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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

merkungen, die er, der Vorsitzende, "überhört" haben müsse, zurückzunehmen.
Nach lauger, erregter Verhandlung verweigerte der Oberst die Zurücknahme
oder Entschuldigung, und das Ende war, daß in dem Protokoll festgestellt
wurde, daß der Oberst stosset seine Äußerung uicht zurückziehe, sondern völlig
(doues Lntiörö) aufrecht erhalte. Welches Nachspiel dieser Vorgang gehabt hat,
ist mir nicht möglich gewesen, zu erfahren; immerhin ist er bezeichnend genug.

Der Bericht, ein so umfangreiches Aktenstück, daß seine Verlesung fünf
volle Sitzungstage in Anspruch nahm, besteht aus drei Teilen. Der erste Teil
bespricht die Vorgänge vom 5. August bis zum 1. September, der zweite die
Ereignisse während der Einschließung vom 1. September bis zum 10. Oktober,
der dritte die Kapitulationsverhandluugen vom 10. bis zum 29. Oktober und
die Übergabe.

In dem ersten, sachlich interessantesten, aber auch parteiischsten Teil wird
der Angeklagte beschuldigt, schon die Niederlage bei Spicheren dadurch ver¬
schuldet zu haben, daß er trotz der Bitte des bedrängten Generals Frossard
nicht hinreichend und zu spät Hilfe gesandt habe. Als am 13. August der
Kaiser nach den Niederlagen von Weißenburg, Spicheren und Wörth das Ober¬
kommando niederlegte und Bazaine übertrug, habe dieser nicht, wie er nach
Lage der Sache hätte thun müssen, ungesäumt und energisch den Rückzug über
Verdun nach Paris angeordnet, sondern habe sich bei Metz vom Feinde stellen
lassen. Daß er dann namentlich nicht nach der Schlacht von Nezonville
(16. August), die die Franzosen hartnäckig als Sieg beanspruchen, am 17. den
Marsch nach Verdun auf den drei damals noch offnen Straßen fortgesetzt,
vielmehr sich nach der Schlacht vom 18. August unter die Forts von Metz
zurückgezogen habe, stellt der Bericht als einen unerhörten Fehler hin. Daraus
und weil der Marschall das bei Se. Privat der Übermacht unterliegende
vierte Korps des Marschalls Ccmrobert nicht durch die kaiserliche Garde unter¬
stützt habe, kommt der Bericht zu dem einigermaßen verblüffenden Schluß,
Bazaine habe überhaupt nicht die Absicht gehabt, sich von Metz zu entfernen,
sondern sei von vornherein darauf ausgegangen, seine bedeutenden und in ihren
Verbänden noch erhaltenen Truppen möglichst zu konzentriren und zu schonen,
um sie seinerzeit für eigne ehrgeizige Pläne zu verwenden. Der Bericht rügt
ferner, daß der Marschall vom 19. bis zum 30. August nichts ernstliches
unternommen habe, um die damals noch lückenhaften feindlichen Linien zu
durchbrechen, obwohl er von Mac Mahon über dessen Marsch nach Norden
Kenntnis erhalten habe. Der für deu 26. August befohlne Ausfall sei rück¬
gängig gemacht worden, obwohl die Truppen schon auf dem rechten Moselufer
versammelt gewesen seien, und der am 30. August gleichfalls in der Richtung
auf Thionville versuchte Ausfall sei trotz erreichter Erfolge am 1. September
wieder aufgegeben worden.

Der zweite Teil wirft dem Marschall die während der Einschließung be-


Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

merkungen, die er, der Vorsitzende, „überhört" haben müsse, zurückzunehmen.
Nach lauger, erregter Verhandlung verweigerte der Oberst die Zurücknahme
oder Entschuldigung, und das Ende war, daß in dem Protokoll festgestellt
wurde, daß der Oberst stosset seine Äußerung uicht zurückziehe, sondern völlig
(doues Lntiörö) aufrecht erhalte. Welches Nachspiel dieser Vorgang gehabt hat,
ist mir nicht möglich gewesen, zu erfahren; immerhin ist er bezeichnend genug.

Der Bericht, ein so umfangreiches Aktenstück, daß seine Verlesung fünf
volle Sitzungstage in Anspruch nahm, besteht aus drei Teilen. Der erste Teil
bespricht die Vorgänge vom 5. August bis zum 1. September, der zweite die
Ereignisse während der Einschließung vom 1. September bis zum 10. Oktober,
der dritte die Kapitulationsverhandluugen vom 10. bis zum 29. Oktober und
die Übergabe.

In dem ersten, sachlich interessantesten, aber auch parteiischsten Teil wird
der Angeklagte beschuldigt, schon die Niederlage bei Spicheren dadurch ver¬
schuldet zu haben, daß er trotz der Bitte des bedrängten Generals Frossard
nicht hinreichend und zu spät Hilfe gesandt habe. Als am 13. August der
Kaiser nach den Niederlagen von Weißenburg, Spicheren und Wörth das Ober¬
kommando niederlegte und Bazaine übertrug, habe dieser nicht, wie er nach
Lage der Sache hätte thun müssen, ungesäumt und energisch den Rückzug über
Verdun nach Paris angeordnet, sondern habe sich bei Metz vom Feinde stellen
lassen. Daß er dann namentlich nicht nach der Schlacht von Nezonville
(16. August), die die Franzosen hartnäckig als Sieg beanspruchen, am 17. den
Marsch nach Verdun auf den drei damals noch offnen Straßen fortgesetzt,
vielmehr sich nach der Schlacht vom 18. August unter die Forts von Metz
zurückgezogen habe, stellt der Bericht als einen unerhörten Fehler hin. Daraus
und weil der Marschall das bei Se. Privat der Übermacht unterliegende
vierte Korps des Marschalls Ccmrobert nicht durch die kaiserliche Garde unter¬
stützt habe, kommt der Bericht zu dem einigermaßen verblüffenden Schluß,
Bazaine habe überhaupt nicht die Absicht gehabt, sich von Metz zu entfernen,
sondern sei von vornherein darauf ausgegangen, seine bedeutenden und in ihren
Verbänden noch erhaltenen Truppen möglichst zu konzentriren und zu schonen,
um sie seinerzeit für eigne ehrgeizige Pläne zu verwenden. Der Bericht rügt
ferner, daß der Marschall vom 19. bis zum 30. August nichts ernstliches
unternommen habe, um die damals noch lückenhaften feindlichen Linien zu
durchbrechen, obwohl er von Mac Mahon über dessen Marsch nach Norden
Kenntnis erhalten habe. Der für deu 26. August befohlne Ausfall sei rück¬
gängig gemacht worden, obwohl die Truppen schon auf dem rechten Moselufer
versammelt gewesen seien, und der am 30. August gleichfalls in der Richtung
auf Thionville versuchte Ausfall sei trotz erreichter Erfolge am 1. September
wieder aufgegeben worden.

Der zweite Teil wirft dem Marschall die während der Einschließung be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/516>, abgerufen am 23.07.2024.