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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Stellung und Rechte am Niger

zurück und das Mündungsgebiet des Volta ist englisch. Auch von dieser
Kolonie aus sind in das Togohinterland seit Jahren Expeditionen gesandt
worden, deren deutliche Absicht ist, uns von Westen her zurückzudrängen.
Aus französischer Quelle erfuhr man kürzlich, daß die Engländer ungefähr
gleich weit wie die Deutschen über das neutrale Gebiet hinausgegangen sind.
Unangenehm sür uns und die Franzosen!

Viel bedenklicher ist uns aber England am Niger. Ohne daß wir uns dort
unmittelbar mit ihm berühren, ist unsre allgemeine Lage außerordentlich be¬
schwert durch das Vordringen Englands auf allen freien Seiten im Nigerland
und Sudan. Die Franzosen haben längst dem noch vor zehn Jahren ihnen
vorschwebenden Ideal einer unbeschränkten Herrschaft über den Niger entsagt.
Sie sind überall im Gedränge und überall durch England. Nur ein der ein¬
zigen Stelle nördlich von Togo stoßen sie auch mit deutschen Ansprüchen zu¬
sammen. Was Wunder, daß sie sich wenigstens hier auf Kosten des jüngsten
Wettbewerbs schadlos zu halten suchen sür die Verluste, die ihnen England
auf der ander" Seite zugefügt hat. Die französisch-englische Abmachung be¬
zeichnete Sah am Niger als den Grenzpunkt, wo das auf beiden Nigeruferu
bis zum Ozean und zum Tsadsee sich hinziehende englische Gebiet der Ri^r
^erritoriös abschneidet. Was unterhalb Sah links vom Fluß liegt, ist zweifellos
englisch. Also der schiffbarste Teil des Nigers mit samt dem noch wertvollern
untern linken Nebenfluß BennL ist englisch. Ebenso ist entschieden französisch
das obere Nigergebiet, allerdings noch nicht in so bestimmten Grenzen. Der
französische Anspruch auf den obern und mittlern Niger ist nur ein Teil des
ungemein umfassenden Anspruchs auf ganz Nordwestafrika, sür den der Vertrag
mit England vom 5. August 1890 folgende Grenzen nennt: Algier und Tunis
im Norden, eine Linie von Sah am Niger bis Barrua am Tsadsee im Süden,
und weiter eine Linie von Sah südwestlich zum obern Volta im Hinterland von
Aschanti und zur Mündung des Assinie an der Elfenbeinküste in den Golf von
Guinea. Diese Grenze, die immer nur als Grenze einer Interessensphäre auf¬
zufassen ist, läßt zwischen sich und dem Golf von Guinea den Raum frei, in dem
von Togo und Aschanti aus Deutsche und Engländer ihr Gebiet nach Norden
auszudehnen streben, während sich zwischen die Ostgrenze des deutschen Togo¬
gebietes und die Westgrenze der englischen Al^ör lerriwriss noch der Streifen
von Dahomeh als französisches Gebiet geradeswegs nördlich zum Niger nach
Sah schiebt. Diese Auffassung läßt also keinen Raum für eine Ausdehnung
Deutschlands zum Niger, ist aber auch von Deutschland niemals anerkannt worden.
Vielmehr war gerade das immer anspruchsvollere Auftreten der Engländer und
Franzosen in diesem Teil des Nigergebiets der Grund für die Entsendung der
Grunerschen Expedition von 1394 auf Anregung privater Kreise. In harter
Wettbewerbung mit den Franzosen, die gleichzeitig eine Expedition unter Decoeur
entsandt hatten, gelang es Grüner und seinem Begleiter Leutnant von Carnap,
Verträge in verschiednen wichtigen Centren des Nigerlandes abzuschließen, be-


Deutschlands Stellung und Rechte am Niger

zurück und das Mündungsgebiet des Volta ist englisch. Auch von dieser
Kolonie aus sind in das Togohinterland seit Jahren Expeditionen gesandt
worden, deren deutliche Absicht ist, uns von Westen her zurückzudrängen.
Aus französischer Quelle erfuhr man kürzlich, daß die Engländer ungefähr
gleich weit wie die Deutschen über das neutrale Gebiet hinausgegangen sind.
Unangenehm sür uns und die Franzosen!

Viel bedenklicher ist uns aber England am Niger. Ohne daß wir uns dort
unmittelbar mit ihm berühren, ist unsre allgemeine Lage außerordentlich be¬
schwert durch das Vordringen Englands auf allen freien Seiten im Nigerland
und Sudan. Die Franzosen haben längst dem noch vor zehn Jahren ihnen
vorschwebenden Ideal einer unbeschränkten Herrschaft über den Niger entsagt.
Sie sind überall im Gedränge und überall durch England. Nur ein der ein¬
zigen Stelle nördlich von Togo stoßen sie auch mit deutschen Ansprüchen zu¬
sammen. Was Wunder, daß sie sich wenigstens hier auf Kosten des jüngsten
Wettbewerbs schadlos zu halten suchen sür die Verluste, die ihnen England
auf der ander« Seite zugefügt hat. Die französisch-englische Abmachung be¬
zeichnete Sah am Niger als den Grenzpunkt, wo das auf beiden Nigeruferu
bis zum Ozean und zum Tsadsee sich hinziehende englische Gebiet der Ri^r
^erritoriös abschneidet. Was unterhalb Sah links vom Fluß liegt, ist zweifellos
englisch. Also der schiffbarste Teil des Nigers mit samt dem noch wertvollern
untern linken Nebenfluß BennL ist englisch. Ebenso ist entschieden französisch
das obere Nigergebiet, allerdings noch nicht in so bestimmten Grenzen. Der
französische Anspruch auf den obern und mittlern Niger ist nur ein Teil des
ungemein umfassenden Anspruchs auf ganz Nordwestafrika, sür den der Vertrag
mit England vom 5. August 1890 folgende Grenzen nennt: Algier und Tunis
im Norden, eine Linie von Sah am Niger bis Barrua am Tsadsee im Süden,
und weiter eine Linie von Sah südwestlich zum obern Volta im Hinterland von
Aschanti und zur Mündung des Assinie an der Elfenbeinküste in den Golf von
Guinea. Diese Grenze, die immer nur als Grenze einer Interessensphäre auf¬
zufassen ist, läßt zwischen sich und dem Golf von Guinea den Raum frei, in dem
von Togo und Aschanti aus Deutsche und Engländer ihr Gebiet nach Norden
auszudehnen streben, während sich zwischen die Ostgrenze des deutschen Togo¬
gebietes und die Westgrenze der englischen Al^ör lerriwriss noch der Streifen
von Dahomeh als französisches Gebiet geradeswegs nördlich zum Niger nach
Sah schiebt. Diese Auffassung läßt also keinen Raum für eine Ausdehnung
Deutschlands zum Niger, ist aber auch von Deutschland niemals anerkannt worden.
Vielmehr war gerade das immer anspruchsvollere Auftreten der Engländer und
Franzosen in diesem Teil des Nigergebiets der Grund für die Entsendung der
Grunerschen Expedition von 1394 auf Anregung privater Kreise. In harter
Wettbewerbung mit den Franzosen, die gleichzeitig eine Expedition unter Decoeur
entsandt hatten, gelang es Grüner und seinem Begleiter Leutnant von Carnap,
Verträge in verschiednen wichtigen Centren des Nigerlandes abzuschließen, be-


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[0558] Deutschlands Stellung und Rechte am Niger zurück und das Mündungsgebiet des Volta ist englisch. Auch von dieser Kolonie aus sind in das Togohinterland seit Jahren Expeditionen gesandt worden, deren deutliche Absicht ist, uns von Westen her zurückzudrängen. Aus französischer Quelle erfuhr man kürzlich, daß die Engländer ungefähr gleich weit wie die Deutschen über das neutrale Gebiet hinausgegangen sind. Unangenehm sür uns und die Franzosen! Viel bedenklicher ist uns aber England am Niger. Ohne daß wir uns dort unmittelbar mit ihm berühren, ist unsre allgemeine Lage außerordentlich be¬ schwert durch das Vordringen Englands auf allen freien Seiten im Nigerland und Sudan. Die Franzosen haben längst dem noch vor zehn Jahren ihnen vorschwebenden Ideal einer unbeschränkten Herrschaft über den Niger entsagt. Sie sind überall im Gedränge und überall durch England. Nur ein der ein¬ zigen Stelle nördlich von Togo stoßen sie auch mit deutschen Ansprüchen zu¬ sammen. Was Wunder, daß sie sich wenigstens hier auf Kosten des jüngsten Wettbewerbs schadlos zu halten suchen sür die Verluste, die ihnen England auf der ander« Seite zugefügt hat. Die französisch-englische Abmachung be¬ zeichnete Sah am Niger als den Grenzpunkt, wo das auf beiden Nigeruferu bis zum Ozean und zum Tsadsee sich hinziehende englische Gebiet der Ri^r ^erritoriös abschneidet. Was unterhalb Sah links vom Fluß liegt, ist zweifellos englisch. Also der schiffbarste Teil des Nigers mit samt dem noch wertvollern untern linken Nebenfluß BennL ist englisch. Ebenso ist entschieden französisch das obere Nigergebiet, allerdings noch nicht in so bestimmten Grenzen. Der französische Anspruch auf den obern und mittlern Niger ist nur ein Teil des ungemein umfassenden Anspruchs auf ganz Nordwestafrika, sür den der Vertrag mit England vom 5. August 1890 folgende Grenzen nennt: Algier und Tunis im Norden, eine Linie von Sah am Niger bis Barrua am Tsadsee im Süden, und weiter eine Linie von Sah südwestlich zum obern Volta im Hinterland von Aschanti und zur Mündung des Assinie an der Elfenbeinküste in den Golf von Guinea. Diese Grenze, die immer nur als Grenze einer Interessensphäre auf¬ zufassen ist, läßt zwischen sich und dem Golf von Guinea den Raum frei, in dem von Togo und Aschanti aus Deutsche und Engländer ihr Gebiet nach Norden auszudehnen streben, während sich zwischen die Ostgrenze des deutschen Togo¬ gebietes und die Westgrenze der englischen Al^ör lerriwriss noch der Streifen von Dahomeh als französisches Gebiet geradeswegs nördlich zum Niger nach Sah schiebt. Diese Auffassung läßt also keinen Raum für eine Ausdehnung Deutschlands zum Niger, ist aber auch von Deutschland niemals anerkannt worden. Vielmehr war gerade das immer anspruchsvollere Auftreten der Engländer und Franzosen in diesem Teil des Nigergebiets der Grund für die Entsendung der Grunerschen Expedition von 1394 auf Anregung privater Kreise. In harter Wettbewerbung mit den Franzosen, die gleichzeitig eine Expedition unter Decoeur entsandt hatten, gelang es Grüner und seinem Begleiter Leutnant von Carnap, Verträge in verschiednen wichtigen Centren des Nigerlandes abzuschließen, be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/558>, abgerufen am 23.07.2024.