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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

Weismann stellt selbst die Frage, macht sich aber die Antwort sehr leicht.
Bei Streifen, meint er, könnten die Anfangsstufen nicht sehr von der aus¬
gebildeten Form verschieden gewesen sein, und "schon der erste Anfang einer
Streifung muß nützlich gewesen sein, denn er zerlegte für das Auge des Be¬
schauers bereits die große auffällige Fläche des Raupenkvrpers in mehrere
Stücke und machte sie dadurch weniger auffallend." (Studien zur Descendenz¬
theorie II, 126.) Das scheint uns denn doch eine sehr leichtfertige Antwort
zu sein. Wenn an der Haut grünes Pigment zu verschwinden anfängt (wo
weiße Streifen entstehen sollen) oder andersfarbiges sich ansammelt, muß dann
diese Ansammlung sofort zwei parallele Streifen zu beiden Seiten des Rückens
bilden? Nennt man das im Kreise gewissenhafter Naturforscher, die mit un¬
endlich langen Zeiträumen und mit unendlich kleinen Änderungen rechnen, ein
Anfangsstadium? Unsrer Ansicht nach würden Jahrtausende dazu gehören,
um eine so regelmäßige Zeichnung, wie zwei parallele Striche längs des ganzen
Körpers sind, auf Darwinischen Wegen hervorzubringen, und den Anfang könnte
nicht gleich ein sichtbares Linienpaar, sondern nur ein einzelnes oder eine kleine
Gruppe einzelner unwahruehmbarer Pünktchen gemacht haben, und diese hätten
eben keinen Schutz gewährt. Schreibt doch Weismann selbst (Über Leben und
Tod S. 47): "Wenn wir also überhaupt einmal das Selektivnsprinzip an¬
nehmen, dann müssen wir auch zugestehen, daß es in der That neues schaffen
kann, wenn anch nicht plötzlich und unvermittelt, sondern immer nur in
kleinsten Stufen pu Original gesperrt gedruckt^ und auf Grundlage der ge¬
gebnen Abänderungen. Diese können nur als kleinste, und wie ich kürzlich zu
zeigen versuchte, nur als quantitative gedacht werden, und erst durch ihre
Häufung kommen große Abänderungen zu stände, d. h. solche, welche auch
uus auffällig werden, und die wir als etwas Neues bezeichnen." Die roten
Punkte, aus denen sich später die Schreckaugen entwickelt haben, sollen an¬
fänglich durch ihre Ähnlichkeit mit Beeren geschützt haben. Ja, wenn nnr der
Anfang, den man sich doch unmerklich zu denken hat, schon den Eindruck einer
Beere gemacht hätte! Allerdings kommt der Zuchtwahl nach Weismann noch
eine andre Kraft zu Hilfe: die Korrelation: "jene im Innern des Körpers
waltende Gesetzmäßigkeit, durch welche ^nach welcher!^ kein Teil verändert
werden kann, ohne eine gewisse Wirkung auf andre Teile auszuüben: das
innere Bildungsgesetz oder Wachstumsgesetz." (Studien II, S. 136.) Diese
Korrelation soll bewirken, daß, wenn auf dem ersten oder dem letzten der
"erbringe der Raupe Flecken entstanden sind, die Zeichnung sich allmählich auf
die übrigen Ringe fortsetzt. Diese Fleckenreihen fließen dann unter Umständen
zusammen und bilden Säume. Wir wollen hier noch nicht fragen, wie ein
solches Bildungsgesetz auf natürlichem Wege entstehen konnte. Begreiflich
finden wir es in solchen Füllen, wie sie schon Goethe hervorgehoben hat.
Der Magen z. B. und die Kinnladen mit dem Gebiß stehen in einer not-


vom Neudarwinismus

Weismann stellt selbst die Frage, macht sich aber die Antwort sehr leicht.
Bei Streifen, meint er, könnten die Anfangsstufen nicht sehr von der aus¬
gebildeten Form verschieden gewesen sein, und „schon der erste Anfang einer
Streifung muß nützlich gewesen sein, denn er zerlegte für das Auge des Be¬
schauers bereits die große auffällige Fläche des Raupenkvrpers in mehrere
Stücke und machte sie dadurch weniger auffallend." (Studien zur Descendenz¬
theorie II, 126.) Das scheint uns denn doch eine sehr leichtfertige Antwort
zu sein. Wenn an der Haut grünes Pigment zu verschwinden anfängt (wo
weiße Streifen entstehen sollen) oder andersfarbiges sich ansammelt, muß dann
diese Ansammlung sofort zwei parallele Streifen zu beiden Seiten des Rückens
bilden? Nennt man das im Kreise gewissenhafter Naturforscher, die mit un¬
endlich langen Zeiträumen und mit unendlich kleinen Änderungen rechnen, ein
Anfangsstadium? Unsrer Ansicht nach würden Jahrtausende dazu gehören,
um eine so regelmäßige Zeichnung, wie zwei parallele Striche längs des ganzen
Körpers sind, auf Darwinischen Wegen hervorzubringen, und den Anfang könnte
nicht gleich ein sichtbares Linienpaar, sondern nur ein einzelnes oder eine kleine
Gruppe einzelner unwahruehmbarer Pünktchen gemacht haben, und diese hätten
eben keinen Schutz gewährt. Schreibt doch Weismann selbst (Über Leben und
Tod S. 47): „Wenn wir also überhaupt einmal das Selektivnsprinzip an¬
nehmen, dann müssen wir auch zugestehen, daß es in der That neues schaffen
kann, wenn anch nicht plötzlich und unvermittelt, sondern immer nur in
kleinsten Stufen pu Original gesperrt gedruckt^ und auf Grundlage der ge¬
gebnen Abänderungen. Diese können nur als kleinste, und wie ich kürzlich zu
zeigen versuchte, nur als quantitative gedacht werden, und erst durch ihre
Häufung kommen große Abänderungen zu stände, d. h. solche, welche auch
uus auffällig werden, und die wir als etwas Neues bezeichnen." Die roten
Punkte, aus denen sich später die Schreckaugen entwickelt haben, sollen an¬
fänglich durch ihre Ähnlichkeit mit Beeren geschützt haben. Ja, wenn nnr der
Anfang, den man sich doch unmerklich zu denken hat, schon den Eindruck einer
Beere gemacht hätte! Allerdings kommt der Zuchtwahl nach Weismann noch
eine andre Kraft zu Hilfe: die Korrelation: „jene im Innern des Körpers
waltende Gesetzmäßigkeit, durch welche ^nach welcher!^ kein Teil verändert
werden kann, ohne eine gewisse Wirkung auf andre Teile auszuüben: das
innere Bildungsgesetz oder Wachstumsgesetz." (Studien II, S. 136.) Diese
Korrelation soll bewirken, daß, wenn auf dem ersten oder dem letzten der
«erbringe der Raupe Flecken entstanden sind, die Zeichnung sich allmählich auf
die übrigen Ringe fortsetzt. Diese Fleckenreihen fließen dann unter Umständen
zusammen und bilden Säume. Wir wollen hier noch nicht fragen, wie ein
solches Bildungsgesetz auf natürlichem Wege entstehen konnte. Begreiflich
finden wir es in solchen Füllen, wie sie schon Goethe hervorgehoben hat.
Der Magen z. B. und die Kinnladen mit dem Gebiß stehen in einer not-


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[0567] vom Neudarwinismus Weismann stellt selbst die Frage, macht sich aber die Antwort sehr leicht. Bei Streifen, meint er, könnten die Anfangsstufen nicht sehr von der aus¬ gebildeten Form verschieden gewesen sein, und „schon der erste Anfang einer Streifung muß nützlich gewesen sein, denn er zerlegte für das Auge des Be¬ schauers bereits die große auffällige Fläche des Raupenkvrpers in mehrere Stücke und machte sie dadurch weniger auffallend." (Studien zur Descendenz¬ theorie II, 126.) Das scheint uns denn doch eine sehr leichtfertige Antwort zu sein. Wenn an der Haut grünes Pigment zu verschwinden anfängt (wo weiße Streifen entstehen sollen) oder andersfarbiges sich ansammelt, muß dann diese Ansammlung sofort zwei parallele Streifen zu beiden Seiten des Rückens bilden? Nennt man das im Kreise gewissenhafter Naturforscher, die mit un¬ endlich langen Zeiträumen und mit unendlich kleinen Änderungen rechnen, ein Anfangsstadium? Unsrer Ansicht nach würden Jahrtausende dazu gehören, um eine so regelmäßige Zeichnung, wie zwei parallele Striche längs des ganzen Körpers sind, auf Darwinischen Wegen hervorzubringen, und den Anfang könnte nicht gleich ein sichtbares Linienpaar, sondern nur ein einzelnes oder eine kleine Gruppe einzelner unwahruehmbarer Pünktchen gemacht haben, und diese hätten eben keinen Schutz gewährt. Schreibt doch Weismann selbst (Über Leben und Tod S. 47): „Wenn wir also überhaupt einmal das Selektivnsprinzip an¬ nehmen, dann müssen wir auch zugestehen, daß es in der That neues schaffen kann, wenn anch nicht plötzlich und unvermittelt, sondern immer nur in kleinsten Stufen pu Original gesperrt gedruckt^ und auf Grundlage der ge¬ gebnen Abänderungen. Diese können nur als kleinste, und wie ich kürzlich zu zeigen versuchte, nur als quantitative gedacht werden, und erst durch ihre Häufung kommen große Abänderungen zu stände, d. h. solche, welche auch uus auffällig werden, und die wir als etwas Neues bezeichnen." Die roten Punkte, aus denen sich später die Schreckaugen entwickelt haben, sollen an¬ fänglich durch ihre Ähnlichkeit mit Beeren geschützt haben. Ja, wenn nnr der Anfang, den man sich doch unmerklich zu denken hat, schon den Eindruck einer Beere gemacht hätte! Allerdings kommt der Zuchtwahl nach Weismann noch eine andre Kraft zu Hilfe: die Korrelation: „jene im Innern des Körpers waltende Gesetzmäßigkeit, durch welche ^nach welcher!^ kein Teil verändert werden kann, ohne eine gewisse Wirkung auf andre Teile auszuüben: das innere Bildungsgesetz oder Wachstumsgesetz." (Studien II, S. 136.) Diese Korrelation soll bewirken, daß, wenn auf dem ersten oder dem letzten der «erbringe der Raupe Flecken entstanden sind, die Zeichnung sich allmählich auf die übrigen Ringe fortsetzt. Diese Fleckenreihen fließen dann unter Umständen zusammen und bilden Säume. Wir wollen hier noch nicht fragen, wie ein solches Bildungsgesetz auf natürlichem Wege entstehen konnte. Begreiflich finden wir es in solchen Füllen, wie sie schon Goethe hervorgehoben hat. Der Magen z. B. und die Kinnladen mit dem Gebiß stehen in einer not-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/567>, abgerufen am 23.07.2024.