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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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teuerliche Gestalt des Kcimelpardels oder Pardelkamels fertig war. Dasselbe
gilt natürlich von den Beinen und von dem Längenunterschiede zwischen Vorder-
und Hinterbeinen. Darwin und Wallcice dagegen -- Wallace hat unabhängig
von Darwin und gleichzeitig mit ihm das Gesetz der Auslese gefunden --
würden sagen: Die Sache ist anders verlausen. Es giebt Zeiten der Dürre,
wo alles den kurzhalsigen Tieren erreichbare Laub und Gras bald abgeweidet
ist. Dann müssen alle kurzhalsigen Tiere umkommen, und nur die langhalsigen,
die die höher stehenden Blätter an Stauden und Bäumen erreichen, bleiben
am Leben. So sind von den Ahnen der Giraffe in Zeiten der Dürre immer
die langhcilsigsten am Leben geblieben, und so ist nach und nach dieses Geschlecht
schlangenhalsiger und hochbeiniger Wiederkäuer entstanden. Nicht in der Weise,
sagen die Neudarwinianer, ist die Folgsamkeit und Gelehrigkeit des Hundes
zu erklären, daß die Hundeeltern ihre durch Dressur erworbnen Eigenschaften
und Fähigkeiten vererbten, sondern dadurch, daß die wilden, unbündigen, un¬
gelehrigen Individuen teils getötet worden sind, teils innerhalb der mensch¬
lichen Gesellschaft nicht geduldet wurden und umkamen; von jeder Hunde¬
generation finden immer nur die folgsamen und gelehrigen unter den Menschen
ihr Fortkommen, und aus diesem Grunde sind fast alle Hunde, die wir kennen,
folgsam und nicht ganz ungelehrig.

Erstaunlich, was diese Gelehrten aushecken! wird der unbefangne Leser
ausrufen, namentlich der Tierzüchter. Man kann den Darwinismus von zwei
Seiten betrachten. Einerseits ist er die Theorie der Tier- und Pflanzen-
züchtnng. Als solche ist er eine Erfahrungswissenschaft, die sich auf jahr¬
tausendelange Beobachtungen und erfolgreiche Versuche stützt, und die, indem
sie die Wirkungsweise dieser Versuche besser verstehen lehrt, befruchtend auf
die Praxis zurückwirkt. Ohne Zweifel verdanken die heutigen Züchter von
Blumen, Nutzpflanzen und Haustieren der Darwinischen Litteratur sehr viel,
nur werden sie den Kopf schütteln, wenn sie jetzt auf einmal vernehmen, daß
sich erworbne Eigenschaften der Tiere und Pflanzen nicht vererben sollen. Sie
werden in ihren neuen Orchideen- und Kartoffelsorten, in ihren Taubenspiel-
arten, in ihren Shorthorus, ihren Jorkshireschweinen, ihrem Nassenhengst "vom
Vivat aus der Agnes" das Gegenteil vor Augen und in den Händen zu haben
glauben, und wenn sie die neue Lehre für wahr zu halten genötigt wären, so
würde ihnen das den Mut zur weitern Züchtungsarbeit rauben, denn es würde
deren Erfolg in Frage stellen. Sehen wir aber auf die andre Seite des
Darwinismus, die zwar nur hypothetisch ist, um deretwillen aber gerade
Darwin als der Kopernikus der Zoologie und als der Eröffner einer neuen
Ära der Natur- und der Geisteswissenschaften gepriesen wird, so ist es um
diese geschehen, wenn man die Vererbung der erworbnen Anpassungen preis¬
gäbe. Denken wir uns ein rehartiges Tier, das zur Giraffe fortentwickelt
werden soll. Gewiß werden die Hälse der Sprößlinge des Stammpaares nicht


Grenzboten II .1897 07

teuerliche Gestalt des Kcimelpardels oder Pardelkamels fertig war. Dasselbe
gilt natürlich von den Beinen und von dem Längenunterschiede zwischen Vorder-
und Hinterbeinen. Darwin und Wallcice dagegen — Wallace hat unabhängig
von Darwin und gleichzeitig mit ihm das Gesetz der Auslese gefunden —
würden sagen: Die Sache ist anders verlausen. Es giebt Zeiten der Dürre,
wo alles den kurzhalsigen Tieren erreichbare Laub und Gras bald abgeweidet
ist. Dann müssen alle kurzhalsigen Tiere umkommen, und nur die langhalsigen,
die die höher stehenden Blätter an Stauden und Bäumen erreichen, bleiben
am Leben. So sind von den Ahnen der Giraffe in Zeiten der Dürre immer
die langhcilsigsten am Leben geblieben, und so ist nach und nach dieses Geschlecht
schlangenhalsiger und hochbeiniger Wiederkäuer entstanden. Nicht in der Weise,
sagen die Neudarwinianer, ist die Folgsamkeit und Gelehrigkeit des Hundes
zu erklären, daß die Hundeeltern ihre durch Dressur erworbnen Eigenschaften
und Fähigkeiten vererbten, sondern dadurch, daß die wilden, unbündigen, un¬
gelehrigen Individuen teils getötet worden sind, teils innerhalb der mensch¬
lichen Gesellschaft nicht geduldet wurden und umkamen; von jeder Hunde¬
generation finden immer nur die folgsamen und gelehrigen unter den Menschen
ihr Fortkommen, und aus diesem Grunde sind fast alle Hunde, die wir kennen,
folgsam und nicht ganz ungelehrig.

Erstaunlich, was diese Gelehrten aushecken! wird der unbefangne Leser
ausrufen, namentlich der Tierzüchter. Man kann den Darwinismus von zwei
Seiten betrachten. Einerseits ist er die Theorie der Tier- und Pflanzen-
züchtnng. Als solche ist er eine Erfahrungswissenschaft, die sich auf jahr¬
tausendelange Beobachtungen und erfolgreiche Versuche stützt, und die, indem
sie die Wirkungsweise dieser Versuche besser verstehen lehrt, befruchtend auf
die Praxis zurückwirkt. Ohne Zweifel verdanken die heutigen Züchter von
Blumen, Nutzpflanzen und Haustieren der Darwinischen Litteratur sehr viel,
nur werden sie den Kopf schütteln, wenn sie jetzt auf einmal vernehmen, daß
sich erworbne Eigenschaften der Tiere und Pflanzen nicht vererben sollen. Sie
werden in ihren neuen Orchideen- und Kartoffelsorten, in ihren Taubenspiel-
arten, in ihren Shorthorus, ihren Jorkshireschweinen, ihrem Nassenhengst „vom
Vivat aus der Agnes" das Gegenteil vor Augen und in den Händen zu haben
glauben, und wenn sie die neue Lehre für wahr zu halten genötigt wären, so
würde ihnen das den Mut zur weitern Züchtungsarbeit rauben, denn es würde
deren Erfolg in Frage stellen. Sehen wir aber auf die andre Seite des
Darwinismus, die zwar nur hypothetisch ist, um deretwillen aber gerade
Darwin als der Kopernikus der Zoologie und als der Eröffner einer neuen
Ära der Natur- und der Geisteswissenschaften gepriesen wird, so ist es um
diese geschehen, wenn man die Vererbung der erworbnen Anpassungen preis¬
gäbe. Denken wir uns ein rehartiges Tier, das zur Giraffe fortentwickelt
werden soll. Gewiß werden die Hälse der Sprößlinge des Stammpaares nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/537>, abgerufen am 23.07.2024.