem noch weit wunderbareren<lb/> Arbeiterinnenid gar nicht zu sprechen? Ist es denn reiner Unsinn, das<lb/> Dichterwort: Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild ge¬<lb/> stalten?</p><lb/> <p xml:id="ID_1932"> Die mechanische Naturerklärung gewährt den großen Vorteil, daß sie dazu<lb/> nötigt, alle Erscheinungen so weit wie möglich auf die mechanische Bewegung<lb/> der Körper und die Molekularbewegung ihrer kleinsten Teile zurückzuführen,<lb/> und diese Zurückführung ist sicherlich in einem weit größern Umfange möglich,<lb/> als es von vornherein scheint; der Anhänger der mechanischen Weltansicht<lb/> wird also weit mehr entdecken als ein Anhänger der Schöpfungstheorie, der<lb/> sich an der Auskunft: unser Herrgott hat alles gemacht, genügen läßt und<lb/> daher meint, es gebe gar nichts zu entdecken. Und deshalb ist für den Fort¬<lb/> schritt der Wissenschaften der Atheismus eine Notwendigkeit gewesen, der das<lb/> Ruhekissen des Glaubens verschmäht und kühn daran geht, die Welt und ihre<lb/> Entstehung zu erklären. Das bringt er nun freilich nicht fertig, und er ver¬<lb/> liert sich in Phantasien, die oft nicht sehr verschieden sind von mythologischen<lb/> Fabeln, und deren Verbreitung und allgemeine Annahme eine neue Art von<lb/> Gläubigkeit erfordert. Aber auf dem Wege zum unerreichbaren Ziele findet<lb/> er unzählige schöne und nützliche Dinge, die ohne solche Überschätzung der<lb/> Kraft der Menschenvernunft nicht gefunden worden wären. So ist denn die<lb/> Hypothese nützlich und notwendig, aber wie sehr widerstreben doch der Reich¬<lb/> tum und die Tiefe des organischen Lebens ihrer Durchführung bis ans Ende!<lb/> Wie viel natürlicher mutet uns Goethes Ansicht an!</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_16" type="poem"> <l/> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0619]
vom Neudarwinismus
unter einander um die Daseinsbedingungen gehandelt haben kann, sondern nur
um einen Kampf zwischen Bienenvölkern. Sind die Urahnen der Bienen un¬
politische Insekten gewesen, so müssen Gesellschaften von solchen, durch uns
unbekannte Einflüsse genötigt, einen Anfang von Arbeitsteilung gemacht, einzelne
Weibchen müssen arbeiten gelernt, zwischen den arbeitenden und nicht arbeitenden
Weibchen müssen sich anatomische und physiologische Unterschiede gebildet haben,
diese Arbeitsteilung und die Verminderung der nicht arbeitenden Weibchen
muß den so organisirten Bienenvölkern ein Übergewicht über die einzeln lebenden
Bienen und über die mit mehrern wirklichen Weibchen behafteten Völker ver¬
liehen haben, bis endlich dieser heutige wunderbare Bienenstaat herausgekommen
ist! Erscheint es nicht viel wahrscheinlicher, daß die bienenartigen Insekten
unter Umständen, die ihr Fortkommen erschwerten, eher untergegangen wären,
als daß der blinde Drang und Zwang jener Umstände diesen wunder¬
baren Bienenstaat hervorgebracht hätte, von dem noch weit wunderbareren
Arbeiterinnenid gar nicht zu sprechen? Ist es denn reiner Unsinn, das
Dichterwort: Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild ge¬
stalten?
Die mechanische Naturerklärung gewährt den großen Vorteil, daß sie dazu
nötigt, alle Erscheinungen so weit wie möglich auf die mechanische Bewegung
der Körper und die Molekularbewegung ihrer kleinsten Teile zurückzuführen,
und diese Zurückführung ist sicherlich in einem weit größern Umfange möglich,
als es von vornherein scheint; der Anhänger der mechanischen Weltansicht
wird also weit mehr entdecken als ein Anhänger der Schöpfungstheorie, der
sich an der Auskunft: unser Herrgott hat alles gemacht, genügen läßt und
daher meint, es gebe gar nichts zu entdecken. Und deshalb ist für den Fort¬
schritt der Wissenschaften der Atheismus eine Notwendigkeit gewesen, der das
Ruhekissen des Glaubens verschmäht und kühn daran geht, die Welt und ihre
Entstehung zu erklären. Das bringt er nun freilich nicht fertig, und er ver¬
liert sich in Phantasien, die oft nicht sehr verschieden sind von mythologischen
Fabeln, und deren Verbreitung und allgemeine Annahme eine neue Art von
Gläubigkeit erfordert. Aber auf dem Wege zum unerreichbaren Ziele findet
er unzählige schöne und nützliche Dinge, die ohne solche Überschätzung der
Kraft der Menschenvernunft nicht gefunden worden wären. So ist denn die
Hypothese nützlich und notwendig, aber wie sehr widerstreben doch der Reich¬
tum und die Tiefe des organischen Lebens ihrer Durchführung bis ans Ende!
Wie viel natürlicher mutet uns Goethes Ansicht an!
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