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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Tierfabel

Es würde sich verlohnen, zunächst einmal einen Blick auf die Art und
Weise zu werfen, wie der menschliche Geist nach und nach den Sinn für Komik
gewinnt, der übrigens bei manchen Völkern der Erde auch heute noch in
äußerst geringem Grade entwickelt zu sein scheint und den Tieren vollkommen
fehlt. Hier muß ich mich mit wenigen Andeutungen begnügen, die freilich,
da über diese Fragen vom Standpunkte der Völkerkunde bis jetzt so gut wie
nichts geschrieben worden ist, nur einen vorläufigen Wert beanspruchen können.
Wie mir scheint, ist die Freude des Menschen am Witz keine ursprünglich ein¬
heitliche Empfindung, sondern stammt aus zwei durchaus verschiednen Quellen,
denen wir auch bei den Tieren begegnen, nämlich dem Hohn oder Spott und
dem harmlosen Spiele. Den Hohn charakterisirt man wohl am besten als den
triumphirenden Ausbruchs eines Bewußtseins der Überlegenheit; seine starke Zu-
mischung zu vielen Späßen und Scherzen ist ganz unverkennbar. Daß z. B.
jemand einen Stoß erhält und auf die Nase stürzt, genügt vielen einfachen
Gemütern schon als Anlaß eines herzlichen Gelächters, selbst unzählige Späße
der Witzblätter drehen sich um irgend einen Hineinfall, der den Betroffnen
ärgert und gerade deshalb die andern freut. In verfeinerter Form genießen
wir bei bessern Witzen das Gefühl geistiger Überlegenheit, die Freude an der
plötzlichen Einsicht in etwas Verkehrtes, Ungereimtes oder Mißlungnes. Andrer¬
seits entsteht der Scherz aus dem Spiele, das ja auch die Tiere kennen. Zwei
junge Katzen oder Hunde, die anscheinend wild mit einander kämpfen, ohne
sich doch gegenseitig Schaden zufügen zu wollen, treiben im Grunde ganz in
derselben Weise Scherz wie ein Kulturmensch, der einem Freunde unter der
Hülle irgend einer unangenehmen Sendung eine freudige Überraschung bereitet.
Aus Hohn und Scherz heraus erwächst die eigentliche Komik, die im Humor
endlich ihre schönste und reinste Blüte erreicht.

Inwiefern der Spott und die Komik in der Fabel eine günstige Ausdrucks¬
weise finden konnten, darauf deutet schon einer der angeblichen Lebensumstände des
Äsop. Er soll ein Sklave gewesen sein, also einer Menschenklasse angehört
haben, die, aller Rechte beraubt, ihren Halt nur noch in dem Gefühle geistiger
Überlegenheit über ihre Herren zu finden vermochte; dieses Überlegenheitsgefühl
aber äußerte sich seiner Natur nach am freiesten im Witze, der sich unter der
Hülle der Fabel ungestrafter entfalten konnte als auf andre Weise. Wie leicht
war es, in der Gestalt der Fabeltiere Menschen der Gegenwart mit ihren
Schwächen und Thorheiten zu zeichnen, ohne daß es doch plumpem Geistern
gelang, den Urheber der bissigen Vergleiche und Anspielungen zur Rechenschaft
zu ziehen! Ja der geschickte Erzähler satirischer Fabeln erwarb sich neben allerlei
Feinden doch auch gewiß mächtige Gönner, die ihn zu fördern und zu schützen
wußten, und zu denen er in einem ähnlichen Verhältnis stehen mochte, wie
die Narren des Mittelalters zu den Fürsten, deren Livree sie trugen. Es ist,
wie gesagt, möglich, daß thatsächlich ein witziger Sklave namens Äsop gelebt
hat, der ältere Fabeln sammelte und mit Zusätzen eigner Mache vermehrte.


Die Tierfabel

Es würde sich verlohnen, zunächst einmal einen Blick auf die Art und
Weise zu werfen, wie der menschliche Geist nach und nach den Sinn für Komik
gewinnt, der übrigens bei manchen Völkern der Erde auch heute noch in
äußerst geringem Grade entwickelt zu sein scheint und den Tieren vollkommen
fehlt. Hier muß ich mich mit wenigen Andeutungen begnügen, die freilich,
da über diese Fragen vom Standpunkte der Völkerkunde bis jetzt so gut wie
nichts geschrieben worden ist, nur einen vorläufigen Wert beanspruchen können.
Wie mir scheint, ist die Freude des Menschen am Witz keine ursprünglich ein¬
heitliche Empfindung, sondern stammt aus zwei durchaus verschiednen Quellen,
denen wir auch bei den Tieren begegnen, nämlich dem Hohn oder Spott und
dem harmlosen Spiele. Den Hohn charakterisirt man wohl am besten als den
triumphirenden Ausbruchs eines Bewußtseins der Überlegenheit; seine starke Zu-
mischung zu vielen Späßen und Scherzen ist ganz unverkennbar. Daß z. B.
jemand einen Stoß erhält und auf die Nase stürzt, genügt vielen einfachen
Gemütern schon als Anlaß eines herzlichen Gelächters, selbst unzählige Späße
der Witzblätter drehen sich um irgend einen Hineinfall, der den Betroffnen
ärgert und gerade deshalb die andern freut. In verfeinerter Form genießen
wir bei bessern Witzen das Gefühl geistiger Überlegenheit, die Freude an der
plötzlichen Einsicht in etwas Verkehrtes, Ungereimtes oder Mißlungnes. Andrer¬
seits entsteht der Scherz aus dem Spiele, das ja auch die Tiere kennen. Zwei
junge Katzen oder Hunde, die anscheinend wild mit einander kämpfen, ohne
sich doch gegenseitig Schaden zufügen zu wollen, treiben im Grunde ganz in
derselben Weise Scherz wie ein Kulturmensch, der einem Freunde unter der
Hülle irgend einer unangenehmen Sendung eine freudige Überraschung bereitet.
Aus Hohn und Scherz heraus erwächst die eigentliche Komik, die im Humor
endlich ihre schönste und reinste Blüte erreicht.

Inwiefern der Spott und die Komik in der Fabel eine günstige Ausdrucks¬
weise finden konnten, darauf deutet schon einer der angeblichen Lebensumstände des
Äsop. Er soll ein Sklave gewesen sein, also einer Menschenklasse angehört
haben, die, aller Rechte beraubt, ihren Halt nur noch in dem Gefühle geistiger
Überlegenheit über ihre Herren zu finden vermochte; dieses Überlegenheitsgefühl
aber äußerte sich seiner Natur nach am freiesten im Witze, der sich unter der
Hülle der Fabel ungestrafter entfalten konnte als auf andre Weise. Wie leicht
war es, in der Gestalt der Fabeltiere Menschen der Gegenwart mit ihren
Schwächen und Thorheiten zu zeichnen, ohne daß es doch plumpem Geistern
gelang, den Urheber der bissigen Vergleiche und Anspielungen zur Rechenschaft
zu ziehen! Ja der geschickte Erzähler satirischer Fabeln erwarb sich neben allerlei
Feinden doch auch gewiß mächtige Gönner, die ihn zu fördern und zu schützen
wußten, und zu denen er in einem ähnlichen Verhältnis stehen mochte, wie
die Narren des Mittelalters zu den Fürsten, deren Livree sie trugen. Es ist,
wie gesagt, möglich, daß thatsächlich ein witziger Sklave namens Äsop gelebt
hat, der ältere Fabeln sammelte und mit Zusätzen eigner Mache vermehrte.


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[0483] Die Tierfabel Es würde sich verlohnen, zunächst einmal einen Blick auf die Art und Weise zu werfen, wie der menschliche Geist nach und nach den Sinn für Komik gewinnt, der übrigens bei manchen Völkern der Erde auch heute noch in äußerst geringem Grade entwickelt zu sein scheint und den Tieren vollkommen fehlt. Hier muß ich mich mit wenigen Andeutungen begnügen, die freilich, da über diese Fragen vom Standpunkte der Völkerkunde bis jetzt so gut wie nichts geschrieben worden ist, nur einen vorläufigen Wert beanspruchen können. Wie mir scheint, ist die Freude des Menschen am Witz keine ursprünglich ein¬ heitliche Empfindung, sondern stammt aus zwei durchaus verschiednen Quellen, denen wir auch bei den Tieren begegnen, nämlich dem Hohn oder Spott und dem harmlosen Spiele. Den Hohn charakterisirt man wohl am besten als den triumphirenden Ausbruchs eines Bewußtseins der Überlegenheit; seine starke Zu- mischung zu vielen Späßen und Scherzen ist ganz unverkennbar. Daß z. B. jemand einen Stoß erhält und auf die Nase stürzt, genügt vielen einfachen Gemütern schon als Anlaß eines herzlichen Gelächters, selbst unzählige Späße der Witzblätter drehen sich um irgend einen Hineinfall, der den Betroffnen ärgert und gerade deshalb die andern freut. In verfeinerter Form genießen wir bei bessern Witzen das Gefühl geistiger Überlegenheit, die Freude an der plötzlichen Einsicht in etwas Verkehrtes, Ungereimtes oder Mißlungnes. Andrer¬ seits entsteht der Scherz aus dem Spiele, das ja auch die Tiere kennen. Zwei junge Katzen oder Hunde, die anscheinend wild mit einander kämpfen, ohne sich doch gegenseitig Schaden zufügen zu wollen, treiben im Grunde ganz in derselben Weise Scherz wie ein Kulturmensch, der einem Freunde unter der Hülle irgend einer unangenehmen Sendung eine freudige Überraschung bereitet. Aus Hohn und Scherz heraus erwächst die eigentliche Komik, die im Humor endlich ihre schönste und reinste Blüte erreicht. Inwiefern der Spott und die Komik in der Fabel eine günstige Ausdrucks¬ weise finden konnten, darauf deutet schon einer der angeblichen Lebensumstände des Äsop. Er soll ein Sklave gewesen sein, also einer Menschenklasse angehört haben, die, aller Rechte beraubt, ihren Halt nur noch in dem Gefühle geistiger Überlegenheit über ihre Herren zu finden vermochte; dieses Überlegenheitsgefühl aber äußerte sich seiner Natur nach am freiesten im Witze, der sich unter der Hülle der Fabel ungestrafter entfalten konnte als auf andre Weise. Wie leicht war es, in der Gestalt der Fabeltiere Menschen der Gegenwart mit ihren Schwächen und Thorheiten zu zeichnen, ohne daß es doch plumpem Geistern gelang, den Urheber der bissigen Vergleiche und Anspielungen zur Rechenschaft zu ziehen! Ja der geschickte Erzähler satirischer Fabeln erwarb sich neben allerlei Feinden doch auch gewiß mächtige Gönner, die ihn zu fördern und zu schützen wußten, und zu denen er in einem ähnlichen Verhältnis stehen mochte, wie die Narren des Mittelalters zu den Fürsten, deren Livree sie trugen. Es ist, wie gesagt, möglich, daß thatsächlich ein witziger Sklave namens Äsop gelebt hat, der ältere Fabeln sammelte und mit Zusätzen eigner Mache vermehrte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/483>, abgerufen am 23.07.2024.