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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschut;

Staats dennoch vergeblich machten -- die Helgolünder gezwungen, zu dem
Leben zurückzukehren, das sie früher geführt haben, als sie von andern Dingen
als von dein Gelde der Fremden zu leben genötigt waren. Einst waren sie
als Lotsen berühmt, fingen viele und vortreffliche Fische, und die Helgolünder
Hummer kennt alle Welt. Aber jetzt giebt es dort längst keine Lotsen und
Fischer mehr, und was sich heutzutage dort so nennt, ist Karrikatur, der
Lotsenanzug mit Wasserstiefeln, Südwester usw. ist Maskerade, und der Helgo¬
lünder Hummer kommt ganz und gar nicht aus Helgoland, dessen ganze Be¬
völkerung einfach verfaulenzt ist. Denn sogenannte Arbeiten giebt es für sie
eigentlich nur drei Monate im Jahr, vom 15. Juni bis zum 15. September,
das heißt während der Badezeit, und dann besteht die Hauptarbeit im Geld¬
einnehmen."

Und für Helgoland ließe sich noch einwenden, daß es sich bei seinem
Seebad um ein thatsächliches Heilmittel, um eine außergewöhnliche Gelegenheit
zu körperlicher Kräftigung handle. Wo ähnliches vorliegt, namentlich also bei
eigentlichen Heilquellen, muß ja selbstverständlich jeder Versuch, beschränken
zu wollen, was die Natur der Sache fordert, als thöricht und unangebracht
zurückgewiesen werden. Aber was wollen die paar wirklich ernsten Kurorte
sagen gegenüber der Legion von Modeschöpfungen an Luftkurorten, Sommer¬
frischen und ähnlichen künstlich in Szene gesetzten Spekulationen, die zu nichts
nütze sind, als eingebildete Modebedürfnisse zu befriedigen und die ländliche
Bevölkerung in den Dunstkreis städtischer Anschauung und Lebensweise zu
ziehen! Wer es an einem ausgeführten Gemälde erleben will, wie in solchen
Fällen der gleißnerische Schein Schritt sür Schritt dem Abgrund näher und
endlich in ihn hinein sührt, der lese Roseggers Schilderung von der Prosti-
tuirung eines Alpenthals in dein ergreifenden Buche "Das ewige Licht."

Kann man denn nicht Dinge und Menschen lassen, wo sie hingehören?
Ist man über allen Verwöhnungen, die die Fortschritte der Technik der
Menschheit gebracht haben, so weichlich geworden, daß man nichts Dring¬
licheres glaubt zu thun zu haben, als die ganze Welt, alle Lebenskreise ohne
Unterschied mit diesen Danaergeschenken zu beglücken? daß man die alte Wahr¬
heit ganz und gar vergessen hat: "Reich ist nicht, wer viel besitzt, sondern
wer wenig begehrt"? Die Weisheit des Delphischen Apollo lautete: "Nichts
zu viel!" Wir aber leiden an künstlich grvßgezogueu Bedürfnissen, am "Zuviel"
in allen Dingen vom Größten bis zum Kleinsten. Ahnt man nirgends mehr
die unausbleiblich nahende Nemesis, die jedem Zuviel, jeder Übersättigung
folgen muß? Versteht man nicht mehr die Lehre der Geschichte, die den Unter¬
gang aller üppig und faul gewordnen Völker in so erschreckender Weise predigt?
Wo aber soll sich Lebenskraft neu erzeugen, wenn nicht in dem Teil des Volkes,
der fern von der nun einmal unvermeidlichen Überreizung und Entsittlichung
der großen Städte in harter, aber gesund erhaltender Arbeit, ja in der Schule
mancher Entbehrungen aufwächst und erstarkt?


Heimatschut;

Staats dennoch vergeblich machten — die Helgolünder gezwungen, zu dem
Leben zurückzukehren, das sie früher geführt haben, als sie von andern Dingen
als von dein Gelde der Fremden zu leben genötigt waren. Einst waren sie
als Lotsen berühmt, fingen viele und vortreffliche Fische, und die Helgolünder
Hummer kennt alle Welt. Aber jetzt giebt es dort längst keine Lotsen und
Fischer mehr, und was sich heutzutage dort so nennt, ist Karrikatur, der
Lotsenanzug mit Wasserstiefeln, Südwester usw. ist Maskerade, und der Helgo¬
lünder Hummer kommt ganz und gar nicht aus Helgoland, dessen ganze Be¬
völkerung einfach verfaulenzt ist. Denn sogenannte Arbeiten giebt es für sie
eigentlich nur drei Monate im Jahr, vom 15. Juni bis zum 15. September,
das heißt während der Badezeit, und dann besteht die Hauptarbeit im Geld¬
einnehmen."

Und für Helgoland ließe sich noch einwenden, daß es sich bei seinem
Seebad um ein thatsächliches Heilmittel, um eine außergewöhnliche Gelegenheit
zu körperlicher Kräftigung handle. Wo ähnliches vorliegt, namentlich also bei
eigentlichen Heilquellen, muß ja selbstverständlich jeder Versuch, beschränken
zu wollen, was die Natur der Sache fordert, als thöricht und unangebracht
zurückgewiesen werden. Aber was wollen die paar wirklich ernsten Kurorte
sagen gegenüber der Legion von Modeschöpfungen an Luftkurorten, Sommer¬
frischen und ähnlichen künstlich in Szene gesetzten Spekulationen, die zu nichts
nütze sind, als eingebildete Modebedürfnisse zu befriedigen und die ländliche
Bevölkerung in den Dunstkreis städtischer Anschauung und Lebensweise zu
ziehen! Wer es an einem ausgeführten Gemälde erleben will, wie in solchen
Fällen der gleißnerische Schein Schritt sür Schritt dem Abgrund näher und
endlich in ihn hinein sührt, der lese Roseggers Schilderung von der Prosti-
tuirung eines Alpenthals in dein ergreifenden Buche „Das ewige Licht."

Kann man denn nicht Dinge und Menschen lassen, wo sie hingehören?
Ist man über allen Verwöhnungen, die die Fortschritte der Technik der
Menschheit gebracht haben, so weichlich geworden, daß man nichts Dring¬
licheres glaubt zu thun zu haben, als die ganze Welt, alle Lebenskreise ohne
Unterschied mit diesen Danaergeschenken zu beglücken? daß man die alte Wahr¬
heit ganz und gar vergessen hat: „Reich ist nicht, wer viel besitzt, sondern
wer wenig begehrt"? Die Weisheit des Delphischen Apollo lautete: „Nichts
zu viel!" Wir aber leiden an künstlich grvßgezogueu Bedürfnissen, am „Zuviel"
in allen Dingen vom Größten bis zum Kleinsten. Ahnt man nirgends mehr
die unausbleiblich nahende Nemesis, die jedem Zuviel, jeder Übersättigung
folgen muß? Versteht man nicht mehr die Lehre der Geschichte, die den Unter¬
gang aller üppig und faul gewordnen Völker in so erschreckender Weise predigt?
Wo aber soll sich Lebenskraft neu erzeugen, wenn nicht in dem Teil des Volkes,
der fern von der nun einmal unvermeidlichen Überreizung und Entsittlichung
der großen Städte in harter, aber gesund erhaltender Arbeit, ja in der Schule
mancher Entbehrungen aufwächst und erstarkt?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/472>, abgerufen am 23.07.2024.