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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kämpfe mit Magyaren und Tschechen

le Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren haben eine poli¬
tische Lage von äußerster Spannung hervorgerufen, ans der das
Ministerium Badeni schwerlich den Ausweg finden dürfte. Die
Opposition der großen, man kann sagen erfreulich großen Mehrheit
aller deutschen Abgeordneten gegen das Vergewaltiguugssystcm dieses
Ministeriums hat einen Charakter angenommen, der sie für den
Staatsorganismus bedenklich, ja gefährlich macht. Man fragt sich vergeblich nach
dem zwingenden Grunde, der den Grafen Badeni bestimmt haben kann, eine so
unverkennbare Gefahr für deu Staat heraufzubeschwören, dessen Leitung ihm gewiß
nicht in der Absicht anvertraut wurde, daß er die seit langem bestehenden Gegen¬
sätze verschärfen und auf die Spitze treiben folle. Der Hinweis ans die Notwendig¬
keit, den Ausgleich mit Ungarn zu schließen, genügt durchaus uicht, um die Ma߬
regel begreiflich zu machen, die die ganze national fühlende deutsche Bevölkerung in
Erbitterung und Entrüstung versetzt hat.

Die Schwierigkeiten, die sich dem Abschlüsse des Vertrags entgegenstellen, der
in diesem Jahre von neuem auf zehn Jahre mit Ungarn geschlossen werden muß,
we"n nicht das dualistische Prinzip, auf dem die Gesamtverfnssnng für Österreich-
Ungarn gegenwärtig aufgebaut ist, ius Warten geraten soll, sind nicht politischer
und staatsrechtlicher, sondern ausschließlich finanzieller und wirtschaftlicher Natur.
Im Jahre 1867 hat die westliche Reichshälfte, um den ermüdenden Kampf mit
Ungarn zu beenden, bestochen von dein scheinbar loyalen Auftreten des überschätzten
Ansgleichsmachers De-U und ins Gar" gelockt von dem damals allerdings nur
noch in Österreich überschätzten Herrn von Beust, Lasten auf sich genommen, die
schon damals ungerecht waren, seitdem aber ganz unerträglich geworden sind. Es
ist ja im Verlaufe tausendjähriger Beziehungen zwischen Deutschen und Ungarn
wiederholt vorgekommen, daß sich die Deutschen zu Tributzahluugen oder zu ein¬
seitig hohen Leistungen verstanden haben, nur um einmal vor den Angriffen der
Nachbarn Ruhe zu haben, deren Selbstsucht stärker als bei andern Völkern aus¬
gebildet ist. Das hat aber doch niemals von langer Dauer sein können; endlich
hat man sich ermannt und die ungebührlichen Forderungen abgewiesen. Der Erfolg
hat jedesmal gezeigt, daß die Deutschen und ihre engern Laudgeuosseu uicht in die
Reihe der tributzahlenden Völker zu rechnen sind, die Söhne Arpads haben ihren
Standpunkt nicht aufrecht zu erhalten vermocht, auch dann nicht, als sie mit den
Osmanen in deren Macht- und Siegesperiode gemeinsame Sache gemacht haben.
Darüber siud die Hunyady, Bocskai, Bethlen, Nakvczy, Kossuth gründlich belehrt
worden. Das Hans Habsburg hat oft genug durch Nachgiebigkeit und Entgegen¬
kommen seine Interessen zu wahren versucht, aber endlich war es doch immer auf
die unverdrossene Ausdauer und das scharfe Schwert seiner "deutschen Knechte"




Deutsche Kämpfe mit Magyaren und Tschechen

le Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren haben eine poli¬
tische Lage von äußerster Spannung hervorgerufen, ans der das
Ministerium Badeni schwerlich den Ausweg finden dürfte. Die
Opposition der großen, man kann sagen erfreulich großen Mehrheit
aller deutschen Abgeordneten gegen das Vergewaltiguugssystcm dieses
Ministeriums hat einen Charakter angenommen, der sie für den
Staatsorganismus bedenklich, ja gefährlich macht. Man fragt sich vergeblich nach
dem zwingenden Grunde, der den Grafen Badeni bestimmt haben kann, eine so
unverkennbare Gefahr für deu Staat heraufzubeschwören, dessen Leitung ihm gewiß
nicht in der Absicht anvertraut wurde, daß er die seit langem bestehenden Gegen¬
sätze verschärfen und auf die Spitze treiben folle. Der Hinweis ans die Notwendig¬
keit, den Ausgleich mit Ungarn zu schließen, genügt durchaus uicht, um die Ma߬
regel begreiflich zu machen, die die ganze national fühlende deutsche Bevölkerung in
Erbitterung und Entrüstung versetzt hat.

Die Schwierigkeiten, die sich dem Abschlüsse des Vertrags entgegenstellen, der
in diesem Jahre von neuem auf zehn Jahre mit Ungarn geschlossen werden muß,
we»n nicht das dualistische Prinzip, auf dem die Gesamtverfnssnng für Österreich-
Ungarn gegenwärtig aufgebaut ist, ius Warten geraten soll, sind nicht politischer
und staatsrechtlicher, sondern ausschließlich finanzieller und wirtschaftlicher Natur.
Im Jahre 1867 hat die westliche Reichshälfte, um den ermüdenden Kampf mit
Ungarn zu beenden, bestochen von dein scheinbar loyalen Auftreten des überschätzten
Ansgleichsmachers De-U und ins Gar» gelockt von dem damals allerdings nur
noch in Österreich überschätzten Herrn von Beust, Lasten auf sich genommen, die
schon damals ungerecht waren, seitdem aber ganz unerträglich geworden sind. Es
ist ja im Verlaufe tausendjähriger Beziehungen zwischen Deutschen und Ungarn
wiederholt vorgekommen, daß sich die Deutschen zu Tributzahluugen oder zu ein¬
seitig hohen Leistungen verstanden haben, nur um einmal vor den Angriffen der
Nachbarn Ruhe zu haben, deren Selbstsucht stärker als bei andern Völkern aus¬
gebildet ist. Das hat aber doch niemals von langer Dauer sein können; endlich
hat man sich ermannt und die ungebührlichen Forderungen abgewiesen. Der Erfolg
hat jedesmal gezeigt, daß die Deutschen und ihre engern Laudgeuosseu uicht in die
Reihe der tributzahlenden Völker zu rechnen sind, die Söhne Arpads haben ihren
Standpunkt nicht aufrecht zu erhalten vermocht, auch dann nicht, als sie mit den
Osmanen in deren Macht- und Siegesperiode gemeinsame Sache gemacht haben.
Darüber siud die Hunyady, Bocskai, Bethlen, Nakvczy, Kossuth gründlich belehrt
worden. Das Hans Habsburg hat oft genug durch Nachgiebigkeit und Entgegen¬
kommen seine Interessen zu wahren versucht, aber endlich war es doch immer auf
die unverdrossene Ausdauer und das scharfe Schwert seiner „deutschen Knechte"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/539>, abgerufen am 23.07.2024.