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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Vom Neudarrvinismus

Verwendung der Nährstoffe zur Bildung eines vordem nicht vorhandnen
Körperteils! Würde ein Mensch Erfolg haben, wenn er durch beharrliche
Willensenergie einen Teil der Knochensubstanz, die er in seinen Nahrungsmitteln
aufnimmt, auf die Haut überleiten und ein hörnen Siegfried werden wollte?
Und wie kommt es, daß nur einige, nicht einmal die meisten Saurierarten
gepanzert sind? Leben die ungepanzerten nicht in denselben Gegenden wie die
gepanzerten, und finden sie nicht die zum Aufbau eines Panzers erforderlichen
Stoffe, Kalk, Phosphorsäure, Kieselsäure, ebenso gut und reichlich in ihrer
Umgebung? Nachdem der Prozeß der Panzerbildung bei einer Saurierart
eingeleitet war, hat die Auslese wahrscheinlich sehr viel dazu beigetragen, den
Panzer im Laufe der Zeit zu verstärken, da ohne Zweifel die schwächer ge¬
panzerten Tiere zu einem großen Teile gefressen worden sind, aber den Anfang
zur Pcmzerbildung kann die Auslese nicht gemacht haben, da die erste schwache
Ablagerung noch gar keinen Schutz gewährt hat. Und dabei bleibt nicht allein
unverständlich, warum die Neigung zur Panzerbilduug nicht bei allen Reptilien
gleichmäßig hervorgetreten ist, sondern auch, wie es kommt, daß die ungeschützten
nicht sämtlich zu Grunde gegangen sind, wenn der Panzer zum Schutze nötig
war. Biologisch ist keine dieser Erscheinungen zu erklären; es kann dafür keine
andre Erklärung gefunden werden als ein Schöpferwille, der sowohl gepanzerte
als ungepanzerte Saurier wollte. Sehr hübsch klingt es auch, wenn Dr. R.
von Lendenfeld in einem Feuilleton über die australischen Säugetiere in
Ur. 99 der Frankfurter Zeitung schreibt: "Mit gewaltigen Panzern hatten
sich die Urfische-Keimzellensericn ausgerüstet, um im Konkurrenzkampfe zu siegen,
mit ungeheuer großen und muskelkräftigen Individuen die Keimzellenserien der
mesozoischen Riesenreptilien. Das waren verfehlte Versuche, den dauernden
Sieg vermochten diese nicht an sich zu fesseln. Erst die Keimzellenserie traf
das richtige, die in sich die Tendenz ausbildete, immer tingere Individuen in
auf einanderfolgenden Generationen zu erzeugen, das Gehirn auf Kosten alles
andern stetig zu vergrößern und immer höher zu organisiren. Die mit dieser
Tendenz ausgestattete Keimzellenserie war es, die, durch kleine und schwache
Geschöpfe fortlebend, schließlich über alle jene andern, mit gewaltigen Offenstv-
und Defensivwaffen ausgestatteten, dem Gehirn aber nicht die entsprechende
Bedeutung einräumenden Keimzellensericn siegen mußte und gesiegt hat." Der
nüchterne Kritiker muß dagegen fragen: Wie fängt es eine Keimzellenserie an.
sich die Ausbildung des Gehirns zum Ziele zu setzen? Ein kluger mensch¬
licher Vater hat gewiß den besten Willen, keine andre als kluge Söhne zu
zeugen, aber gelingt es ihm immer? Kann man bei Beuteltieren -- die,
wenn wir nicht irren, in unsrer Ahnenreihe eine wichtige Rolle spielen --
auch nur einen solchen Willen voraussetzen? Und was würde ihr Wille für
einen Einfluß auf ihre Keimzellen haben? Und ist es denn die Klugheit der
heutigen Tierarten gewesen, was die Niesensaurier in die Kreide gelegt hat,


Vom Neudarrvinismus

Verwendung der Nährstoffe zur Bildung eines vordem nicht vorhandnen
Körperteils! Würde ein Mensch Erfolg haben, wenn er durch beharrliche
Willensenergie einen Teil der Knochensubstanz, die er in seinen Nahrungsmitteln
aufnimmt, auf die Haut überleiten und ein hörnen Siegfried werden wollte?
Und wie kommt es, daß nur einige, nicht einmal die meisten Saurierarten
gepanzert sind? Leben die ungepanzerten nicht in denselben Gegenden wie die
gepanzerten, und finden sie nicht die zum Aufbau eines Panzers erforderlichen
Stoffe, Kalk, Phosphorsäure, Kieselsäure, ebenso gut und reichlich in ihrer
Umgebung? Nachdem der Prozeß der Panzerbildung bei einer Saurierart
eingeleitet war, hat die Auslese wahrscheinlich sehr viel dazu beigetragen, den
Panzer im Laufe der Zeit zu verstärken, da ohne Zweifel die schwächer ge¬
panzerten Tiere zu einem großen Teile gefressen worden sind, aber den Anfang
zur Pcmzerbildung kann die Auslese nicht gemacht haben, da die erste schwache
Ablagerung noch gar keinen Schutz gewährt hat. Und dabei bleibt nicht allein
unverständlich, warum die Neigung zur Panzerbilduug nicht bei allen Reptilien
gleichmäßig hervorgetreten ist, sondern auch, wie es kommt, daß die ungeschützten
nicht sämtlich zu Grunde gegangen sind, wenn der Panzer zum Schutze nötig
war. Biologisch ist keine dieser Erscheinungen zu erklären; es kann dafür keine
andre Erklärung gefunden werden als ein Schöpferwille, der sowohl gepanzerte
als ungepanzerte Saurier wollte. Sehr hübsch klingt es auch, wenn Dr. R.
von Lendenfeld in einem Feuilleton über die australischen Säugetiere in
Ur. 99 der Frankfurter Zeitung schreibt: „Mit gewaltigen Panzern hatten
sich die Urfische-Keimzellensericn ausgerüstet, um im Konkurrenzkampfe zu siegen,
mit ungeheuer großen und muskelkräftigen Individuen die Keimzellenserien der
mesozoischen Riesenreptilien. Das waren verfehlte Versuche, den dauernden
Sieg vermochten diese nicht an sich zu fesseln. Erst die Keimzellenserie traf
das richtige, die in sich die Tendenz ausbildete, immer tingere Individuen in
auf einanderfolgenden Generationen zu erzeugen, das Gehirn auf Kosten alles
andern stetig zu vergrößern und immer höher zu organisiren. Die mit dieser
Tendenz ausgestattete Keimzellenserie war es, die, durch kleine und schwache
Geschöpfe fortlebend, schließlich über alle jene andern, mit gewaltigen Offenstv-
und Defensivwaffen ausgestatteten, dem Gehirn aber nicht die entsprechende
Bedeutung einräumenden Keimzellensericn siegen mußte und gesiegt hat." Der
nüchterne Kritiker muß dagegen fragen: Wie fängt es eine Keimzellenserie an.
sich die Ausbildung des Gehirns zum Ziele zu setzen? Ein kluger mensch¬
licher Vater hat gewiß den besten Willen, keine andre als kluge Söhne zu
zeugen, aber gelingt es ihm immer? Kann man bei Beuteltieren — die,
wenn wir nicht irren, in unsrer Ahnenreihe eine wichtige Rolle spielen —
auch nur einen solchen Willen voraussetzen? Und was würde ihr Wille für
einen Einfluß auf ihre Keimzellen haben? Und ist es denn die Klugheit der
heutigen Tierarten gewesen, was die Niesensaurier in die Kreide gelegt hat,


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[0564] Vom Neudarrvinismus Verwendung der Nährstoffe zur Bildung eines vordem nicht vorhandnen Körperteils! Würde ein Mensch Erfolg haben, wenn er durch beharrliche Willensenergie einen Teil der Knochensubstanz, die er in seinen Nahrungsmitteln aufnimmt, auf die Haut überleiten und ein hörnen Siegfried werden wollte? Und wie kommt es, daß nur einige, nicht einmal die meisten Saurierarten gepanzert sind? Leben die ungepanzerten nicht in denselben Gegenden wie die gepanzerten, und finden sie nicht die zum Aufbau eines Panzers erforderlichen Stoffe, Kalk, Phosphorsäure, Kieselsäure, ebenso gut und reichlich in ihrer Umgebung? Nachdem der Prozeß der Panzerbildung bei einer Saurierart eingeleitet war, hat die Auslese wahrscheinlich sehr viel dazu beigetragen, den Panzer im Laufe der Zeit zu verstärken, da ohne Zweifel die schwächer ge¬ panzerten Tiere zu einem großen Teile gefressen worden sind, aber den Anfang zur Pcmzerbildung kann die Auslese nicht gemacht haben, da die erste schwache Ablagerung noch gar keinen Schutz gewährt hat. Und dabei bleibt nicht allein unverständlich, warum die Neigung zur Panzerbilduug nicht bei allen Reptilien gleichmäßig hervorgetreten ist, sondern auch, wie es kommt, daß die ungeschützten nicht sämtlich zu Grunde gegangen sind, wenn der Panzer zum Schutze nötig war. Biologisch ist keine dieser Erscheinungen zu erklären; es kann dafür keine andre Erklärung gefunden werden als ein Schöpferwille, der sowohl gepanzerte als ungepanzerte Saurier wollte. Sehr hübsch klingt es auch, wenn Dr. R. von Lendenfeld in einem Feuilleton über die australischen Säugetiere in Ur. 99 der Frankfurter Zeitung schreibt: „Mit gewaltigen Panzern hatten sich die Urfische-Keimzellensericn ausgerüstet, um im Konkurrenzkampfe zu siegen, mit ungeheuer großen und muskelkräftigen Individuen die Keimzellenserien der mesozoischen Riesenreptilien. Das waren verfehlte Versuche, den dauernden Sieg vermochten diese nicht an sich zu fesseln. Erst die Keimzellenserie traf das richtige, die in sich die Tendenz ausbildete, immer tingere Individuen in auf einanderfolgenden Generationen zu erzeugen, das Gehirn auf Kosten alles andern stetig zu vergrößern und immer höher zu organisiren. Die mit dieser Tendenz ausgestattete Keimzellenserie war es, die, durch kleine und schwache Geschöpfe fortlebend, schließlich über alle jene andern, mit gewaltigen Offenstv- und Defensivwaffen ausgestatteten, dem Gehirn aber nicht die entsprechende Bedeutung einräumenden Keimzellensericn siegen mußte und gesiegt hat." Der nüchterne Kritiker muß dagegen fragen: Wie fängt es eine Keimzellenserie an. sich die Ausbildung des Gehirns zum Ziele zu setzen? Ein kluger mensch¬ licher Vater hat gewiß den besten Willen, keine andre als kluge Söhne zu zeugen, aber gelingt es ihm immer? Kann man bei Beuteltieren — die, wenn wir nicht irren, in unsrer Ahnenreihe eine wichtige Rolle spielen — auch nur einen solchen Willen voraussetzen? Und was würde ihr Wille für einen Einfluß auf ihre Keimzellen haben? Und ist es denn die Klugheit der heutigen Tierarten gewesen, was die Niesensaurier in die Kreide gelegt hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/564>, abgerufen am 23.07.2024.