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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

geklagten nicht nachweisen, namentlich nicht Verrat, sie zeigen nur, daß seine
Fähigkeiten der Ausnahmestellung, in die er geraten war, ebenso wenig wie
einem Gegner, der wohl auch als ausnehmend überlegen bezeichnet werden
muß, gewachsen waren.

So beantragte denn auch das Kriegsgericht schon am 11. Dezember beim
Präsidenten der Republik die Abänderung der Strafe, und Mac Mahon ließ
den alten Kameraden nicht im Stich. Die Todesstrafe wurde in zwanzigjähriges
Gefängnis umgewandelt, die Förmlichkeiten der Degradation wurden ihm er¬
lassen, aber ihre sachlichen Wirkungen aufrecht erhalten.

Es folgt nun noch das Satyrspiel nach der Tragödie. Zur Vollstreckung
der Gefängnisstrafe wurde dem Verurteilten, der -- man muß das festhalten --
nicht mehr Marschall von Frankreich, sondern ein aus den Listen der Armee
gestrichner Mensch namens Bazaine war, ein komfortables Haus auf der als
ehemaliges Gefängnis des Mannes mit der eisernen Maske bekannten Felsen-
insel Marguvrite bei Cannes angewiesen, in das er sich in Begleitung seines
ihm durch alle Erniedrigung treu gebliebner Adjutanten Billette begab. Es
wurde ein besondres Bewachungspersonal organisirt, aber die Bestimmungen
über die Art der Vollstreckung der Strafe und die Bewachung waren von
vornherein so, daß der zum Chef des Aufsichtspersonals bestimmte Oberaufseher
Marchi (vgl. die Brochüre I/<ZvALioll alö L^g.wo. Paris, 1883) sofort und
wiederholt berichtete, er könne für die Festhaltung des Gefangnen nicht stehen,
da es nur von dessen gutem Willen abhinge, ob er bleiben oder fliehen wolle.
Trotzdem erleichterten wiederholte Verfügungen der abwechselnden Ministerien
nicht nur die wenigen Beschwerlichkeiten der Haft, sondern verminderten mehr
und mehr die Strenge der Bewachung. Immer unbeschränkter wurden Besucher
zugelassen, und als es dem Gefangnen zu lange dauerte, bis die ihm in Aus¬
sicht gestellte Umwandlung des Gefängnisses in Verbannung ausgesprochen
wurde, war er eines schönen Morgens verschwunden und auf einem Schiff,
das seine Frau gemietet, und das schon tagelang vorher vor der Insel ge¬
kreuzt hatte, nach dem mir einige Stunden entfernten Genua gefahren. Er
hatte sich an einem Seil, das sein Adjutant unter den Augen der Wächter
tagelang vorher sorgfältig verfertigt hatte, allerdings mit persönlichem Mute
und ziemlicher Gefahr, von dem Felsen herabgelassen. Von Italien begab er
sich dann nach Spanien.

Es ist ziemlich unfruchtbar, sich in Ausführungen einzulassen, was alles
hätte geschehen können, wenn Bazaine im Einverständnis mit der Kaiserin den
Frieden mit den Deutschen geschlossen und Napoleon auf den Kaiserthron zurück¬
geführt hätte. Zu solchem Unternehmen reichten weder seine geistigen Fähig¬
keiten, noch seine Energie aus. Er war gewiß ein persönlich tapfrer, kriegs¬
erfahrner General, aber auch weiter nichts; an den Niederlagen Frankreichs
war er nicht mehr schuld als viele andre neben und unter ihm. Aber das


Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

geklagten nicht nachweisen, namentlich nicht Verrat, sie zeigen nur, daß seine
Fähigkeiten der Ausnahmestellung, in die er geraten war, ebenso wenig wie
einem Gegner, der wohl auch als ausnehmend überlegen bezeichnet werden
muß, gewachsen waren.

So beantragte denn auch das Kriegsgericht schon am 11. Dezember beim
Präsidenten der Republik die Abänderung der Strafe, und Mac Mahon ließ
den alten Kameraden nicht im Stich. Die Todesstrafe wurde in zwanzigjähriges
Gefängnis umgewandelt, die Förmlichkeiten der Degradation wurden ihm er¬
lassen, aber ihre sachlichen Wirkungen aufrecht erhalten.

Es folgt nun noch das Satyrspiel nach der Tragödie. Zur Vollstreckung
der Gefängnisstrafe wurde dem Verurteilten, der — man muß das festhalten —
nicht mehr Marschall von Frankreich, sondern ein aus den Listen der Armee
gestrichner Mensch namens Bazaine war, ein komfortables Haus auf der als
ehemaliges Gefängnis des Mannes mit der eisernen Maske bekannten Felsen-
insel Marguvrite bei Cannes angewiesen, in das er sich in Begleitung seines
ihm durch alle Erniedrigung treu gebliebner Adjutanten Billette begab. Es
wurde ein besondres Bewachungspersonal organisirt, aber die Bestimmungen
über die Art der Vollstreckung der Strafe und die Bewachung waren von
vornherein so, daß der zum Chef des Aufsichtspersonals bestimmte Oberaufseher
Marchi (vgl. die Brochüre I/<ZvALioll alö L^g.wo. Paris, 1883) sofort und
wiederholt berichtete, er könne für die Festhaltung des Gefangnen nicht stehen,
da es nur von dessen gutem Willen abhinge, ob er bleiben oder fliehen wolle.
Trotzdem erleichterten wiederholte Verfügungen der abwechselnden Ministerien
nicht nur die wenigen Beschwerlichkeiten der Haft, sondern verminderten mehr
und mehr die Strenge der Bewachung. Immer unbeschränkter wurden Besucher
zugelassen, und als es dem Gefangnen zu lange dauerte, bis die ihm in Aus¬
sicht gestellte Umwandlung des Gefängnisses in Verbannung ausgesprochen
wurde, war er eines schönen Morgens verschwunden und auf einem Schiff,
das seine Frau gemietet, und das schon tagelang vorher vor der Insel ge¬
kreuzt hatte, nach dem mir einige Stunden entfernten Genua gefahren. Er
hatte sich an einem Seil, das sein Adjutant unter den Augen der Wächter
tagelang vorher sorgfältig verfertigt hatte, allerdings mit persönlichem Mute
und ziemlicher Gefahr, von dem Felsen herabgelassen. Von Italien begab er
sich dann nach Spanien.

Es ist ziemlich unfruchtbar, sich in Ausführungen einzulassen, was alles
hätte geschehen können, wenn Bazaine im Einverständnis mit der Kaiserin den
Frieden mit den Deutschen geschlossen und Napoleon auf den Kaiserthron zurück¬
geführt hätte. Zu solchem Unternehmen reichten weder seine geistigen Fähig¬
keiten, noch seine Energie aus. Er war gewiß ein persönlich tapfrer, kriegs¬
erfahrner General, aber auch weiter nichts; an den Niederlagen Frankreichs
war er nicht mehr schuld als viele andre neben und unter ihm. Aber das


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[0526] Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren geklagten nicht nachweisen, namentlich nicht Verrat, sie zeigen nur, daß seine Fähigkeiten der Ausnahmestellung, in die er geraten war, ebenso wenig wie einem Gegner, der wohl auch als ausnehmend überlegen bezeichnet werden muß, gewachsen waren. So beantragte denn auch das Kriegsgericht schon am 11. Dezember beim Präsidenten der Republik die Abänderung der Strafe, und Mac Mahon ließ den alten Kameraden nicht im Stich. Die Todesstrafe wurde in zwanzigjähriges Gefängnis umgewandelt, die Förmlichkeiten der Degradation wurden ihm er¬ lassen, aber ihre sachlichen Wirkungen aufrecht erhalten. Es folgt nun noch das Satyrspiel nach der Tragödie. Zur Vollstreckung der Gefängnisstrafe wurde dem Verurteilten, der — man muß das festhalten — nicht mehr Marschall von Frankreich, sondern ein aus den Listen der Armee gestrichner Mensch namens Bazaine war, ein komfortables Haus auf der als ehemaliges Gefängnis des Mannes mit der eisernen Maske bekannten Felsen- insel Marguvrite bei Cannes angewiesen, in das er sich in Begleitung seines ihm durch alle Erniedrigung treu gebliebner Adjutanten Billette begab. Es wurde ein besondres Bewachungspersonal organisirt, aber die Bestimmungen über die Art der Vollstreckung der Strafe und die Bewachung waren von vornherein so, daß der zum Chef des Aufsichtspersonals bestimmte Oberaufseher Marchi (vgl. die Brochüre I/<ZvALioll alö L^g.wo. Paris, 1883) sofort und wiederholt berichtete, er könne für die Festhaltung des Gefangnen nicht stehen, da es nur von dessen gutem Willen abhinge, ob er bleiben oder fliehen wolle. Trotzdem erleichterten wiederholte Verfügungen der abwechselnden Ministerien nicht nur die wenigen Beschwerlichkeiten der Haft, sondern verminderten mehr und mehr die Strenge der Bewachung. Immer unbeschränkter wurden Besucher zugelassen, und als es dem Gefangnen zu lange dauerte, bis die ihm in Aus¬ sicht gestellte Umwandlung des Gefängnisses in Verbannung ausgesprochen wurde, war er eines schönen Morgens verschwunden und auf einem Schiff, das seine Frau gemietet, und das schon tagelang vorher vor der Insel ge¬ kreuzt hatte, nach dem mir einige Stunden entfernten Genua gefahren. Er hatte sich an einem Seil, das sein Adjutant unter den Augen der Wächter tagelang vorher sorgfältig verfertigt hatte, allerdings mit persönlichem Mute und ziemlicher Gefahr, von dem Felsen herabgelassen. Von Italien begab er sich dann nach Spanien. Es ist ziemlich unfruchtbar, sich in Ausführungen einzulassen, was alles hätte geschehen können, wenn Bazaine im Einverständnis mit der Kaiserin den Frieden mit den Deutschen geschlossen und Napoleon auf den Kaiserthron zurück¬ geführt hätte. Zu solchem Unternehmen reichten weder seine geistigen Fähig¬ keiten, noch seine Energie aus. Er war gewiß ein persönlich tapfrer, kriegs¬ erfahrner General, aber auch weiter nichts; an den Niederlagen Frankreichs war er nicht mehr schuld als viele andre neben und unter ihm. Aber das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/526>, abgerufen am 23.07.2024.