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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

diesen menschlich erklärlichen Vorwurf, soweit er die Richter betrifft, nicht für
begründet erachten können, denn die Verhandlungen sind würdig und unparteiisch
geführt worden, und die Behandlung des Angeklagten verletzte nie die seiner
Vergangenheit schuldige Achtung. Aber der übermäßige Eifer des oominisWiis
ä'col General Pourcet und vor allem der Bericht des Untersuchungrichters
General Rivivre, dessen Vorlesung nach dem französischen Verfahren die Ver¬
handlung eröffnete, erscheinen uns doch von gar zu großer Voreingenommenheit
gegen den Angeklagten erfüllt. Nach deutscher Auffassung hätte der Bericht
nur die während der Untersuchung gegen, aber auch für den Angeklagten er¬
mittelten Thatsachen enthalten dürfen; der Bericht nimmt aber in leidenschaft¬
lichster und oft recht phrasenhafter Weise Partei gegen den Angeklagten, legt
ihm schon die Schuld nu dem unglücklichen Ausgang der ersten Kämpfe im
August, ja selbst an dem Zusammenbruch von Sedan zur Last, um die es sich
nach den Gesetzesvorschriften gar nicht handeln konnte, und nimmt die Schuld
des Angeklagten an der Kapitulation von Metz von vornherein als zweifellos
feststehend an. Nach deutscher Auffassung ist eine solche Darstellung, die den
Richter von vornherein gegen den Angeklagten einnimmt, und gegen die sich
dieser gar nicht wehren kann, unzulässig und verwerflich, aber auch in weiten
französischen Kreisen hielt man diesen Bericht für parteiisch und von persön¬
licher Abneigung beeinflußt.

Ein Beweis dafür ist ein peinlicher Zwischenfall in der Sitzung vom
5. November. Es handelte sich um die Feststellung, ob die Depesche, durch
die Mac Mensor den Oberbefehlshaber benachrichtigte, daß er, um ihm zu Hilfe
zu kommen, nach Norden abmarschiere, am 22. oder 23. August, wie der Be¬
richt behauptete, oder am 29., wie der Angeklagte behauptete, übergeben worden
sei. Als Zeuge wurde uuter andern auch der Oberst stosset vernommen, der¬
selbe, dessen Berichte aus Berlin über die überlegne Organisation und Aus¬
bildung der preußischen Armee, wie ältern Lesern erinnerlich sein wird, seiner¬
zeit Aufsehen erregten, aber, vielleicht zu unserm Heil, in Paris unbeachtet
geblieben waren. Nachdem der Oberst seine Aussage gemacht hatte, bat er,
sich gegen einige ihm in dem Bericht gemachte Vorwürfe aussprechen zu dürfen.
Der Vorsitzende machte ihn darauf aufmerksam, daß er weder den Bericht, noch
den Berichterstatter persönlich angreifen dürfe. Oberst stosset erwiderte hierauf
und sagte schließlich: Was den Berichterstatter betrifft, so teile ich die Gefühle
der ganzen Armee gegen ihn und habe für ihn nur Verachtung und Gering¬
schätzung (se n'övrouvö xour lui <zu6 1ö niLpris et 1s Seas-w.) Der Vor¬
sitzende begnügte sich damit, dem Zeugen auf diese unerhörte Beleidigung eines
richterlichen Beamten das Wort zu entziehen, indem er ihm bedeutete, er würde
noch später vernommen werden und würde dann Gelegenheit haben, sich zu
äußern. Nach einigen Stunden forderte aber der Vorsitzende, "auf Anregung
einiger Beisitzer," wie er sagte, den Oberst stosset auf, die beleidigenden Be-


Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

diesen menschlich erklärlichen Vorwurf, soweit er die Richter betrifft, nicht für
begründet erachten können, denn die Verhandlungen sind würdig und unparteiisch
geführt worden, und die Behandlung des Angeklagten verletzte nie die seiner
Vergangenheit schuldige Achtung. Aber der übermäßige Eifer des oominisWiis
ä'col General Pourcet und vor allem der Bericht des Untersuchungrichters
General Rivivre, dessen Vorlesung nach dem französischen Verfahren die Ver¬
handlung eröffnete, erscheinen uns doch von gar zu großer Voreingenommenheit
gegen den Angeklagten erfüllt. Nach deutscher Auffassung hätte der Bericht
nur die während der Untersuchung gegen, aber auch für den Angeklagten er¬
mittelten Thatsachen enthalten dürfen; der Bericht nimmt aber in leidenschaft¬
lichster und oft recht phrasenhafter Weise Partei gegen den Angeklagten, legt
ihm schon die Schuld nu dem unglücklichen Ausgang der ersten Kämpfe im
August, ja selbst an dem Zusammenbruch von Sedan zur Last, um die es sich
nach den Gesetzesvorschriften gar nicht handeln konnte, und nimmt die Schuld
des Angeklagten an der Kapitulation von Metz von vornherein als zweifellos
feststehend an. Nach deutscher Auffassung ist eine solche Darstellung, die den
Richter von vornherein gegen den Angeklagten einnimmt, und gegen die sich
dieser gar nicht wehren kann, unzulässig und verwerflich, aber auch in weiten
französischen Kreisen hielt man diesen Bericht für parteiisch und von persön¬
licher Abneigung beeinflußt.

Ein Beweis dafür ist ein peinlicher Zwischenfall in der Sitzung vom
5. November. Es handelte sich um die Feststellung, ob die Depesche, durch
die Mac Mensor den Oberbefehlshaber benachrichtigte, daß er, um ihm zu Hilfe
zu kommen, nach Norden abmarschiere, am 22. oder 23. August, wie der Be¬
richt behauptete, oder am 29., wie der Angeklagte behauptete, übergeben worden
sei. Als Zeuge wurde uuter andern auch der Oberst stosset vernommen, der¬
selbe, dessen Berichte aus Berlin über die überlegne Organisation und Aus¬
bildung der preußischen Armee, wie ältern Lesern erinnerlich sein wird, seiner¬
zeit Aufsehen erregten, aber, vielleicht zu unserm Heil, in Paris unbeachtet
geblieben waren. Nachdem der Oberst seine Aussage gemacht hatte, bat er,
sich gegen einige ihm in dem Bericht gemachte Vorwürfe aussprechen zu dürfen.
Der Vorsitzende machte ihn darauf aufmerksam, daß er weder den Bericht, noch
den Berichterstatter persönlich angreifen dürfe. Oberst stosset erwiderte hierauf
und sagte schließlich: Was den Berichterstatter betrifft, so teile ich die Gefühle
der ganzen Armee gegen ihn und habe für ihn nur Verachtung und Gering¬
schätzung (se n'övrouvö xour lui <zu6 1ö niLpris et 1s Seas-w.) Der Vor¬
sitzende begnügte sich damit, dem Zeugen auf diese unerhörte Beleidigung eines
richterlichen Beamten das Wort zu entziehen, indem er ihm bedeutete, er würde
noch später vernommen werden und würde dann Gelegenheit haben, sich zu
äußern. Nach einigen Stunden forderte aber der Vorsitzende, „auf Anregung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/515>, abgerufen am 23.07.2024.